Spionageverdacht:Türkei nimmt Anwalt der deutschen Botschaft fest

Deutsche Botschaft Ankara

Die deutsche Botschaft in Ankara.

(Foto: imago images/Depo Photos)

Der Jurist hatte Angaben türkischer Asylsuchender überprüft. Das Auswärtige Amt nennt die Inhaftierung des türkischen Anwalts "nicht nachvollziehbar".

Von Christiane Schlötzer, Istanbul, Florian Flade und Erkan Pehlivan

Die türkische Polizei hat nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung einen Anwalt der deutschen Botschaft in Ankara festgenommen, der für das Auswärtige Amt die Angaben von Asylsuchenden aus der Türkei überprüft hat. Dabei stellte die türkische Polizei Hunderte Akten über Asylanträge sicher. Der türkische Anwalt Yilmaz S. wurde bereits am 17. September in Ankara festgenommen. Er soll sich auf dem Weg in die deutsche Botschaft befunden haben.

Medien in der Türkei hatten berichtet, Yilmaz S. würden "Verbindungen zu einer Terrororganisation" vorgeworfen. Nach Informationen von NDR, WDR und SZ erhebt die zuständige Staatsanwaltschaft aber einen anderen Vorwurf: Spionage für Deutschland. Hintergrund könnte sein, dass Yilmaz S. als sogenannter Kooperationsanwalt für das Auswärtige Amt gearbeitet hat. Kooperationsanwälte sollen die Angaben überprüfen, die Asylbewerber in Deutschland gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) machen. Ein Sprecher des BAMF bestätigte auf Nachfrage, dass "im September 2019 ein für die Botschaft in Ankara tätiger Kooperationsanwalt" in Untersuchungshaft genommen wurde. Es sei davon auszugehen, dass auch Unterlagen zu Asylverfahren in die Hände der türkischen Behörden gelangt seien. "Die Betroffenen wurden bereits oder werden zeitnah persönlich über die Situation informiert".

Es dürfte sich dabei mehrheitlich um kurdische Aktivisten oder Gülen-Anhänger handeln. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat Deutschland immer wieder vorgeworfen, angebliche Hintermänner des Putschversuchs von 2016 zu beherbergen.

Der Anwalt eines türkischen Asylbewerbers, Dündar Kelloğlu, erhob gegenüber NDR, WDR und SZ schwere Vorwürfe. "Es ist ein Skandal, dass Deutschland Flüchtlinge nicht ausreichend geschützt hat. Tausende Anfragen wurden durch das BAMF an das Auswärtige Amt gestellt. Dadurch wurden Tausende Flüchtlinge durch deutsche Behörden einer Gefahr ausgesetzt." Zur Überprüfung von Aussagen Asylsuchender nutzen türkische Kooperationsanwälte auch eine vom türkischen Justizministerium betriebene digitale Plattform, die Einblick in laufende Strafverfahren gibt. So ist auch für deutsche Behörden nachvollziehbar, ob Asylsuchende tatsächlich von einem Verfahren in der Türkei bedroht sind. Die Nutzung des Systems im Auftrag des Auswärtigen Amts könnte Yilmaz S. jetzt zum Verhängnis geworden sein - die türkischen Behörden könnten dies als Ausspähmaßnahme werten.

"Wir setzen uns intensiv für eine Klärung der Vorwürfe und eine Aufhebung der Untersuchungshaft ein", heißt es im Auswärtigen Amt. Der Anwalt habe für die Deutsche Botschaft eine "international übliche und unstrittig zulässige Unterstützung" geleistet. "Die Inhaftierung ist für uns daher nicht nachvollziehbar." Eine konsularische Betreuung sei allerdings nicht möglich, da es sich bei dem Juristen nicht um einen deutschen Staatsbürger handelt.

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