Alltagsdesign:Kann man tragen

Ausstellung "Adieu Plastiktüte!"
Geblockt für STIL

Ausstellung "Adieu Plastiktüte!" Geblockt für STIL / Tüte Polyethylen Mehrfarbdruck, 'Natur in Gefahr', 1970er Jahre K -0077 Vorderseite ohne Einlage

(Foto: Landesmuseum Württemberg)

Bald wird die Plastiktüte in Deutschland endgültig aus den Läden verschwinden. Eine Ausstellung zeigt, dass die Wegwerftasche einmal sehr viel mehr war als nur ein praktisches Transportmittel für Konsumgüter.

Von Claudia Henzler

Als Mathias Kotz noch zur Schule ging, hat sein Kunstlehrer einmal eine Einkaufstüte aus dem Kaufhaus Breuninger als Anschauungsobjekt mitgebracht. Nun ist "der Breuninger" in Stuttgart eine bedeutende Institution, doch selbst dort steht das Warenhaus eigentlich nicht auf dem Lehrplan. Grund für die Themenwahl war, dass der Kunstlehrer einigermaßen empört war: Da habe der Breuninger doch ganz frech den Bauhaus-Künstler Josef Albers plagiiert, sagte er den Gymnasiasten und präsentierte eine weiße Tüte, auf die mehrere große Quadrate aufgedruckt waren, ineinander gestellt mit einem nach außen heller werdenden Farbverlauf von Rot nach Gelb. Ein Motiv, das stark an Albers im 1966 geschaffenen Bild "Glow" erinnerte - mit dem Unterschied, dass die Quadrate auf der Breuninger-Tüte zentriert waren.

Mathias Kotz ging damals noch in die Mittelstufe, es muss 1968 oder 1969 gewesen sein. Durch die Breuninger-Tüte wurde er zu der Erkenntnis inspiriert, dass man so ein profanes Ding also auch unter künstlerischen Gesichtspunkten betrachten kann. Und so beschloss er, sich eine Plastiktütensammlung anzulegen. Fünfzehn Jahre lang archivierte Kotz interessante Exemplare. Besonders gut gefielen ihm dabei Aufdrucke mit grafischen Mustern, die Ende der Sechziger- und Anfang der Siebzigerjahre gängig waren.

Heute arbeitet Mathias Kotz als Architekt in Stuttgart. Das Interesse an Gestaltung ist ihm also geblieben, die Sammelleidenschaft aber hatte sich schon mit dem Auszug aus dem Elternhaus gelegt. Die etwa 3000 Plastiktüten lagen lange unbeachtet in jenen Bananenkisten, in die er sie als Jugendlicher geschichtet hatte, bis er sie vor einigen Jahren dem Landesmuseum Württemberg übergab. Nun werden sie digitalisiert und sind auch erstmals in einer Ausstellung zu sehen.

Womöglich werden solche Tüten bald ausschließlich im Museum zu bewundern sein. Denn Anfang November hat die Bundesregierung ein Verbot der handelsüblichen Einkaufstüten beschlossen. Im Laufe des Jahres 2020, wenn auch der Bundestag und der Bundesrat zugestimmt haben, soll es in Kraft treten. Schon jetzt ist ihr Verbrauch in Deutschland stetig zurückgegangen, von sieben Milliarden Stück im Jahr 2000 auf zwei Milliarden im Jahr 2018.

Im Wirtschaftswunder wurde sie zum Sinnbild für das spontane Einkaufsvergnügen

Das ist gut für Umwelt und Ozeane, aber auch ein bisschen schade, wenn man sich die gesammelten Tüten so anschaut. Sie werden mit Stücken aus einer zweiten, jüngeren Sammlung in monatlich wechselnder Auswahl im Museum der Alltagskultur im Schloss Waldenbuch präsentiert, einer Zweigstelle des Württemberger Landesmuseums. Die Ausstellung verzichtet nicht auf eine kritische Einordnung, ist aber vor allem eine Hommage. Ein fast wehmütig stimmender Abgesang auf jenes billige Wegwerfprodukt, das vor sechzig Jahren über die Welt kam, und dessen Geschichte auch etwas über den gesellschaftlichen Wandel erzählt. Auf ein Alltagsobjekt, das nicht nur als Tragetasche, Regenschutz oder Aushilfsrodel diente, sondern eine Zweitfunktion als mobiles Plakat hatte.

Zu sehen sind Designideen aus fünf Jahrzehnten, in denen sich auch die deutsche Wirtschaftsgeschichte spiegelt. Die Aufdrucke erinnern an Läden, die es nicht mehr gibt, und an Phänomene, die vergangen sind. Wer kann sich beispielsweise noch an die Jugendzeitschrift Pop erinnern, die in den Achtzigerjahren farbenfroh auf Polyethylen warb?

Wer die erste Plastiktragetasche erfunden hat, ist umstritten. Die Idee ist wohl in den USA mit dem Siegeszug der Supermärkte aufgekommen. 1960 wurden Patente sowohl in Schweden als auch in Deutschland angemeldet, hat Tütenforscher Heinz Schmidt-Bachem für seine 2001 veröffentlichte Studie "Tüten, Beutel, Tragetaschen" recherchiert. Ebenfalls 1961 gab demnach Horten als erstes deutsches Kaufhaus in großem Stil Plastiktüten an seine Kunden heraus. In den Wirtschaftswunderjahren wurden sie zum Sinnbild für spontanes und unbegrenztes Einkaufsvergnügen. Man musste sich keine Gedanken darüber machen, wie viel man in den Wagen packte, die Verpackung bekam man kostenlos an der Kasse.

Bei den ersten Tüten handelte es sich um sogenannte Hemdchentaschen, wie man sie heute noch aus Gemüseläden kennt: Dünne Taschen mit zwei Trageschlaufen, die ein wenig an Unterhemden erinnern. Schon bald bekamen sie Konkurrenz durch Reiterbandtaschen, die am oberen Rand einen Umschlag haben. Eine Tütenform, die edel aussieht und deshalb immer noch gerne von teuren Modeläden verwendet wird. Standard aber ist seit 40 Jahren die sogenannte Doppelkraft-Tasche, eine einfache Plastiktasche, die rund um das Griffloch durch eine zweiten Plastikschicht verstärkt wurde.

Die Aldi-Nord-Tüte entwarf der Künstler Günter Fruhtrunk. Später bereute er das

Firmen schätzen Tüten als billige Werbefläche, mit der ihre Kunden bereitwillig spazieren gehen. Ist auf der Tüte das Logo eines Luxusladens zu sehen, werden sie oft besonders ausdauernd verwendet. Nur in seltenen Fällen schämen sich die Leute für die Botschaft, die ihre Tüte aussendet. In solchen Fällen geht es dann selten um künstlerische Fragen, sondern meist ums Sozialprestige. Es soll Menschen geben, die mit der Edeka-Tüte zu Aldi gehen, um auf dem Heimweg nicht vom Nachbarn erwischt zu werden. Dabei könnten, was die Gestaltung angeht, zumindest die Kunden von Aldi-Nord mit erhobenem Kinn durch die Stadt laufen. Schließlich wurde das Design mit weißen Streifen auf blauem Grund, das noch immer auf Mehrwegtaschen zu sehen ist, einst von dem Münchner Künstler und Akademieprofessor Günter Fruhtrunk entworfen. Der hat seine Auftragsarbeit allerdings später sehr bereut.

Schon einmal standen Einkaufstüten als Symbol für Rohstoffvergeudung und Umweltverschmutzung in der Kritik. In den Siebzigerjahren kam dann aber nicht nur das Motto "Jute statt Plastik" auf, die Tüten selbst wurden damals ökologisiert und blieben damit einigermaßen salonfähig. Im besten Fall als "Tragetaschen aus 100 Prozent wiederaufbereiteter Verpackungsfolie", manchmal aber auch mit Argumenten, die heute nicht mehr so recht überzeugen wollen: "Ich bin umweltfreundlich, da ich als stabile Einkaufstasche mehrmals verwendbar bin." Selbst der Naturschutzverband WWF Deutschland hat vor vielen Jahren als Werbeträger eine Plastiktüte gewählt und sie mit einem kleinen Zusatztext versehen: "Praktisch und hygienisch - Umweltfreundlich durch gefahrlose Vernichtung". Bei der Verbrennung wird ja nur Kohlenstoffdioxid freigesetzt, was damals noch als normaler Bestandteil der Luft und nicht als Auslöser einer Klimakatastrophe galt. Man hätte es fast vergessen, wenn Mathias Kotz diese Tüten nicht aufbewahrt hätte.

"Adieu Plastiktüte", noch bis zum 3. Juli 2020 im Museum für Alltagskultur in Schloss Waldenbuch.

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