"Die Eiskönigin 2" im Kino:Zwischen Pferde-Kitsch und LSD-Spektakel

"Die Eiskönigin 2" im Kino: Alle sind wieder dabei, und gleich wird auch wieder gesungen - das Ensemble von Disneys "Die Eiskönigin 2".

Alle sind wieder dabei, und gleich wird auch wieder gesungen - das Ensemble von Disneys "Die Eiskönigin 2".

(Foto: Disney)
  • Der erfolgreichste animierte Film überhaupt, "Die Eiskönigin", bekommt nach sechs Jahren Wartezeit eine Fortsetzung.
  • Auch der zweite Teil changiert in seiner ausladenden Zauberhaftigkeit zwischen Pferde-Kitsch und LSD-Spektakel.
  • Eine Rezension mit Tochter-Begleitung.

Von Martin Wittmann

Vor sechs Jahren kam "Die Eiskönigin" in die Kinos, das Märchen avancierte zum erfolgreichsten animierten Film überhaupt. Es basierte sehr lose auf Hans Christian Andersens "Die Schneekönigin" und handelte von Elsa und Anna, zwei Königskindern aus dem nordischen Arendelle. Die eine ausgestattet mit magischen Vereisungskräften und einer davon nicht unabhängigen Identitätsstörung; die andere machtlos, normal und dementsprechend unbeschwerter. Als ihre Eltern auf hoher See Schiffbruch erleiden, soll Elsa Königin werden. Ob ihrer Fähigkeiten vom Volk gefürchtet und bei Anna in Ungnade gefallen, flieht sie in die Isolation. Auf dem Weg zur Wiedervereinigung schließlich findet Elsa "Lass jetzt los"-singend zu sich und Anna einen jungen Mann namens Kristoff. Das ist die grobe Geschichte, wie sie jedes Kind kennt. Die feine Analyse übernahmen die Erwachsenen.

Der Film wurde gefeiert für seine emanzipierten, selbstbestimmten, unabhängigen, impulsiven Heldinnen, die sich stark abhoben von traditionellen Disney-Prinzessinnen. Die hatten sich in der Not noch auf die Prinzen verlassen müssen; diesmal jedoch wurde die todgeweihte Anna durch die Liebe ihrer Schwester gerettet. Elsa wiederum hatte keinerlei Interesse an der männlichen Staffage der Geschichte, was Twitter-Nutzer weltweit zur Forderung #GiveElsaAGirlfriend motivierte. Ein Coming-of-Ice-Age-Movie, das ohne hetero-romantische Erlösung auskam. Kinderkino als Zeitgeisterstunde.

Die junge Monarchin regiert auch die Warenwelt der Kinderzimmer

Das ist die eine Seite. Die andere, kommerziell artverwandte: Bis heute regiert die junge Monarchin auch in der Realität, zum Leidwesen vieler Eltern. Spielzeug, Zahnpasta, Kamm, Brotbox, Fahrrad - die Warenwelt befindet sich im Griff der Eiskönigin. Anna und Elsa sind überall, ihre Bilder omnipräsent, verglichen mit dieser Schwestern-Tapete, die Familienhaushalte, Kindergärten und Schulen überzieht, dürfte die Präsenz von Kim-Jong-un-Porträts in nordkoreanischen Amtsstuben eher dezent sein. Hier wie dort ist Widerstand zwecklos. Wer ein leidlich friedliches und ruhiges Leben führen möchte, nimmt die Ikonen lieber klaglos hin.

Ein Blick in die ferne Zukunft: Elsa und Anna, die damals einen vereisten Sommer erlebten, werden irgendwann einen Winter und vielleicht gar noch einen Frühling erleben, mit den Teilen drei und vier. In die Gegenwart: Jetzt ist erst mal der Herbst da und damit der zweite Teil. Vision: Dieser Film wird wieder einen Eisberg Geld einspielen. Existenzielle Rätsel zwischendurch: Wo kommen wir her, wo gehen wir hin, wer sind wir, und warum trägt Mark Forster selbst im Kinosaal ein Käppi?

So unkontrolliert durch die Erzählung springend muss man sich nun "Die Eiskönigin 2" vorstellen, die seit Donnerstag in den Kinos läuft, hüpft, schlittert und schwimmt. Elsa folgt diesmal einem sirenenartigen Ruf, der sie zu ihrer Bestimmung führen soll und auf eine weitere Heldenreise schickt. Herausgekommen ist ein Jump'n'Run-Abenteuer, das vor allem dank Schneemann Olaf und Rentier Sven gewohnt lustig und clever ist, aber doch deutlich gruseliger und komplexer als der Vorgänger. Klassischer Horror sind jene Szenen im Wald, die aus der Sicht eines unbekannten, sich den Schwestern nähernden Wesens gezeigt werden. In seinen Bezügen erinnert der Familienfilm dann auch nicht mehr an harmlose Märchen, sondern eher an "Das fünfte Element", "Avatar" oder "Indiana Jones".

Zwischen kindlichem Anna-Elsa-Wahnsinn und erwachsenen Feminismustheorien

Die Welten, in denen sich die Eiskönigin bewegt, sind natürlich brillant erzeugt, changieren in ihrer ausladenden Zauberhaftigkeit zwischen Pferde-Kitsch und LSD-Spektakel. Alles mit viel Herz. Umso erstaunlicher ist diesmal leider, wie unausgegoren das Drehbuch von Jennifer Lee ist. Da nerven Annas überraschend klischeehafte Zickereien genauso wie die immer gleichen Sinnfragen ihrer Emo-Schwester (die beiden Twens, nur nebenbei, streifen immer noch grotesk schlank durch die Wälder). Dieser kruden Geschichte kann sich nur vorbehaltlos hingeben, wer das Privileg hat, nicht alles kapieren zu müssen. Kinder zum Beispiel.

So fragt die Sechsjährige, die den Film bei dessen Premiere am Montag in München ansehen konnte, auch nicht nach Konsistenz oder Logik, sondern eben nach der Mütze des Musikers, der als Stargast geladen war. Mark Forster singt das Lied, das den Abspann des Films untermalt und das hier noch wichtig werden wird.

Der Tochter also gefällt der Film sehr, warum genau, kann sie nicht sagen. Beim ersten Teil mochte sie Anna mehr, diesmal Elsa. Punkt. Wovon hängt dieses Kinderurteil überhaupt ab? Ist der globale Anna-und-Elsa-Wahnsinn, der tatsächlich die sechsjährige Pause zwischen den beiden Filmen überlebt hat (in Kinderdimensionen eine Ewigkeit), wirklich mit Feminismustheorien zu erklären, oder steckt da etwas (noch) Magischeres dahinter? Das fragen sich Eltern, die nun eine noch penetranter leuchtende Tapete fürchten.

Die Entmystifizierung der Perfektion der Disney-Maschine

Und wie ist der Erfolg dieser Geschichte, die weltweit gute 1,2 Milliarden Dollar eingespielt hat und damit weit mehr als andere, ähnlich professionell produzierte und vermarktete Disney-Filme, zu wiederholen? Das kann man ja mal einen Mann fragen, der in beiden Fällen dabei war.

"Wenn Sie eine Antwort darauf haben, lassen Sie es mich wissen", sagt Peter Del Vecho, 61, der Produzent der Eisköniginnen-Filme, beim investigativen Gespräch in Berlin. "Natürlich setzen wir uns nach so einem Erfolg zusammen und versuchen zu verstehen, an was es gelegen haben könnte. Aber wir wissen es eben nicht genau. Wir hatten ja auch beim ersten Teil keine Ahnung, wie er ankommt", sagt er, bevor er die Perfektion der Disney-Maschine entmystifiziert beziehungsweise die Freiheit der Disney-Kreativen mystifiziert: In den ersten Entwürfen der "Eiskönigin" waren die Protagonistinnen gar nicht miteinander verwandt, und Elsa war eine klassische Bösewichtin.

Die Geschichte habe sich erst mit der Zeit in unkonventionelle Richtungen entwickelt - auch mithilfe der Songschreiber. Und vor allem mithilfe ihres Liedes "Lass jetzt los": "Die Kraft in mir treibt mich voran, was hinter mir liegt, ist vorbei, endlich frei!" Kristen Anderson-Lopez schrieb das Lied damals unter dem Eindruck der gnadenlosen gesellschaftlichen Erwartung, die auf einer beruflich ambitionierten Frau lastet, die sich genauso ambitioniert um ihre Kinder kümmern möchte.

Hängt alles davon ab, ob das Publikum einen Ohrwurm hat?

Tatsächlich waren es nicht die Charaktere, Witze, Abenteuer oder Effekte, von denen die Tochter über die Jahre schwärmte. Eigentlich schwärmte sie gar nicht, wenn es um die Eiskönigin ging. Sie sang "Lass jetzt los". Ein unheimlicher Verdacht: Könnte es sein, dass da über Jahre Hunderte Leute in der Disney-Fabrik an einem technisch und konzeptionell aufwendigen Film basteln, und am Ende hängt alles davon ab, ob das unberechenbare Publikum einen vierminütigen Ohrwurm hat? Ein sehr teures, langes Musikvideo?

"Wir hören so viele Geschichten zu dem Lied, und das nicht nur von Kindern. Eine ehemals alkoholabhängige Frau erzählte uns, sie sei eine Woche trocken gewesen, als sie den Film gesehen habe. Das Lied habe sie bestärkt, ihre Vergangenheit hinter sich zu lassen. Sie hat sich sogar ein Elsa-Tattoo stechen lassen. Und ein Kriegsveteran, der im Irak seine Beine verloren hatte, erzählte, wie ihm das Lied geholfen habe, sich nicht mehr selbst zu bemitleiden. Auch unter College-Kids ist das Lied sehr beliebt, sie sagen, dass sie unter so großem Erfolgsdruck stünden und der Song sie motiviere, loszulassen und endlich zu tun, was sie wollten.

So wie Elsa den Druck auf ihren Schultern spüre, ein Königreich zu führen, spürten Kinder die Erwartungen ihrer Eltern, sagt Del Vecho. Es wäre die Steigerung des Alltagseskapismus, den das Kino verspricht - die Befreiungshymne im Soundtrack, für Klein und Groß, für eine Gesellschaft unter Dauerdruck: Leckt mich doch alle am Eis, ich bin, wie ich bin. Zur Belohnung für ihren Coup bekamen Kristen Anderson-Lopez und ihr Mann, Robert Lopez, einen Oscar und einen Grammy für das Lied - und nun, in den Credits des zweiten Teils, sind sie gar als Mitverantwortliche für die Story aufgeführt. Die Musik haben sie freilich auch komponiert.

Mark Forster also singt im Abspann die deutsche Version des Hauptlieds, "Wo noch niemand war", das sich mit seinen schwindelerregenden Steigerungen im Refrain anhört wie eine Parodie auf das Höher, Weiter, Schneller der Hollywood-Sequels. Es geht in dem Lied um Elsa, die der Sirene antwortet: "Meine Kraft wird immer stärker, und ich fühl tief in mir, jeden Tag zieht es mich etwas mehr dorthin, wo noch niemand war." Und während man noch rätselt, worum es hier geht (Fernweh? Magnetismus?), kennt die begeisterte Tochter schon den Text auswendig. Ist das Lied gar so gut wie "Lass jetzt los"? Das gefalle ihr schon lange nicht mehr, sagt sie. Wie bitte, seit wann das denn? Seit sechs Jahren, schätzt die Sechsjährige und fordert selig ein Repeat des neuen Liedes.

Eltern ahnen: Eine neue Eiszeit hat begonnen. Und billig wird auch die nicht.

Frozen 2, USA 2019 - Regie: Jennifer Lee, Chris Buck. Buch: Lee. Musik: Robert Lopez, Kristen Anderson-Lopez, Christophe Beck. Disney, 103 Min.

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