Energiewende:Flaute beim Ausbau der Windkraft in Bayern

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  • Vor fünf Jahren ist das bayerische 10-H-Gesetz in Kraft getreten ist.
  • Seither gilt, dass neue Windräder nur dann errichtet werden dürfen, wenn ihr Abstand zur nächsten Siedlung mindestens das Zehnfache der Höhe der Anlagen beträgt.
  • Der Preis, den der Freistaat für die Befriedung der Windkraft-Gegner bezahlt, ist hoch.

Von Christian Sebald, München

Aus der Sicht von Rupert Monn hat sich der harte Einsatz gelohnt. Jahrelang hat der parteilose Bürgermeister von Berg am Starnberger See gegen wütende Anfeindungen dafür gekämpft, dass seine Gemeinde im Staatswald nahe der Autobahn nach Garmisch-Partenkirchen vier Windräder aufstellen darf. Ende 2015 hatte er es geschafft. Seither drehen sich die vier Windräder und produzieren so viel Strom, wie der 3500-Einwohner-Ort insgesamt braucht. In Berg und den Nachbarorten ist es längst wieder ruhig geworden. "Natürlich passt der harte Kern der Windkraftgegner auf, dass wir alle Vorgaben einhalten", sagt der Bürgermeister. "Aber die große Mehrheit steht zu unseren Windrädern, sie sind ein gelungener lokaler Beitrag zur Energiewende."

Am Donnerstag war es genau fünf Jahre her, dass das bayerische 10-H-Gesetz in Kraft getreten ist. Seither gilt im Freistaat, dass neue Windräder nur dann errichtet werden dürfen, wenn ihr Abstand zur nächsten Siedlung mindestens das Zehnfache der Höhe der Anlagen beträgt. Da Windräder inzwischen wenigstens 200 Meter vom Fuß des Turms bis zur Spitze ihrer Flügel hoch sind, beträgt der Pflichtabstand mindestens zwei Kilometer. Mit dem Gesetz wollten der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer und seine CSU die Windkraft-Gegner befrieden, die sich überall in Bayern massiv gegen neue Anlagen wehrten. "Wir müssen auf unsere wunderschöne bayerische Landschaft Rücksicht nehmen", lauteten die Worte, mit denen Seehofer die Abkehr von der Windkraft begründete. "Wir dürfen sie auf keinen Fall mit Windrädern verspargeln."

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Der Preis, den der Freistaat für die Befriedung der Windkraft-Gegner bezahlt, ist hoch. Der Ausbau der Windkraft ist zum Stillstand gekommen. In diesem Jahr sind nur noch zwei Anlagen in Betrieb gegangen, und zwar in den ersten Januar-Tagen. In den folgenden fast elf Monaten wurde kein einziges neues Windrad mehr ans Netz genommen. Dabei halten Experten wie Christof Timpe vom Freiburger Öko-Institut den Ausbau der Windkraft auch in Bayern für unerlässlich. "Die Windkraft ist in Süddeutschland sehr wichtig für die Energiewende und den Klimaschutz", sagt Timpe. "Gerade in den Wintermonaten liefert sie den Ausgleich dafür, dass die Solarkraft nicht so produktiv ist wie im Frühjahr und im Sommer."

Zu Beginn der Energiewende waren die Pläne von Staatsregierung und CSU sehr ambitioniert. Zum Zeitpunkt der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 drehten sich nur gut 400 Windräder in Bayern. Dann präsentierte die Staatsregierung ihr Konzept "Energie Innovativ". Das gut 80 Seiten starke Heft trug in wesentlichen Teilen die Handschrift des damaligen Umweltministers und jetzigen Ministerpräsidenten Markus Söder. Darin hieß es, dass bis 2021 in Bayern bis zu 1500 neue Windräder aufgestellt werden sollten.

Die Windkraft könne bis zu diesem Zeitpunkt laut Branchenschätzungen sogar mehr als 17 Milliarden Kilowattstunden Strom im Jahr liefern. Von solchen Zahlen ist der Freistaat derzeit weit entfernt. Aktuell stehen 1120 Windräder in Bayern. Zusammen produzieren sie knapp 4,6 Milliarden Kilowattstunden Strom im Jahr. Das entspricht gut fünf Prozent des Stromverbrauchs. Ursprünglich strebte die Staatsregierung bis 2021 einen Wert von bis zu zehn Prozent an.

Die Freien Wähler haben inzwischen ihren Frieden mit 10 H gemacht

Gleichwohl halten Staatsregierung und vor allem die CSU unbeirrt an dem 10-H-Gesetz fest. "10 H hat sich bewährt, ist gut und bleibt", sagt Söder. Für den Ministerpräsidenten ist das Gesetz eine sehr bürgerfreundliche Regelung, zumal die Kommunen ja den Mindestabstand mit einer entsprechenden Bauleitplanung unterschreiten können. Im Koalitionsvertrag mit den Freien Wählern hat die CSU deshalb auf den Passus gedrungen, dass das Abstandsgesetz nicht angetastet wird. Im Übrigen zählt Bayern für Söder zu den eher windschwachen Bundesländern, in denen die Potenziale der Windkraft überschaubar seien. Immerhin will die Staatsregierung in der nächsten Zeit in den Staatswäldern hundert neue Windräder aufstellen lassen.

Die Freien Wähler haben inzwischen ihren Frieden mit 10 H gemacht. Als Oppositionspartei haben sie dagegen sogar vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof geklagt, freilich vergeblich. Nun sagt Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger: "Wenn wir 10 H nicht hätten, würden wir uns beim Ausbau der Windkraft leichter tun. Aber wir hätten an vielen Standorten massive Proteste." In Bundesländern ohne Abstandsregelung sei die Verärgerung über die vielen Windräder inzwischen so stark, dass auch dort kaum noch neue Anlagen gebaut würden. "Deshalb müssen wir an der Akzeptanz arbeiten", sagt Aiwanger. Sein Ziel ist es, mit den Kommunen Ideen zu entwickeln, wie man die Bevölkerung für einen neuen Ausbau-Schub gewinnen kann.

Für die Windkraft-Branche, die Grünen und Umweltverbände wie den Bund Naturschutz (BN) ist 10 H einer der Hauptgründe für das Stocken der Energiewende in Bayern. Die bundesweiten Restriktionen, die inzwischen den Ausbau deutschlandweit erschweren, sind nach ihrer Überzeugung eher nachrangig für die Flaute im Freistaat. Auch der neue Vorstoß von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier für einen gesetzlichen Mindestabstand von 1000 Metern von Windrädern zu Siedlungen sei ohne Belang für Bayern, wo ja mindestens der doppelte Abstand Pflicht ist.

Deshalb fordern die 10-H-Kritiker die schnelle Abschaffung des Gesetzes. Der Branchen-Verband BWE Bayern hat sich dieser Tage mit einem Appell an die Staatsregierung gewandt. BWE-Chef Matthias Grote klagt, dass in Bayern bereits Tausende Windkraft-Arbeitsplätze verloren gegangen seien. "Das Sterben der Branche findet im Stillen, aber in der Breite statt", sagt er. Der BWE fordert mit mehr als hundert Unternehmen und Stadtwerken, Wirtschafts-, Umwelt- und Kommunalverbänden sowie der IG Metall den Bau von mindestens 140 neuen Windrädern pro Jahr in Bayern - und zwar bis zum Jahr 2030.

Für die Landtags-Grünen sind 140 neue Windräder pro Jahr die untere Grenze. "Mit der Blockade der Windkraft wird Bayern immer mehr zum Stromimportland, obwohl unser Land ein enormes Potenzial hätte", kritisiert der Abgeordnete Martin Stümpfig. Und was sagt der Berger Bürgermeister Monn, der nicht nur ein parteiloser, sondern auch ein sehr bodenständiger Kommunalpolitiker ist, zu fünf Jahre 10 H? "Das Abstandsgesetz ist eine Katastrophe. Es gehört abgeschafft."

© SZ vom 22.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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