Künstliche Intelligenz:Frustreise nach Paris

Künstliche Intelligenz: Mission künstliche Intelligenz: Ministerpräsident Kretschmann (rechts) und Staatssekretär Ratzmann.

Mission künstliche Intelligenz: Ministerpräsident Kretschmann (rechts) und Staatssekretär Ratzmann.

(Foto: Jana Höffner)

Winfried Kretschmann hat das Warten auf Berlin satt und versucht nun, Europas KI allein voranzutreiben.

Von Leo Klimm und Stefan Mayr, Paris

Was Kretschmann so umtreibt und alle Diplomatie vergessen lässt, ist die künstliche Intelligenz (KI). Mit KI werden Computer bezeichnet, die selbständig dazulernen und Probleme lösen. Ein abstraktes und komplexes, aber auch wichtiges Thema, vor allem für all die Auto- und Maschinenbauer und Zulieferer aus Baden-Württemberg und Deutschland. "KI ist die Dampfmaschine unserer Zeit", brummt Kretschmann, "wir können es uns nicht leisten, als Zaungäste zuzusehen, wie die USA und China die Märkte aufrollen."

"Unsere Konkurrenten sind nicht die Nachbarländer, sondern USA und China."

Die erste Halbzeit habe Europa verloren, fast alle Elektroprodukte für Konsumenten würden in Amerika oder Asien hergestellt. In der zweiten Halbzeit gehe es nun um die letzte Bastion, die Industrie. Wer bei der Vernetzung von Maschinen, Fabriken oder ganzen Wertschöpfungsketten die Nase vorn habe, sei noch nicht entschieden. "Wir können da noch in die Champions League aufsteigen", sagt Kretschmann, "aber nur, wenn wir alles in die Waagschale werfen." Andernfalls? Droht der Absturz in die Kreisklasse.

Das Ende des Wohlstands.

Denn wer künftig die Daten und die Hardware beherrscht, der verdient auch das Geld. Um den superreichen Konzernen aus den USA und den Staatsbetrieben aus China etwas entgegenzusetzen, appelliert Kretschmann an Europas Politiker, Unternehmen und Wissenschaftler, schnell und entschlossen zusammenzuarbeiten. "Unsere Konkurrenten sind nicht die Nachbarländer, sondern USA und China", betont er. "Denen können wir nur standhalten, wenn wir zusammenhalten." Der Grünen-Politiker spricht von einem Projekt "KI made in Europe", das auch europäische Werte wie Menschenrechte achte. "Gerade in der Krise müssen wir die Menschen vom Mehrwert Europas überzeugen", sagt er. Diesen Appell habe er auch Ende 2018 persönlich im Bundeskanzleramt an Angela Merkel gerichtet. "Nach dem Treffen sind wir frohgemut nach Hause gefahren und für Januar war ein Gespräch ausgemacht", berichtet er. "Jetzt ist ein Jahr vorbei und immer noch nichts passiert."

Nun hat er das Warten auf Berlin offenbar satt. Auch deshalb fuhr er diese Woche mit zwei Ministern, Dutzenden Wissenschaftlern und einigen Unternehmern nach Paris, um das Projekt zumindest auf deutsch-französischer Ebene voranzubringen. Kretschmann besuchte die Station F, das angeblich größte Start-up-Zentrum der Welt, er traf französische KI-Forscher und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire.

Im Gespräch mit der SZ lässt Le Maire ebenfalls Ungeduld mit Berlin durchblicken: "Klar ist: Wir müssen schneller vorankommen." Er prüfe gerade mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) "welche konkreten Projekte" es geben könne. Er spricht von "ein oder zwei Leuchtturm-Projekten". Derzeit gibt es da noch nichts. Und das, obwohl auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron alle EU-Länder zur engen Zusammenarbeit aufruft. Für Macron steht bei der KI nichts weniger als die Souveränität Europas auf dem Spiel. "Frankreich kann das nicht allein machen", sagte er jüngst.

Die Regierung will drei Milliarden Euro investieren, viel zu wenig, sagen Kritiker

Auch Bernhard Schölkopf, Direktor des Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme in Tübingen, fordert eine möglichst breite Kooperation und wünscht sich mehr Engagement aus Berlin; Deutschland werde wegen seiner Industrie besonders stark betroffen sein. "Deshalb wäre es wichtig, ambitionierter vorzugehen."

Die Bundesregierung hat exakt vor einem Jahr ihre KI-Strategie veröffentlicht. Diese sieht vor, dass drei Milliarden Euro in Forschung und Ausbildung investiert werden und 100 Professorenstellen eingerichtet werden. 2019 wurden von dem Etat 500 Millionen ausgeschüttet - zu wenig, sagen Kritiker. Und von den Lehrstühlen ist noch keiner besetzt.

Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) treibt das Thema KI inzwischen auf eigene Faust voran: Der Freistaat will in vier Jahren zwei Milliarden Euro investieren und 100 eigene KI-Professuren einrichten. "KI ist ein Zukunftsthema, das groß gedacht und groß gemacht werden muss", sagt Söder. "Der Bund muss die Summe verdreifachen, wenn Deutschland international mithalten will."

Nach zwei Tagen in Paris besteigt Winfried Kretschmann am Bahnhof Paris-Est wieder den TGV Richtung Stuttgart. Sein Fazit? Er spreizt die Finger seiner rechten Hand und klopft mit ihnen auf den Klapptisch. "Die Leute müssen wissen, dass das Silicon Valley und China uns überrollen, wenn wir jetzt nichts unternehmen."

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