Bernhard Reiml im Interview:Akzente setzen und Gutes tun

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In einem kleinen Jobcenter wie dem Freisinger kann man wahnsinnig viel gestalten, denkt Bernhard Reiml - unter anderem, weil die Wege zu den anderen Sozialpartnern sehr kurz sind. (Foto: Marco Einfeldt)

Als Leiter des Freisingers Jobcenters kennt der 46-Jährige die Besonderheiten der Region sehr gut. Diese liegt ihm auch als Vorsitzender des Vereins für Stadtheimatpflege am Herzen.

Interview von Petra Schnirch, Freising

Bernhard Reiml, 46, ist Leiter des Jobcenters in Freising. Bekannt ist er vielen aber vor allem als Vorsitzender des Vereins für Stadtheimatpflege, der viele Führungen in der Stadt und auf dem Domberg organisiert. Die SZ Freising sprach mit ihm über den Alltag in der Behörde und sein Engagement für den Verein.

SZ: Den Vorwurf, Jobcenter seien seelenlose Apparate, hört man immer wieder. Ich nehme an, Sie widersprechen hier?

Reiml: Ja, klar, ganz entschieden. Sie können, gerade in einem kleinen Jobcenter, wahnsinnig viel gestalten. Die Wege zu den anderen Sozialpartnern sind sehr kurz. So können Sie Akzente setzen. Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen pathetisch, aber Sie können in der Region Gutes tun, Sie können etwas verändern.

Ist das der Vorteil einer kleineren Stadt?

Unbedingt. Man kennt sich. Dadurch kann man ganz schnell etwas bewegen.

Die niedrige Arbeitslosenquote trägt sicher auch dazu bei.

Da gibt es zwei Seiten der Medaille. Der Arbeitsmarkt in Freising war ja schon vor dem Flughafen sehr gut. Das hat in erster Linie mit der Infrastruktur, mit der guten Verbindung nach München zu tun. Ein wesentlicher Punkt ist auch, dass die fünf größten Betriebe aus fünf verschiedenen Branchen kommen. Wenn ein Wirtschaftszweig hustet, dann bricht bei uns nicht gleich alles zusammen. Das ist ein großer Segen.

Und die andere Seite?

Die Kehrseite der Medaille ist, dass so ein guter Arbeitsmarkt viele Begehrlichkeiten weckt. Wir haben einen starken Zuzug aus dem gesamten Bundesgebiet, haben Kunden, die hoffen, in Freising irgendwo unterzukommen. Meist wissen sie aber nicht, dass hier in der Region ganz andere Lebenshaltungskosten sind, dass es sehr schwer ist, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Wenn der Umzug ins Blaue erfolgt, haben sie schnell ein großes Problem.

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Dass Bernhard Reiml Vorsitzender des Vereins für Stadtheimatpflege ist, kommt nicht von ungefähr.

Das Freisinger Behörde zählt zu den Jobcentern, die bundesweit am wenigsten Sanktionen verhängen. Liegt das an der guten wirtschaftlichen Lage?

Das eine ist, dass viele unserer Kunden uns nicht lange brauchen, wir haben sehr hohe Zu- und Abgänge. Das andere ist die Philosophie bei uns im Haus: Wir pflegen einen sehr engen Kontakt, sprechen viel mit dem Kunden ab. Meine Einstellung ist: Wir sind nicht da, um zu sanktionieren. Die beiden Schlagworte der Hartz-IV-Gesetzgebung sind "Fördern und Fordern". Nach meiner Ansicht muss das Fördern der dominante Teil sein. Wir geben etwa zwei Millionen Euro im Jahr zielgerichtet für Qualifizierungen, Weiterbildungen, für Fahrkosten, für Führerscheine aus. Es bringt auch nichts, jemanden irgendwo rein zu zwingen, wenn er die Maßnahme dann nicht erfolgreich abschließt.

Bis zu einem gewissen Grad halten Sie Sanktionen aber für notwendig?

Es gibt schon auch Kunden, die mal einen Warnschuss brauchen, wenn beispielsweise vereinbarte Termine ohne wichtigen Grund nicht wahrgenommen werden. Dieses Mittel soll es geben, aber es soll grundsätzlich die Ausnahme sein. Vor allem, weil man sich klar sein muss: Wir zahlen das Existenzminimum aus. Es gibt nichts Schwierigeres für einen Arbeitsvermittler, als wenn der Kunde mehrere Baustellen hat. Dann funktioniert die Arbeitsaufnahme nicht - der hat seinen Kopf dann woanders.

Behördenmitarbeiter klagen zunehmend über Anfeindungen. Erleben Sie so etwas auch?

Ja, das kommt vor, ist aber die Ausnahme. Wir haben in Freising Gott sei Dank noch keine Übergriffe gehabt. Bisher war das immer verbaler Natur, es gab Beleidigungen, Bedrohungen. Wir zeigen hier null Toleranz, im persönlichen Gespräch oder in Form eines Hausverbotes. Wenn es zu Vorfällen mit Gewaltausübung kommt, bringt man die zur Anzeige.

Sie sind auch Vorsitzender des Vereins für Stadtheimatpflege, sehen Sie dies als Ausgleich zu Ihrer Arbeit?

Es ist einerseits Ausgleich, andererseits sind wir wieder beim Thema: In der Region, in der Sie leben, können Sie etwas verändern beziehungsweise erhalten, bewahren. Und Sie sehen ganz schnell Erfolge.

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Was freut Sie besonders?

Das sind die erfolgreichen Kooperationen, unter anderem mit der Stadt und der Erzdiözese. Freising war ja als alte Brauerstadt mit Bierkellern reichlich gesegnet, doch viele sind verloren gegangen. Die Sporrerkeller sind die einzigen, die in öffentlicher Hand sind. Die Stadt Freising hat sie der Brauerei Weihenstephan abgekauft und viel in die Erhaltung investiert. Der Verein macht die Keller für Führungen zugänglich, veranstaltet Lesungen - und wir beschäftigen uns mit der Erforschung. Die Keller waren ja nicht nur für die Bierlagerung interessant, während des Zweiten Weltkriegs waren es Luftschutzräume. Das Zweite ist der Weinberg am Domberg-Südhang, den der Verein wiederbeleben konnte. Wir wissen, dass im Mittelalter in unserer Gegend viel Wein angebaut worden ist, so auch am Domberg. Wir sehen dies als unseren Beitrag zum Versuch, den früheren fürstbischöflichen Hofküchengarten zu revitalisieren und zugänglich zu machen.

Was steht als Nächstes an?

Wir wollen mehr mit den Schulen kooperieren und aktive Heimatkunde betreiben, damit es nicht zu trocken wird und Lust auf mehr macht. Im Regelfall kommen die Erwachsenen zu uns. Aber das Interesse an der Freisinger Geschichte sollte früh geweckt werden, dann bleibt es auch.

Gefallen Ihnen die Pläne der Erzdiözese für den Domberg?

Es ist gut, dass etwas passiert und dass dies im Gesamtpaket geschieht. Der Domberg ist die Keimzelle der Diözese. Man will dort wieder einen lebendigen Ort der Begegnung schaffen, dies muss man dem Bauherrn hoch anrechnen. Bei dieser Gelegenheit sollte man unbedingt den Steinernen Saal im Residenzgebäude wieder herstellen, egal in welcher Ausstattung. Das ist eine einmalige Chance für dieses Haus als Tagungsort, aber auch für uns Freisinger. Die kommt sonst nie wieder. Der Erhalt des Turms auf der Südseite wäre mir auch ein Anliegen. Er ist stadtbildprägend, egal ob Sie vom Bahnhof kommen oder am Wörth stehen. Freising könnte einen Aussichtsturm in dieser Lage gut vertragen.

In den vergangenen Jahrzehnten ist in Freising viel abgerissen worden, um was tut es Ihnen besonders leid?

Wenn ich mir den Domberg anschaue, ist es unverzeihlich, dass man die Martinskapelle abgerissen hat, eines der ältesten Baudenkmäler in Freising. In der Stadt ist der Woolworth ganz markant. Auf dem Areal waren früher eine große Brauerei, ein Tanzsaal und ein Kino. Der Bau heute ist völlig überdimensioniert, auch der Blick von hinten, von der Fischergasse, ist eine Katastrophe. Ebenfalls mit Sorge sehe ich, dass in Neustift die kleinen Häuser peu à peu verschwinden - eine Stadt lebt auch von der Historie, von ihrem Charme.

Was schätzen Sie an Freising ganz besonders?

Freising hat ein sehr großes kulturelles Angebot, es gibt kaum einen Tag, an dem nicht zwei, drei Veranstaltungen sind. Das andere ist: Trotz des Siedlungsdruckes gibt es noch viele Grünflächen, das übersehen viele Leute.

Einer Ihrer Lieblingsplätze in Freising?

(überlegt) Das ist eine sehr schwierige Frage. Der schönste Lieblingsplatz ist der Südhang am Domberg. Die Rosenterrasse der Residenz ist ein fast schon magischer Ort. Bei Föhn haben Sie München und das Alpenpanorama vor sich. Dann wird einem so langsam bewusst, dass da oben auf dem Berg bayerische Geschichte geschrieben wurde.

© SZ vom 25.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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