Baubranche:Tricks auf dem Bau

Prognose zur wirtschaftlichen Entwicklung der Bundesländer

Auf deutschen Baustellen fehlen Fachkräfte - sie werden deshalb zunehmend aus dem Ausland geholt.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)
  • Slowenien verlangt von im Ausland tätigen Unternehmen geringere Sozialversicherungsbeiträge.
  • Deutsche Gewerkschaften sehen darin einen Verstoß gegen EU-Recht und legen bei der EU-Kommission Beschwerde ein.
  • Es besteht die Sorge, dass andere EU-Staaten das Modell kopieren und ein Wettbewerb um niedrige Lohnkosten entsteht.

Von Simon Groß

Auf deutschen Baustellen geht es mittlerweile international zu. Bauunternehmer engagieren jeden zehnten Arbeiter im Ausland, meist stammen sie aus Osteuropa. Es sind größtenteils Unternehmen aus Österreich, Polen und Rumänien, die die Arbeiter in Deutschland anbieten - ein lukratives Geschäft, denn hierzulande ist in den vergangenen Jahren die Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften kräftig gestiegen. Zum einen, weil die Auftragsbücher gut gefüllt sind, es vielen Betrieben aber an den nötigen Fachkräften fehlt. Zum anderen sind die ausländischen Firmen günstig. Nicht selten geht das zulasten der Arbeiter, die oft niedrigere Löhne erhalten als ihre heimischen Kollegen. Und auch bei den Sozialversicherungsbeiträgen versuchen jene Unternehmen immer wieder, sich einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

Jetzt hofft die deutsche Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau) auf ein europäisches Machtwort in der Sache - seit dem 23. Oktober liegt der Europäischen Kommission eine Beschwerde über Slowenien von der IG Bau vor. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) haben sich dem angeschlossen.

Der Grund des gewerkschaftlichen Unmuts liegt darin, dass Slowenien von Unternehmen, die Arbeiter ins Ausland schicken, niedrigere Sozialversicherungsbeiträge verlangt als von denen, die im heimischen Gewerbe tätig sind. Anstelle des vollen Satzes müssen jene Unternehmen in Slowenien nur 60 Prozent des Sozialversicherungsbeitrags zahlen. Zudem bemessen sich die Abgaben nicht an den tatsächlich gezahlten Löhnen, sondern am slowenischen Durchschnittslohn.

Für die IG Bau handelt es sich dabei um einen Fall von "staatlicher Lohnkosten-Trickserei" und rechnet vor: Auf einer Baustelle, auf der im Durchschnitt 40 Beschäftigte arbeiten, spart ein im Ausland tätiges Unternehmen gegenüber einem in Slowenien aktiven Unternehmen im Jahr 41 400 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen. Im Vergleich zu deutschen Unternehmen, die neben höheren Beitragssätzen auch einen höheren Lohn zahlen, liegt der Bonus sogar um ein Vielfaches höher. Die Gewerkschaften monieren daher eine doppelte Diskriminierung. Die Regelung benachteilige sowohl slowenische als auch deutsche Unternehmen, die jeweils die vollen Beitragssätze zu leisten hätten. Und das wiederum falle auf die Arbeitnehmer zurück, sagt Fritz Heil von der IG Bau. Im deutschen Baugewerbe sei es wegen der günstigen Konkurrenz aus dem Ausland ohnehin schwierig, die Tariflöhne durchzusetzen. "Wenn jetzt auch noch an Lohnnebenkosten geschraubt wird, führt das dazu, dass tariflich Beschäftigte entlassen und ausgetauscht werden."

Wenn die Kommission Slowenien das durchgehen lässt, könnte es bald Nachahmer geben

Das slowenische Gesetz trat bereits 2012 in Kraft, es hat also eine Weile gedauert, bis die IG Bau aktiv wurde. Das liegt auch daran, dass die knapp 4 500 Arbeiter, die im Jahr 2017 aus Slowenien entsendet wurden, im Vergleich zu der Gesamtzahl von 85 000 Wanderarbeitern in Deutschland nicht stark ins Gewicht fallen. Auffällig ist jedoch, dass Slowenien im Verhältnis zu seiner Größe viele Arbeitnehmer ins Ausland schickt, nicht nur in der Baubranche. Zudem gebe es eine hohe Dunkelziffer, da ausländische Beschäftigte oft gar nicht erst bei den Behörden gemeldet würden.

Nicht zuletzt geht es der Gewerkschaft um einen Abschreckungseffekt: "Wenn die Kommission Slowenien das durchgehen lässt, was hindert dann andere Länder daran, dieses Modell zu kopieren? Das ist wie beim Steuerwettbewerb: Wenn einer damit anfängt, entsteht ein Sog nach unten, eine Negativspirale, der andere folgen", betont Heil.

Um das zu verhindern, setzen die Gewerkschaften auf ein rechtliches Mittel, das auch aus der Bekämpfung des Steuerwettbewerbs zwischen den EU-Mitgliedsstaaten bekannt ist - einem Verfahren wegen verbotener staatlicher Beihilfen. Damit wurde zuletzt Irland gezwungen, Steuergeld von Apple in Milliardenhöhe zurückzufordern. Nun wollen die Gewerkschaften die EU-Kommission dazu bringen, das gleiche Recht im Falle Sloweniens anzuwenden. Wären sie erfolgreich, müssten die slowenischen Unternehmen ihren Bonus dem eigenen Staat zurückzahlen, samt Zinsen. "Das ist ein scharfes Schwert, aber wir betreten hier rechtliches Neuland", sagt Susanne Wixforth vom DGB. Die Ausgestaltung der Sozialversicherungssysteme sei grundsätzlich Sache der Mitgliedsstaaten. Daher könne sie kaum einschätzen, ob die Kommission tatsächlich ein solches Verfahren einleiten wird. "Für uns wäre es schon ein Erfolg, wenn die Praxis eingestellt wird. Es geht uns nicht darum, einzelne Unternehmen an den Pranger zu stellen", sagt Wixforth.

In einem zweiten Schreiben hat die IG Bau die Kommission gebeten, ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Diskriminierung und unfairem Wettbewerb gegen Slowenien anzustrengen. Auch hier sind die Chancen auf Erfolg ungewiss: Einmal angestoßen, ist ein solches Verfahren nur schwer wieder einzufangen, die Hürde dafür liegt entsprechend hoch. Auf Anfrage teilt die Europäische Kommission mit, dass derzeit geprüft werde, ob die slowenischen Gesetze im Einklang mit dem EU-Recht stehen.

Der Ruf nach den europäischen Institutionen diene auch dazu, die Aufmerksamkeit auf die grundsätzliche Problematik zu lenken, sagt Wixforth. Eine Novellierung der europäischen Entsenderichtlinie tritt kommendes Jahr in Kraft. Sie soll sicherstellen, dass ausländische Arbeiter künftig die gleichen Löhne für die gleiche Arbeit am selben Ort bekommen. Nun gelte es, auch bei den Sozialversicherungsbeiträgen Schlupflöcher zu schließen, betont die Gewerkschafterin.

Doch nicht nur in Deutschland regt sich Unmut, auch in Österreich. Dort hat das Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz nach eigenen Angaben bereits Kontakt zur slowenischen Regierung aufgenommen, es gab Beschwerden von österreichischen Sozialpartnern. In den vergangenen Jahren hätten die Entsendungen aus Slowenien, vor allem im Bausektor, stark zugenommen. Österreich ist nach Deutschland das Land, in das slowenische Unternehmen die meisten Arbeiter schickt. Die Gespräche mit der slowenischen Regierung seien bisher konstruktiv verlaufen, heißt es aus dem Ministerium.

In Deutschland beschäftigt das Thema bisher nur die Gewerkschaften, auf Seiten der Arbeitgeber sieht man bis jetzt kein Problem. Weder beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) noch beim Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB), der vor allem kleinere Betriebe vertritt, hätten sich Unternehmen beschwert, sagen Verbandsvertreter. Stefan Brettschneider vom ZDB: "Ich glaube nicht, dass es echte Verdrängungseffekte gibt, weil in den vergangenen Jahren alle händeringend nach Arbeitskräften gesucht haben." Mittlerweile würden körperlich sehr belastende Tätigkeiten überwiegend von ausländischen Kräften angeboten. Und wenn Baufirmen in Erwägung zögen, Aufträge über günstigere Unternehmen aus dem Ausland abzuwickeln, müssten auch Kosten für Kontrolle und Ausbesserungen von Mängeln einkalkuliert werden. Möglicherweise könne es in Zukunft aber zu einem erhöhten Wettbewerb zwischen deutschen und ausländischen Firmen kommen, wenn es im Baugewerbe nicht mehr so gut laufe wie heute, sagt Brettschneider.

Für Marko Tanasic vom Verband der freien Gewerkschaften Sloweniens (ZSSS) stehen die Verlierer dagegen jetzt schon fest: die slowenischen Wanderarbeiter - wobei der Großteil von ihnen gar nicht aus Slowenien stamme, sondern aus anderen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens, viele Bosnier und Serben seien darunter, berichtet der ehemalige Polizist. Tanasic erklärt, dass ihr Anspruch auf Arbeitslosenversicherung, Krankengeld oder eine angemessene Rente durch die geringen Sozialversicherungsbeiträge dahinschmelze. "Sie sind gefangen. Sie können es sich nicht leisten, arbeitslos oder nur krank zu werden, sie müssen arbeiten", sagt Tanasic. Außerdem hätten sie in ihrer Heimat meist eine Familie zu versorgen. Das wüssten die Unternehmen und nutzten die schlechte Verhandlungsposition der Arbeiter oft schamlos aus. Es sei gängige Praxis, den Arbeitern in mündlichen Verabredungen höhere Löhne zu versprechen, als dann später tatsächlich gezahlt würden. Auch deshalb unterstütze er den Vorstoß der IG Bau voll und ganz.

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