Barenboim dirigiert:Einem echten Löwen sind Sandalen zu klein

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Samson (Brandon Jovanovich) und Dalila (Elina Garanca) in der nach ihnen benannten Oper von Camille Saint-Saëns. (Foto: Matthias Baus)

Camille Saint-Saëns' Anti-Oper "Samson et Dalila" ist eher oratorisch als dramatisch. Damit hat Barenboim in Berlin überhaupt kein Problem. Wohl aber der in Sandalenopern verliebte Regisseur Damián Szifron.

Von Julia Spinola

Kinder und Tiere haben auf der Opernbühne nichts zu suchen, geht eine alte Theaterregel. Den argentinischen Film- und Serienregisseur Damián Szifron kümmert das bei seinem Opernregiedebüt an der Berliner Staatsoper wenig. Kaum erheben sich die ersten Klänge aus dem Graben, läuft ein Schäferhund durch die biblische Styroporlandschaft, die Étienne Pluss für Camille Saint-Saëns' Oper "Samson et Dalila" entworfen hat.

Während das von den Philistern unterdrückte jüdische Volk im Eingangschor Gott um Hilfe anfleht, wird eine Kinderleiche betrauert. Wenige Minuten später demonstriert Samson seine Löwenkräfte, indem er einen riesigen Stierkadaver an einem Strick über die Bühne wuchtet, dass die Pappmachéfelsen nur so zittern. In diesem Stil geht es weiter. Die Philister gehen als Fantasyfiguren mit absurden Helmen ihren blutrünstigen Götzenritualen nach. Sie weihen ihre kahl geschorenen Kinder in okkulten Initiationsriten in die Kunst des Kehledurchschneidens ein und lassen ihre Frauen im Bacchanal des dritten Aktes halb nackt in einem Brunnen tanzen, als wollten sie Butter stampfen.

Während der ersten Begegnung Samsons mit der hinterhältigen Philisterin Dalila führt ein Tänzerdouble der Figuren den Traum einer gelungenen Liebesbeziehung vor, bei dem auf den ersten Kuss binnen Sekunden Schwangerschaft und ein promptes Kleinfamilienglück mit zwei munter über die Bühne hüpfenden Bilderbuchkindern folgt. Der zweite Akt zeigt das höhlenartige Nachtlager der Dalila, die mit Steinen Feuer macht, bevor sie, vom Bühnennebel umwogt, Samson seine kraftspendende Haarpracht abschneidet, woraufhin sich der Allmächtige mit gefährlich zuckenden Gewitterblitzen am Sternenhimmel bemerkbar macht.

Den dritten Akt würzt Damián Szifron mit Folterszenen, wie sie die IS-Terroristen in der Welt verbreitet haben, bevor Samson, dem Gott für einen Moment seine Kraft zurückgeschenkt hat, die Säulen des Dagontempels der Philister zum Einstürzen bringt. Dass Dalila den Oberpriester des Dagon am Ende ersticht, ist die einzige überraschende Wendung, mit der die Inszenierung in den letzten Sekunden doch noch so etwas wie eine Deutung wagen möchte. Nach diesem Abend des dekorativen Arrangements von Chormassen und Solisten wirkt sie jedoch so angeklebt wie die langen Bärte der weisen Hebräer.

Daniel Barenboim kostet mit der fabelhaft nuanciert spielenden Staatskapelle die stilistische Vielfalt der Partitur aus

Was hat sich die Lindenoper nur dabei gedacht, dieses ohnehin zu oratorischer Statik neigende Werk vollständig ironiefrei als monumentale Sandalenoper auf die Bühne zu bringen?

Musikalisch immerhin kann man sich an diesem Premierenabend auf das Niveau der Staatsoper verlassen. Daniel Barenboim kostet mit der fabelhaft nuanciert spielenden Staatskapelle die stilistische Vielfalt der Partitur aus, von ihren sinnlich-flirrenden Klangfarben über die chromatisch gefärbten melodischen Linien bis zu den suggestiv aufgebauten Steigerungen des Bacchanals. Auch der präzise einstudierte Staatsopernchor hat keine Mühe, die Fugati der Trauer- und Jubelchöre klangschön mit Leben zu erfüllen.

Die rollenerfahrene Elīna Garanča führt ihren lyrischen Mezzosopran makellos und in vorbildlichen Legatobögen durch die Partie der Dalila, bleibt der Figur jedoch sowohl die abgründigen, gefährlichen Tiefen, als auch jene zerbrechliche Leidenschaft schuldig, mit der einst eine Maria Callas die Ambivalenzen dieser zwischen Obsession, brennender Sehnsucht und Rachegelüsten schillernden Frau so einzigartig ausloten konnte. Michael Volles imponierender Baritonwucht nimmt man den dämonischen Oberpriester des Dagon in jedem Takt ab, während Brandon Jovanovich in der Rolle des Samson mit seinem herben, wenig farbenreichen Tenor ein wenig blass bleibt. Jubel für die Musiker und lautstarke Buhs für ein Regieteam, das so weit hinter den Regieerrungenschaften der letzten fünfzig Jahre zurückbleibt, dass es noch dem konservativsten Opernbesucher den Atem verschlagen musste.

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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