Kriminalität:Schweigend

In Freiburg stehen junge Migranten vor Gericht: Über erschütternde Gewissheiten in einer weltoffenen Stadt.

Von Claudia Henzler und Thomas Hummel

Es ist eine unwirtliche Gegend in der sonst so schönen Stadt Freiburg. Ein graues Industriegebiet im Norden. Ein Baumarkt, in dessen Untergeschoss sich die Disco "Hans-Bunte- Areal" befindet, Treffpunkt für Freunde von Elektround Technomusik. Nahe der Straße stehen ein paar Bäume und Büsche. Hier soll im Oktober 2018 der Syrer Majd H., wegen seiner Gewalttätigkeit polizeibekannt, eine 18-jährige Studentin vergewaltigt haben, als sie nach der Einnahme von Drogen und Alkohol wehrlos war. Anschließend soll Majd H. in die Disco zurückgegangen sein, um seine Kumpel anzustiften, sich ebenfalls an der jungen Frau zu vergehen. Mindestens sieben Männer sollen seiner Aufforderung gefolgt sein. Einer nach dem anderen.

DEU Deutschland Freiburg im Breisgau 16 09 2018 Freiburg im Breisgau Münster Seit langer Zeit

Freiburger Stadtansicht: Die mutmaßliche Gruppenvergewaltigung einer 18-Jährigen weckte tiefsitzende Ängste; Ministerpräsident Winfried Kretschmann fordert Härte gegen „Tunichtgute“.

(Foto: Arnulf Hettrich/imago images)

Als die Polizei nach den Tätern suchte, stieß sie auf elf Verdächtige: acht Syrer, einen Iraker, einen Algerier und einen Deutschen. Elf Männer im Alter von 18 bis 30 Jahren, von denen drei mittlerweile nur noch als mögliche Mitwisser angeklagt sind, die der jungen Frau nicht halfen. Dass fast alle von ihnen als Geflüchtete ins Land kamen, hat dem Fall eine politische Sprengkraft gegeben. Und so stellte sich gleich nach der mutmaßlichen Tat die Frage: Wie umgehen mit einem so schwerwiegenden Verbrechen, das Ressentiments und Vorurteile schürt? Das droht, die Debatten in der Gesellschaft zu verschieben?

Vergewaltigung in Freiburg

Tatort Industriegebiet: Hier soll das Verbrechen geschehen sein.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)

Schließlich war Freiburg fast genau zwei Jahre zuvor schon einmal erschüttert worden, als die Studentin Maria Ladenburger von einem Afghanen vergewaltigt und ermordet wurde. Sollte die Stadt, die so stolz ist auf ihr liberales, weltoffenes Klima und ihre Hilfsbereitschaft, ihren Umgang mit Flüchtlingen überdenken? Weil einige der Tatverdächtigen bereits mehrmals mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren, sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen, man müsse verhindern, dass sich solche "Tunichtgute" in der Anonymität der Großstadt zu Gruppen zusammenschließen. Viele Politiker forderten mehr Härte im Umgang mit auffälligen Flüchtlingen und Mehrfachtätern. Auch fremdenfeindliche Hetzer meldeten sich zu Wort. Andere warnten davor, aus einem Einzelfall ein generelles Problem zu konstruieren. Und die Badische Zeitung machte darauf aufmerksam, dass es am Freiburger Landgericht schon einmal einen Prozess wegen einer Gruppenvergewaltigung gab: 1983 wurden elf Männer verurteilt, weil sie eine 19-Jährige mehrmals und unter Gewaltanwendung missbraucht hatten. Sie waren Mitglieder einer Rockerbande und Deutsche.

Prozess Gruppenvergewaltigung in Freiburg

Der Prozess: Zu Beginn sitzen elf Angeklagte sowie Justizbeamte im Landgericht seitlich hinter ihren Anwälten.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)

Die Freiburger haben sich zumindest in ihrem Wahlverhalten erst einmal nicht beeindrucken lassen von der Tat. Bei der Kommunalwahl im Mai 2019 kam die AfD nicht über 3,6 Prozent hinaus, während die Grünen wieder stärkste Kraft wurden und auf 26,5 Prozent zulegten.

Was genau sich am 14. Oktober 2018 an der Hans-Bunte-Straße ereignet hat, wird juristisch noch immer aufgearbeitet. Am ersten Prozesstag Ende Juni begann ein Kampf um die öffentliche Deutungshoheit, bei dem es immer wieder unappetitlich zugeht. So steckten am Rande der Verhandlung Verteidiger den anwesenden Journalisten angebliche Details über die Tatnacht, die einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit der Frau werfen sollten.

Prozess Gruppenvergewaltigung in Freiburg

Angeklagter in Fußfesseln: An manchen aus der Clique waren Integrationsangebote weitgehend abgeprallt.

(Foto: Patrick Seeger/dpa)

Ein Urteil ist erst im Frühjahr 2020 zu erwarten. Wem die Tat zweifelsfrei nachzuweisen ist, muss die aufwendige Beweisaufnahme zeigen. Die meisten Angeklagten schweigen, nur zwei haben sich zu den Vorwürfen geäußert, darunter der Hauptverdächtige Majd H. Beide bestreiten den Geschlechtsverkehr nicht, behaupten aber, dass der nicht nur einvernehmlich war, sondern die junge Frau regelrecht danach verlangt habe.

Die Anklage geht dagegen davon aus, dass das Opfer wehr- und hilflos war. Eine Darstellung, die zwei Rechtsmediziner Anfang November gestützt haben. Die Verletzungsspuren, die das Gericht unter Ausschluss der Öffentlichkeit begutachtete, sollen zur Aussage des Opfers passen, dass sie gewaltsam festgehalten wurde. Und nach Einschätzung eines forensischen Toxikologen hatte die 18-Jährige, die an jenem Abend zum ersten Mal Ecstasy genommen hatte, erheblich mit den Folgen einer Überdosierung zu kämpfen. Sie hatte eine Pille geschluckt, die eine für ihre Statur doppelt zu hohe Dosis enthielt. Verwirrtheit und eine eingeschränkte Motorik seien typische Nebenwirkungen.

Polizisten auf Segways in Freiburg

Patrouille auf Segways: Nach der Tat hat die Freiburger Polizei ihre Präsenz spürbar erhöht.

(Foto: Patrick Seege/picture alliance)

Das Gericht befasste sich auch mit den Lebensgeschichten der Angeklagten. Die meisten sind aus Syrien vor dem Krieg geflüchtet, viele alleine gereist, teilweise noch als Jugendliche. In Deutschland kamen sie schwer damit klar, von ihren Familien getrennt zu sein und sich in einer neuen Gesellschaft integrieren zu müssen. Dabei sind in Freiburg die Voraussetzungen gut. Sprachkurse, Ausbildungsplätze, Weiterbildung - seit 2018 gibt es zudem wie in ganz Baden-Württemberg Integrationsmanager, die auf jeden Geflüchteten zugehen sollen, um mit ihm ein Integrationsprogramm zu vereinbaren. Möglichkeiten gibt es also. Doch die Männer müssen auch wollen.

Einige von ihnen verfielen Drogen und Gewalt, sie standen schon wegen Diebstahls, Körperverletzung oder Drogenhandels vor Gericht. Der damals 21 Jahre alte Hauptangeklagte Majd H. galt in der Stadt als Intensivtäter. Um ihn herum gruppierte sich offenbar eine Mitläuferszene.

Noch läuft der Prozess, doch politische Konsequenzen sind bereits sichtbar. Stadt und Land behalten die Gruppen junger gewaltbereiter Männer in Freiburg nun stärker im Auge. Sie werden aus der Anonymität geholt. Der Stadtrat hat die Zahl der Streetworker verdoppelt und den kommunalen Sicherheitsdienst aufgestockt. Die Polizei hat eine Sondergruppe verstärkt, die sich speziell mit Intensivtätern befasst - das sind ein paar Dutzend junge Männer, auch mit deutschem Pass, die immer wieder auffällig werden. Die Beamten sind am Wochenende dort unterwegs, wo sich Cliquen treffen, um gemeinsam Alkohol zu trinken, wo immer wieder Streit ausbricht. Sie können Platzverweise ausstellen, Jugendliche zu den Eltern begleiten oder nur ein paar ermahnende Worte sprechen.

Die Kombination aus Prävention und Sanktion zeigt offenbar Wirkung: Die Straßenkriminalität geht messbar zurück. Dass Anfang 2020 an mehreren Plätzen eine Videoüberwachung installiert werden soll, stößt im linksliberalen Freiburg allerdings auch auf Kritik. Wo liegt der beste Weg zwischen Freiheit und Sicherheit? Nach den schweren Verbrechen muss ihn die Stadt wieder neu finden.

Claudia Henzler ist SZ-Korrespondentin in Baden-Württemberg, Thomas Hummel ist Reporter der Online-Redaktion.

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