Studie:Jedes vierte Schulkind in Bayern hat psychische Probleme

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Zwei Prozent aller Kinder in Bayern zwischen zehn und 17 Jahren leiden an einer diagnostizierten Depression.

(Foto: imago)

Entwicklungsstörung, Depression, Angst: Eine Studie zeigt Schwierigkeiten von Mädchen und Jungen auf und will damit ein Tabu brechen.

Von Dietrich Mittler

Jedes vierte Schulkind in Bayern leidet unter psychischen Problemen. Dies geht aus dem neuen Kinder- und Jugendreport der DAK Gesundheit hervor, den die Kasse am Dienstag in München vorgestellt hat. In der Altersgruppe der Fünf- bis Neunjährigen ist der Anteil jener Kinder, die aufgrund einer psychischen Erkrankung behandelt werden müssen, besonders hoch - er liegt bei 35 Prozent. Vielfach werden sie durch sogenannte Entwicklungsstörungen auffällig, insbesondere im Bereich der Sprachentfaltung. Entwicklungsstörungen zählen - über alle Alterstufen hinweg - zu den am häufigsten auftretenden psychischen Erkrankungen. An zweithäufigsten werden emotionalen Störungen diagnostiziert, zu denen etwa die Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) zählt.

"Diese Kinder fallen auf", sagte Sophie Schwab, die Leiterin der bayerischen DAK-Landesvertretung, bei der Vorstellung des Reports. Ganz anders ist es um jene Kinder und Jugendlichen bestellt, die in eine Depression hineinrutschen, die plötzlich still und antriebslos werden. Ihre Zahl ist angestiegen. Basierend auf den von einer Forschungsgruppe der Universität Bielefeld ausgewerteten DAK-Versichertendaten von knapp 107 000 Kinder und Jugendlichen in Bayern waren im Erhebungsjahr 2017 hochgerechnet fast 17 000 Schulkinder landesweit wegen einer depressiven Episode oder wegen anhaltender depressiver Störungen in ärztlicher Behandlung.

Mehr als 20 000 Kinder und Jugendliche im Freistaat litten wiederum an einer sogenannten Angststörung. All diese Kinder, so sagte DAK-Landeschefin Schwab, stünden immer noch zu sehr im Schatten. "Sie leiden im Stillen. Mit unserem Report wollen wir also auch dazu beitragen, hier ein Tabu aufzubrechen", sagte Schwab. In Konsequenz sei der Schwerpunkt des Reports auf "Ängste und Depressionen bei Schulkindern" gelegt worden. Es gelte aufmerksamer hinzuschauen - ob in der Schule, in der Familie oder auch im Sportverein.

Insgesamt zwei Prozent der in Bayern bei der DAK versicherten Jungen und Mädchen zwischen zehn und 17 Jahren litten 2017 an einer diagnostizierten Depression. "Wir müssen aber von einer hohen Dunkelziffer ausgehen", sagte Julian Witte, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bielefelder Lehrstuhls für Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement an der Erstellung des DAK-Kinder- und Jugendreports beteiligt war. Oft beginne der Leidensweg der Betroffenen mit Symptomen, die zunächst auf rein körperliche Beschwerden schließen lassen. "Häufige Bauch- und Kopfschmerzen sind aber ein wichtiger Indikator dafür, dass auch eine Depression vorliegen könnte", sagte Witte.

Depressionen werden bei Schulkindern eher in den städtischen als in den ländlichen Regionen Bayerns diagnostiziert. Woran das liegt, darauf kann die gut 150-seitige Studie keine Antwort geben. Möglicherweise, sagte Witte, liege das ja auch an einer im Vergleich zum ländlichen Raum dichteren Angebotsstruktur bezüglich der psychologischen Versorgung.

Fest steht indes: Mädchen weisen vom Jugendalter an eine mehr als doppelt so hohe Depressionshäufigkeit auf als Jungen. Der Münchner Kinder- und Jugendpsychiater Franz Joseph Freisleder - er ist der Ärztliche Direktor des Kbo-Heckscher-Klinikums in der Landeshauptstadt - hat in mit dem Journalisten Harald Hordych im Buch "Anders als die Anderen" festgehalten, was solche Mädchen krank werden ließ. In einem konstruierten Fallbeispiel heißt es da: "Offenbar geht es ihr in seelischer Hinsicht schon seit Langem schlecht." Und weiter: Ein Wendepunkt in Lauras Leben sei vor vier Jahren der Tod ihres Vaters gewesen. Danach habe sich das Leben ihrer Familie "immer mehr verändert". Die Mutter habe eine Stelle im Supermarkt annehmen müssen. Alleingestellt für die Familie aufkommen zu müssen, dies habe sie wohl völlig überlastet - und so habe die Mutter zu trinken angefangen.

"Natürlich spielt die Familie für ein Kind eine ganz große Rolle", betonte Adelina Mannhart, die stellvertretende Ärztliche Direktorin am Kbo-Heckscher-Klinikum, die am Dienstag als Expertin an der Vorstellung des DAK-Reports teilnahm. Häufig kämen viele Dinge zusammen, die dazu führten, dass psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen so sehr zunehmen, dass am Ende nur noch eine stationäre psychiatrische Therapie weiterhelfe. Das fange etwa bei Schicksalsschlägen an - wie die Trennung von Eltern oder gar der Verlust eines Elternteils. Aber auch Misshandlung und sexueller Missbrauch oder digitales Mobbing über soziale Medien könnten in ein schwere Krise führen.

In der Studie werden noch weitere Faktoren für ein höheres Depressionsrisiko genannt: eigene chronische Erkrankungen etwa (4,5-fach erhöhtes Risiko), Diabetes (2,3-fach erhöhtes Risiko), krankhaftes Übergewicht (3-fach erhöhtes Risiko) und starke Schmerzen (2,6-fach erhöhtes Risiko). Ein an Depression erkranktes Elternteil bedinge ein 3,3-fach erhöhtes Risiko, ebenfalls im Kindes- oder Jugendalter daran zu erkranken. Nur zu oft beginnt für die betroffenen Schulkinder dann ein langer Leidensweg. Zehn Prozent dieser psychisch Erkrankten mussten laut Studie wenigstens einmal im Krankenhaus behandelt werden.

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