Russland:Vier Jahre Olympia-Ausschluss

Russland: Gute Bekannte: IOC-Chef Thomas Bach (winkend, links) hatte schon 2014 Dusel, dass sein Tête-à-Tête mit Kreml-Boss Wladimir Putin (winkend, rechts) am Ende der Sotschi-Spiele, als der Einmarsch auf die Krim schon vorbereitet war, nicht größere Aufmerksamkeit erfuhr.

Gute Bekannte: IOC-Chef Thomas Bach (winkend, links) hatte schon 2014 Dusel, dass sein Tête-à-Tête mit Kreml-Boss Wladimir Putin (winkend, rechts) am Ende der Sotschi-Spiele, als der Einmarsch auf die Krim schon vorbereitet war, nicht größere Aufmerksamkeit erfuhr.

(Foto: How Hwee Young/dpa)

Wegen manipulierter Labordaten fordert eine Prüfgruppe der Welt-Anti-Doping-Agentur harte Sanktionen. Sogar Sankt Petersburg als Spielort der Fußball-EM steht infrage.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

In Russlands Sport herrscht Aufgeregtheit. Seit Montagabend sieht er sich - nach der neuesten Wendung im Staatsdopingskandal - mit konkreten Sanktionsdrohungen konfrontiert, darunter ein vierjähriger Bann von Olympischen Spielen. Jetzt müsse Staatspräsident Wladimir Putin eingreifen, ließ daraufhin Jurij Ganus wissen, der Chef der nationalen Anti-Doping-Agentur Rusada. Aber in diese Aufgeregtheit mischte sich auch manche entspanntere Stimme, etwa die der russischen Ski-Präsidentin Jelena Välbe. Die Lage sei "beunruhigend", sagte sie, aber: "Wir müssen den 9. Dezember abwarten."

In der Tat ist der 9. Dezember das nächste entscheidende Datum für Russland. Dann entscheidet das Exekutivkomitee der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), wie es mit dem am Montag zugesandten, 26-seitigen Report seiner unabhängigen Prüfkommission CRC umgeht. Die sieht es als erwiesen an, dass Russland bei der Übergabe von wichtigen Labordaten manipulierte - und fordert Sanktionen.

Dazu zählt zunächst, die Rusada erneut zu sperren. Zugleich soll Russland in den kommenden vier Jahren weder an Olympischen Spielen (Tokio 2020, Peking 2022) noch an irgendwelchen Weltmeisterschaften teilnehmen dürfen. Auch soll es untersagt sein, dass Russland in dieser Zeit große Events ausrichtet oder bekommt oder sich für die Spiele 2032 bewirbt. Russische Offizielle würden für vier Jahre gesperrt.

Allerdings dürften russische Athleten gleichwohl bei Olympia starten - als "neutrale Athleten" und nach entsprechender Prüfung. Sie müssten gemäß CRC-Statement zeigen, dass sie "in keiner Weise" in das Manipulationssystem verstrickt seien. Das heißt, sie dürften nicht "unter inkriminierenden Umständen" im McLaren-Bericht auftauchen, in dem der Anwalt Richard McLaren 2016 das Staatsdopingsystem festhielt; ebenso dürften keine "positiven Ergebnisse für sie in der Datenbank gemeldet" und "keine Daten in Bezug auf ihre Proben manipuliert" sein.

Das dürfte noch Debatten erzeugen, welche und wie viele Athleten tatsächlich unter die Einschränkungen fallen. Auch ist in anderen Fällen unklar, welche konkreten Folgen die CRC-Vorschläge hätten. Klar ist offenbar nur: Die Fußball-Europameisterschaft 2020 wäre von möglichen Sanktionen gegen Russlands Sport durch die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) nicht betroffen. "Es betrifft die EM nicht, da sie ein kontinentales Einzelsport-Ereignis ist", teilte die Wada dem Sportinformationsdienst mit.

Hintergrund der Sanktionsforderungen ist der Umgang mit angeforderten Labordaten. Zu Beginn des Staatsdopingskandals hatte die Wada die Rusada schon einmal gesperrt. Im Herbst 2018 hob sie dies unter einer Bedingung auf: Russland müsse die sogenannte Lims-Datenbank aus dem Moskauer Labor, in der alle Vorgänge von Januar 2012 bis August 2015 verzeichnet sind und mit deren Hilfe die Wada weitere Dopingfälle ausmachen könnte, überreichen. Zunächst kam es bei der Übergabe zu Verzögerungen. Und als die Wada-Ermittler endlich im Besitz der Daten waren, stellten sie fest, dass es zu Löschungen und Veränderungen gekommen war - bis hinein in den Januar 2019. Hunderte auffällige Testbefunde seien entfernt worden, Rohdaten und PDF-Dateien manipuliert. Die Wada-Ermittler konnten die übergebenen Daten abgleichen mit einer Kopie, die sie früher von einem Whistleblower erhalten hatten.

Das IOC unterstützt "härteste Bestrafungen" - sucht aber auch schon nach Hintertüren

Für die Prüfkommission war das ausreichend, um Sanktionen wie den vierjährigen Olympia-Bann zu fordern. Aber es ist die Frage, ob es dazu kommt. Seit Beginn des Skandals stellte sich zweimal vor Olympischen Spielen die Frage nach Konsequenzen, vor Rio 2016 und Pyeongchang 2018. Beide Male traf das Internationale Olympische Komitee (IOC) viel kritisierte Entscheidungen. 2016 durfte Russland, außer bei den Leichtathleten, teilnehmen; 2018 war es zwar mitsamt Hymne und Flagge ausgeschlossen, aber 169 "neutrale Athleten" waren zugelassen - und kurz nach der Veranstaltung erfolgte die Begnadigung.

Inzwischen haben sich die Formalitäten geändert. Seit 1. April 2018 sind ein modifizierter Wada-Code sowie ein Dokument mit dem komplizierten Titel "Internationaler Standard für Code Compliance der Unterzeichner" (ISCCS) in Kraft. Dies betrifft alle rund 650 Organisationen, die den Wada-Code signiert haben, von internationalen Verbänden wie dem IOC bis zu den nationalen Anti-Doping-Organisationen.

Dadurch haben die Wada und deren Exekutive formal größeren Einfluss. Aber die Wada-Exekutive ist kein vom Sport unabhängiges Gremium. Zwölf Personen gehören ihr an, neben sechs politischen Vertretern kommen sechs weitere aus der olympischen Bewegung. Gleich vier davon sind IOC-Mitglieder, darunter auch Präsident Craig Reedie, der noch bis Jahresende dieses Amt innehat. Und die IOC-Spitze gab sich in den Jahren des Staatsdopingskandals stets milde.

Die Wada-Vizepräsidentin Linda Helleland aus Norwegen, eine profilierte Kritikerin des weichen Russland-Kurses, ist daher skeptisch, ob die Exekutive den Vorschlägen der Prüfkommission auch folgt. "Ich befürchte, dass das IOC dem entgegenwirken wird", sagte sie dem norwegischen TV-Sender NRK. Es gehe "um viel Macht und Positionen", und sie fürchte, "wir werden in der Minderheit sein".

Aber auch wenn die Exekutive am 9. Dezember die Strafen ganz oder teils übernimmt, wäre dies nicht die endgültige Entscheidung. Russland hätte drei Wochen Zeit, vor den Internationalen Sportgerichtshof Cas zu ziehen und dort die Folgen der Datenmanipulation verhandeln zu lassen.

Dabei dürfte nicht unerheblich sein, wer dafür verantwortlich war. Schon jetzt ist auffällig oft Thema, wer damit sicher nichts zu tun gehabt habe. Rusada-Chef Ganus etwa beteuert, seine Organisation sei in die Sache nicht involviert gewesen. Und das IOC gab nach der Publikation der Sanktionsvorschläge zwar bekannt, dass es "härteste Bestrafungen" gegen die Verantwortlichen unterstütze. Aber zugleich betonte es, dass laut Prüfkommission die Sportbewegung nicht an der Manipulation beteiligt gewesen sei - und Russlands Olympischem Komitee und seinen Mitgliedern kein Fehlverhalten nachgewiesen werden könne.

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