Verbraucher:Im Zweifel für den Verbraucher

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Plattenbau im Berliner Stadtteil Lichtenberg: Mieter können nun auch mit Hilfe spezieller Online-Anbieter ihre Rechte verfolgen. (Foto: Florian Gaertner/imago)

Internet-Firmen unterstützen Passagiere, Mieter oder Bahnfahrer, ihr Recht und ihr Geld zu bekommen. Bei Anwälten ist die neue Konkurrenz nicht gern gesehen. Doch nun hat der BGH das Geschäftsmodell gebilligt.

Von Thomas Öchsner, München

Sie heißen wenigermiete.de, Flightright, Bahn-Buddy oder Geblitzt.de und verdienen ihr Geld mit der Bequemlichkeit der Kunden. Egal, ob es um Schimmel in der Wohnung oder Mieterhöhungen geht, um Widerspruch gegen Blitzerknöllchen oder um eine Entschädigung, wenn wieder einmal der Flug oder die Bahn zu spät war, viele Verbraucher scheuen den Papierkrieg und treten ihre Forderungen und Rechte an sogenannte Legal-Tech-Firmen ab. Geld zurück mit ein paar Klicks, statt kostspielige Anwälte zu bezahlen, lautet das Versprechen der neuen Internet-Dienstleister, die im Erfolgsfall einen Teil des eingetriebenen Geldes kassieren.

Doch dürfen die neuen jungen Firmen das so einfach? Geht es wirklich nur darum, Forderungen wie ein Inkasso-Unternehmen einzutreiben? Oder handelt es sich nicht in Wirklichkeit um Rechtsberatung, die in Deutschland den Rechtsanwälten vorbehalten ist?

Die Richter in Karlsruhe sagen, es handele sich nicht um unzulässige Rechtsberatung

Unterstützung haben die Start-ups jetzt aus Karlsruhe erhalten. Dort legte am Mittwoch der Bundesgerichtshof (BGH) das erste Grundsatzurteil zu diesem Geschäftsmodell vor. Demnach ist das Angebot des Internetportals wenigermiete.de, das unter anderem die Mietpreisbremse bei Eigentümern durchsetzen will, zulässig. Das Unternehmen leiste keine unzulässige Rechtsberatung, sondern sei im Schwerpunkt als Inkassounternehmen tätig, entschied der achte Zivilsenat des BGH. Die Gesellschaft sei als Inkassounternehmen eingetragen, deshalb sei gegen das Geschäftsmodell rechtlich nichts einzuwenden. "Die Zielsetzung des seit 2008 geltenden Dienstleistungsgesetzes gebietet, den Inkassobegriff nicht zu eng auszulegen", sagte die Vorsitzende Richterin Karin Milger. Eine unzulässige Rechtsdienstleistung liegt laut BGH nicht vor, selbst wenn das Unternehmen vor der Beauftragung Mietern im Internet einen "Mietpreisrechner" zur Verfügung stellt, um mögliche Forderungen zu prüfen.

Der Bundesgerichtshof beanstandete auch nicht, dass der Inkasso-Dienstleister - anders als ein Anwalt - nur im Erfolgsfall vom Mieter ein Honorar verlange. Die zwischen dem Mieter und weniger miete.de getroffene Vereinbarung eines Erfolgshonorars und einer Kostenübernahme führe "nicht zu einer Interessenkollision", teilte das Gericht mit. Vielmehr trage das Erfolgshonorar dazu dabei, dass die Interessen des Kunden und von wenigermiete.de weitgehend gleichgerichtet seien. Eine Interessenkollision hätte dem Rechtsdienstleistungsgesetz widersprochen, das die Rechtsuchenden vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen schützen soll.

Im konkreten Fall ging es um eine 56-Quadratmeter-Wohnung in Berlin. Der Vermieter, eine Wohnungsbaugesellschaft, verlangte laut Mietpreisbremse 24,76 Euro monatlich zu viel. Der Mieter wandte sich daher an wenigermiete.de und trat seine Ansprüche an das Unternehmen ab. Nutzer können auf dem Onlinerechner der Gesellschaft prüfen, ob ihre Kaltmiete über der gesetzlich vorgeschriebenen Mietpreisbremse liegt.

Wenigermiete.de schrieb die Wohnungsbaugesellschaft an und pochte darauf, die überhöhte Miete zurückzuerstatten plus 166,90 Euro für die Rechtsverfolgungskosten. Bei diesem Geschäftsmodell muss der Mieter dem Online-Portal nichts bezahlen, falls sich die Rückzahlung nicht durchsetzen lässt. Im Erfolgsfall behält die Firma ein Drittel der gesparten Miete. Der Gründer des Portals, Rechtsanwalt Daniel Halmer, bezeichnet dieses Geschäftsmodell als "die nächste Stufe der Verbraucheremanzipation".

Das Landgericht Berlin sah dies jedoch weniger euphorisch, lehnte die Forderung von wenigermiete.de ab und stellte sich damit auf die Seite der klagenden Rechtsanwaltskammer Berlin. Das Internet-Portal habe kein Klagerecht. Es erbringe unbefugt Rechtsdienstleistungen. Bei dem Eintreiben von Geld, also der Inkassotätigkeit, handele es sich nur um ein Folgegeschäft, argumentierte das Landgericht. Der BGH kam in seinem rechtskräftigen Urteil hingegen zu dem Schluss, dass der Begriff des Inkassounternehmens weiter zu fassen sei und es bei den Aktivitäten von wenigermiete.de im Kern um den Einzug von Geldforderungen gehe. Der Fall landet nun wieder vor dem Landgericht Berlin, das die Forderungen jetzt beziffern muss. (AZ: VIII ZR 285/18).

200 Legal-Tech-Firmen gibt es inzwischen in ganz Deutschland

Das Urteil dürfte für die Legal-Tech-Branche grundlegend sein. Denn auch andere Internet-Dienstleister setzen auf ähnliche Geschäftsmodelle. Fast 200 Unternehmen führt mittlerweile die Webseite "Legal Tech in Deutschland". Wenigermiete.de-Gründer Halmer sagte: "Die heutige Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist ein Meilenstein für den Verbraucherschutz." Kleine und mittlere Ansprüche über klassische Kanzleien durchzusetzen, sei bislang so teuer gewesen, "dass kaum ein Verbraucher seine Rechte eingefordert hat". Dies hätten Unternehmen ausgenutzt und "systematisch gegen geltendes Recht verstoßen". Durch das Inkasso-Modell und den Einsatz von Algorithmen, die schon im voraus die Erfolgsaussichten einer Klage ausrechnen, lohne es sich aber, auch kleine Rechtsansprüche von Verbrauchern durchzusetzen.

Halmer sprach von mächtigen Lobbies, die man gegen sich gehabt hätte, wie die Automobilindustrie oder die Immobilienkonzerne: "Keine dieser Parteien arbeitet im Interesse der Verbraucher." Diese wollten nur ihren Besitzstand wahren und die Profite maximieren. Deshalb wehrten sie sich gegen "moderne, effiziente Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung".

© SZ vom 28.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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