Performance:Visuelle Klänge

"Die dada" kehrt ins Hoch X zurück

Von Sabine Leucht

Wenn es in ihrem Kopf nicht zu laut ist, kann Kassandra Wedel die Dinge hören. Was sich für die meisten wie ein sinnbefreiter Satz liest, ist für die Gehörlose Realität. Die 35-Jährige ist als Schauspielerin, Choreografin und Tänzerin in vielen Sprachen zuhause und hat internationale Hip Hop-Meisterschaften gewonnen. Und wer sie live in Aktion sehen will, hat nun wieder Gelegenheit dazu. Denn "die dada. das öffnen und schließen des mundes" wird ein gutes Jahr nach der Uraufführung im Hoch X ebenda wiederaufgenommen.

Nach so langer Zeit ist das Gedächtnis trübe. Die Erinnerung an Wedels majestätische Erscheinung aber gibt es frei. Wie sie am Ende im schillernden Gewand im Stroboskoplicht tanzt. Oder wie sie anfangs in aller Ruhe die Bühne einrichtet und die Bewegungen der Gegenstände darauf mit mundgemachten Tönen begleitet: Mit Gurren, Zischen, Zungenschnalzen: "Ttttt". Und dann dieser rote Mund, der auf einem Videoscreen tut, was der Stücktitel sagt. In Übergröße, so dass man förmlich sehen kann, wie die Laute aus ihm herausfallen, -drängen oder -gearbeitet werden. Sie klingen bei Wedel ein wenig fremd, weil sie beim Artikulieren nicht das Ohr als Korrektiv einsetzen kann. Sprechen ist für sie Bewegung. Und genau das war der Ausgangspunkt: Regisseurin Verena Regensburger, die mit Wedel bereits für "Luegen" an den Kammerspielen zusammengearbeitet hatte, ließ deren Satz nicht los, dass alles, was sich bewegt, für sie visueller Klang sei. Also starteten die beiden "ein synästhetisches Experiment", wie "die dada" im Untertitel heißt. Zu Lautgedichten wie Hugo Balls "Karawane", die "den Sinn im Unsinn" (Regensburger) allein in ihrem Klang verstecken, versuchten sie, nicht-auditive Zugänge zu finden. Die Musiker Nicolas Droessel und Simon Schankula verfremdeten dafür etwa ein von Wedel eingesprochenes Alphabet via Modular-Synthesizer zu Geräuschen, die für uns wenig Ähnlichkeit mit Buchstaben haben. Sie hingegen kann sie so körperlich wahrnehmen und wieder in Laute rückübersetzen oder in Gebärdensprache und Tanz verwandeln.

Was sich vielleicht ein wenig theoretisch anhört, ist auch für Hörende eine Einladung zum Sehen mit dem ganzen Körper. Denn aus der anfangs eher privaten Expedition wurde ein akustisch-visuelles Bühnengedicht für eine Multibegabte, eine körperlose Stimme (von Walter Hess, der Jandl-Texte spricht), Dada-Bewegtbild-Vergrößerungsmaschine, Schreibmaschine, Mixer und Luftpolsterfolie. Nach und nach wachsen dem Abend immer mehr Ebenen und Akteure zu. Bis er über das Nachstellen von Jandls visuellen Lippengedichten und einem wunderbaren Zwiegespräch mit einem Lautsprecher in einem Crescendo aus Live-Musik und Bewegung endet, in dem ein tanzender Körper zum Buchstaben wird und wummernde Bässe ein Gedicht aufsagen.

die dada. das öffnen und schließen des mundes, Fr., 29., und Sa., 30. Nov. (mit Publikumsgespräch), So., 1. Dez., 20 Uhr, Hoch X, Entenbachstr. 37

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