Start-ups gegen Anwälte:Online zu seinem Recht kommen

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Ein BGH-Urteil macht Anbietern digitaler Rechtsberatung Hoffnung. Ein Berliner Start-up, das Mietern bei der Durchsetzung von Ansprüchen hilft, hat den Segen der Richter.

Von Katrin Berkenkopf und Herbert Fromme, Köln

In den Niederlanden und anderen EU-Mitgliedsstaaten gibt es sie bereits, die Online-Rechtsberatung im Abonnement. In Deutschland sind die sogenannten Legaltechs bislang kaum auf dem Markt. Die örtlichen Anwaltskammern gehen regelmäßig gegen Internetanbieter von Rechtsdienstleistungen vor und werfen ihnen Verstöße gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz vor. Danach dürfen nur Anwälte und wenige andere Berufsgruppen wie Steuerberater Rechtsberatung leisten.

Doch jetzt hat der Bundesgerichtshof dem Start-up-Unternehmen Lexfox in Berlin Recht gegeben. Es darf weiter Kunden bei der Durchsetzung ihrer Rechte aus der Mietpreisbremse vertreten, entschieden die Richter (Aktenzeichen VIII ZR 285/18). Lexfox hat damit die höchstrichterliche Erlaubnis, über seine Webseite Mandanten anzuwerben, die es dann bei der Durchsetzung ihrer Rechte aus der sogenannten Mietpreisbremse vertritt.

Ist das Unternehmen erfolgreich und der Mandant erhält Geld zurück beziehungsweise seine Miete wird gesenkt, kassiert es ein Drittel der ersparten Jahresmiete als Honorar. Bleiben die Ansprüche erfolglos, sieht das Start-up kein Geld.

Zulässig ist das, so der BHG, weil Lexfox als Rechtsdienstleister für Inkassodienste eine solche Erlaubnis hat. Unter Juristen schlägt die Entscheidung hohe Wellen. "Die BGH-Entscheidung führt zu einer verfassungswidrigen Gesamtregelung", beklagt Martin Henssler, Jura-Professor an der Universität Köln, gegenüber der Fachzeitschrift Juve. Andere freuen sich. "Hätte der BGH Legal-Tech-Portale generell für unzulässig erklärt, gäbe es eine Rechtsschutzlücke für Verbraucheransprüche mit geringen Streitwerten", meint Anna-Katharina Pieronczyk von der Hamburger Kanzlei Weisner Partner.

Tatsächlich sitzen viele dieser Legaltechs in den Startlöchern. Eine Reihe von ihnen wurde von Anwaltskanzleien gegründet, die sich nicht an die Auffassung der Anwaltskammern halten. Andere gehören Rechtsschutzversicherern, die ein sehr großes Interesse an dem Thema haben.

So arbeiten etwa 30 meist junge Menschen in hippen Büros in Kölns neuestem Stadtteil, dem Rheinauhafen, bei der Firma Justix. Sie gehört dem Rechtsschutzversicherer Arag in Düsseldorf. Mit Justix will der Düsseldorfer Versicherer europaweit in einen Markt einsteigen, der hohe Gewinne verspricht - und das traditionelle Geschäftsmodell der Rechtsschutzversicherer frontal angreift.

Bislang ist die Sache einfach: Der Versicherte hat ein juristisches Problem. Der Versicherer prüft, ob die Deckung dafür gilt, und zahlt den Anwalt. Mit der juristischen Dienstleistung hat er nichts zu tun.

Das will die Arag ändern. Sie findet, dass sie oft allzu hohe Anwaltsrechnungen begleichen muss. Und wenn sie selbst nicht in den Markt der Legaltechs einsteigt, machen das andere und könnten ihr Geschäftsmodell gefährden. Denn wer als Mitglied seine Abo-Gebühren bei einem Online-Berater bezahlt, schließt keine Rechtsschutzversicherung mehr ab.

Deshalb ist die BGH-Entscheidung auch für den Rechtsschutzversicherer so wichtig. "Das Karlsruher Urteil ist sicher ein erster Schritt, um einfache, stark standardisierte Rechtstätigkeiten über Legal Tech-Angebote abwickeln zu können", sagt Vorstand Klaus Heiermann. "Im europäischen Vergleich ist der deutsche Verbraucher aufgrund der starken Regulierung in dieser Frage eher benachteiligt."

In anderen EU-Ländern sind die Regeln liberaler. In den Niederlanden und Belgien ist Justix bereits mit der Tochter Hello Law vertreten, die mit dem Abonnementmodell arbeitet. Mitglieder können sich Ratgeber laden und Musterverträge abrufen. Wird doch ein Anwalt benötigt, kann das Unternehmen auf 500 bei ihm angestellte oder auf selbständige Anwälte zurückgreifen. Die Selbständigen müssen einen Rabatt auf ihre Stundensätze gewähren. Auf der Basis der dort gesammelten Erfahrungen will Justix so schnell wie möglich auch in Deutschland an den Start gehen.

© SZ vom 02.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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