Siemens:Das Erbe der schwarzen Kassen

Siemens: Heinrich von Pierer, hier vor ein paar Jahren auf der Ehrentribüne des FC Bayern, zweifelt an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens.

Heinrich von Pierer, hier vor ein paar Jahren auf der Ehrentribüne des FC Bayern, zweifelt an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens.

(Foto: Eibner/imago)

In Griechenland ist die Schmiergeldaffäre von Siemens immer noch nicht vorbei. Nun gibt es ein überraschendes Urteil: Der ehemalige Konzernchef Heinrich von Pierer soll 15 Jahre in Haft.

Von Christiane Schlötzer und Tasos Telloglou, Athen

Eine alte Affäre holt Ex-Siemens-Chef Heinrich von Pierer jetzt noch einmal ein. Am Montag wurde der 78-jährige frühere Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzende der Siemens AG von einem Athener Gericht zu 15 Jahren Haft verurteilt, wegen Geldwäsche. Dabei ging es um schwarze Kassen und eine Schmiergeldaffäre, die Siemens und Griechenland vor 13 Jahren erschütterte. Erst 2017 begann der Prozess in Athen mit 64 Angeklagten. Zehn von ihnen verstarben während des Mammutverfahrens, 22 bekamen nun Haftstrafen zwischen sechs und 15 Jahren. Darunter sind neben Pierer sechs weitere deutsche ehemalige Siemens-Manager.

Sie kündigten nach dem Urteil an, in die Berufung gehen zu wollen. Das Gericht entschied, dass die Männer bis dahin auf freiem Fuß bleiben, sie müssen also auch keine Europäischen Haftbefehl fürchten. Das gilt nicht für einige der verurteilten Griechen, von denen mehrere seit Jahren auf der Flucht sind.

"Wir werden beantragen, dass das Urteil in Deutschland nicht vollzogen wird."

Am Anfang der Siemens-Saga standen Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft. Sie hatte 2006 bei dem Konzern ein weltumspannendes System schwarzer Kassen entdeckt. Mit dem Geld wurden Amtsträger und Auftraggeber bestochen. Die Erkenntnisse der Münchner Ermittler führten zu Prozessen in mehreren Ländern. Auch in Deutschland bekamen es einige Siemens-Manager mit der Justiz zu tun. Ein Verfahren gegen Pierer wurde gegen 250 000 Euro Bußgeld eingestellt. Fünf Millionen Euro Schadenersatz zahlte er an Siemens. Mit der griechischen Regierung einigte sich der Konzern auch schon vor Jahren auf einen finanziellen Ausgleich. Den Prozess hat dies nicht verhindert. Er sollte 2015 beginnen, als Griechenland mit den anderen Euro-Ländern über Milliardenkredite für seine Rettung vor dem Staatsbankrott stritt. Für die damalige Regierung des Linkspolitikers Alexis Tsipras war die alte Affäre ein durchaus nützliches Politikum. Das Verfahren wurde dann noch ein paar Mal verzögert, unter anderem, weil die 4500 Seiten starke Anklageschrift zuerst nur auf Griechisch vorlag - aus Kostengründen.

Die Vorgänge reichen bis in die Vorkrisenzeit zurück. Siemens soll zwischen 1998 und 2003 insgesamt 14 Führungskräfte der damals teilstaatlichen Telekommunikationsgesellschaft OTE bestochen haben, mit fast 70 Millionen Euro, für einen Milliardenauftrag zur Netzmodernisierung. Die Anklage benannte Banken, Konten, Mittelsmänner und Empfänger. Siemens hatte auch die beiden großen Parteien in Griechenland gesponsert, die sozialistische Pasok, die inzwischen zur Kleinpartei geschrumpft ist, und die konservative Nea Dimokratia, die nun wieder regiert.

Pierer und dem früheren Finanzvorstand, Heinz-Joachim Neubürger, warf die Anklage vor, sie hätten die oberste Kontrolle über das Schmiergeldsystem ausgeübt. Neubürger ist inzwischen verstorben. Pierer bestritt stets, von der Bestechung gewusst zu haben. In Athen gab der frühere "Mr. Siemens" 2014 als Beschuldigter zu Protokoll: Er sei für 500 000 Beschäftigte zuständig gewesen, er habe sich nicht um einzelne Zahlungen kümmern können.

Pierers griechischer Anwalt legte dem Gericht am Montag ein ärztliches Attest vor, in dem es heißt, der 78-Jährige leide an einer Krebserkrankung. Der Anwalt zweifelte zudem an der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens, da die Affäre in Deutschland bereits Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen war. "Wir werden beantragen, dass das Urteil in Deutschland nicht vollzogen wird, weil es gegen elementare rechtsstaatliche Prinzipien verstößt", heißt es in einer Erklärung Pierers.

Verurteilt wurden auch der frühere Siemens-Vorstand Thomas Ganswindt zu 13 Jahren Haft; das Verfahren in München gegen ihn wurde 2011 gegen eine Geldbuße von 175 000 Euro eingestellt. Je sieben Jahre Haft erhielten die Ex-Manager des Konzerns Michael Kutschenreuter, Reinhard Siekaczek, Wolfgang Rudolph, Hans Jagemann und Franz Richter. Die Staatsanwältin hatte ihnen mehrheitlich attestiert, sie hätten ihre Taten "bereut". In dem Prozess hatten sie sich durch Anwälte vertreten lassen, was in Griechenland möglich ist. Pierer dagegen war persönlich aufgetreten. Für ihn hatte die Staatsanwältin im Juni dann Freispruch beantragt. Das Gericht aber verhängte nun die hohe Strafe, weshalb Prozessbeobachter rätselten, welches Ereignis seit dem Sommer hier wohl eine Rolle spielte. Anfang Juli wurde das griechische Strafgesetzbuch revidiert. Beamtenbestechung konnte früher mit bis zu lebenslanger Haft geahndet werden. Diese drakonische Vorschrift von 1950 wurde abgeschafft. Und die OTE, inzwischen teils im Besitz der Deutschen Telekom, ist nun ein privates Unternehmen. Für die Angeklagten wurde damit rückgängig die günstigeren Strafvorschriften angewandt. Nicht aber für Pierer - womit der Mann, der in der Siemens-Hierarchie ganz oben stand, unter den deutschen Angeklagten auch die höchste Strafe erhielt.

Auch zwei ehemalige griechische Siemens-Manager kamen ebenso schlecht weg. Einer von ihnen ist Michalis Christoforakos, der die griechische und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Er hatte sich vor zehn Jahren nach Deutschland abgesetzt, mit der Begründung, er müsse in Griechenland "um sein Leben fürchten", wenn er gegen Politiker aussage. Ein Verfahren gegen ihn wegen Bestechung wurde 2010 in München gegen Zahlung von 350 000 Euro eingestellt. In einem weiteren wegen Beihilfe zur Untreue erhielt er eine Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung. Seine Auslieferung nach Griechenland war vom Oberlandesgericht bereits genehmigt, wurde dann aber vom Bundesverfassungsgericht verhindert.

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