Kunsthandwerk:Geflügelte Klassiker

Kunsthandwerk: Musizierende Engel sind das bekannteste Produkt der Firma Wendt & Kühn aus Sachsen, und das schon seit Generationen. Collage: SZ

Musizierende Engel sind das bekannteste Produkt der Firma Wendt & Kühn aus Sachsen, und das schon seit Generationen. Collage: SZ

(Foto: Silvia Ruemmler)

Die Firma Wendt & Kühn aus dem Erzgebirge fertigt seit mehr als 100 Jahren Holzfiguren an. Ihr Geheimnis: Bloß nichts an den Entwürfen ändern.

Von Julia Rothhaas

Sie können fliegen, arbeiten als Bote oder Bodyguard und sind bei der Arbeit oft nackt. Sie machen sich gut an einem Hochaltar, sind in jeder Esoterik-Buchhandlung zu finden und werden mitunter besungen von Jimi Hendrix, DJ Bobo und Rammstein. Im Advent schwillt ihre Omnipräsenz weiter an auf Geschenkpapier, Kerzenständer, Christbaumkugel. In manchen Wohnzimmern tauchen Engel darüberhinaus als Musikanten auf, mit Geige, Harfe, Triangel oder am Flügel sitzend. Die Figuren des Engelorchesters gehören in vielen Familien zu Weihnachten dazu wie der Tannenbaum oder der Teller Vanillekipferl.

Meist stammen die Figuren noch aus dem Besitz der Großeltern, doch selbst ein neu dazugekaufter Engel würde nicht weiter auffallen. Denn an den bunt bemalten Holzskulpturen, die eine kindlich-naive Art zum Ausdruck bringen, hat sich in all den Jahren kaum etwas geändert. Der Hersteller Wendt & Kühn aus dem sächsischen Grünhainichen östlich von Chemnitz hält an den Originalentwürfen seiner beiden Gründerinnen fest.

Mehr als 80 Mitglieder umfasst das Engelorchester, sie alle eint der kugelrunde Kopf, rote Backen, abstehende Löckchen und ein knapp sitzendes weißes Kleid. Kitschig? Ja, aber auf eine gut verträgliche Art, was wohl mit ihrer fröhlichen Schlichtheit zu tun hat und der Tatsache, dass man zum Jahresende ohnehin deutlich schnickschnackanfälliger ist.

Fußballengel oder Blumenkind mit Smartphone? Entspricht nicht ihrem Auftrag

Erstaunlich an dem musizierenden Gefieder ist aber nicht so sehr ihre generationenübergreifende Beliebtheit, sondern dass es der Firma gelungen ist, das Produkt nicht komplett auszuschlachten wie sonst üblich. Bis heute wird dort nur hergestellt, was Grete Wendt und Margarete Kühn hinterlassen haben, seit die beiden 1915 anfingen, ihre Figuren zu verkaufen. "Wir fühlen uns unserem Musterschatz verpflichtet", sagt Thomas Rost, der Marketingleiter. Was bedeutet: Mit mehr als 2500 fertigen Entwürfen und Zeichnungen der Gründerinnen müssen sie auskommen, im aktuellen Sortiment finden sich hingegen nur etwa 400 Artikel. Und jede Menge Arbeit. Vom Stück Holz bis zur Auslieferung vergehen drei Monate, der "Junge mit Nelke", lediglich zwölf Zentimeter groß, durchläuft 85 Arbeitsschritte, bis er im Regal steht.

Jedes Jahr wird der Schatz aufs Neue geöffnet, um zu gucken, was man noch daraus heben könnte. "Da tauchen Dinge auf, die viele Jahre nicht oder noch gar nie gefertigt worden sind", erzählt Rost. Etwa ein knieender Engel mit Kerze, der letzte Entwurf, den Grete Wendt vor ihrem Tod im Jahr 1979 angefertigt hatte.

Neben den klassischen Engelmusikanten gibt es Blumenkinder (Kinder, die verschiedene Blumen an langen Stielen in der Hand halten), Engel mit Margeriten im Haar, nähend, spielend, backend, aber auch Spieldosen, Kerzenständer, Märchenfiguren. Für den Vertrieb müssen sich Händler extra bewerben. Ein bisschen Innovation ist trotz strengem Regelwerk drin: Etwa fünf Figuren pro Jahr werden mit neuem Instrument oder Blume versehen, und doch gehen die Entwürfe nie mit der Zeit. Fußballengel zur EM oder Blumenkind mit Smartphone in der Hand? Keine Chance. Vor ein paar Jahren haben sie mal versucht, jüngere Kunden einzufangen und fünf Weihnachtsengel entworfen in weiß, auf schwarzem Sockel, mit goldenem Instrument - allerdings ohne aufgemaltem Gesicht. Einige Sammler waren entsetzt: Doppelt so groß und doppelt so teuer, aber nicht mal fertig bemalt? Konsequent zu sein ist nicht so einfach.

Von der Fertigung bis zur Auslieferung einer Figur vergehen drei Monate

"Natürlich limitiert uns der Musterschatz auch", sagt Thomas Rost. Im Erzgebirge sitzt jede Menge Konkurrenz, die machen kann, was sie will. Aber der große Rundumschlag entspreche eben nicht ihrem Auftrag, zumal jede neue Figur einen Vorlauf von zwei Jahren habe. Deswegen haben sie sich etwas anderes einfallen lassen: Um das Überschaubare spannend zu halten, reduzieren sie ihr Sortiment jährlich um einige Figuren. Die werden dann mindestens fünf Jahre nicht mehr angefertigt. 2019 hat es etwa einen großen Engel mit Trompete getroffen: Händler und Stammkunden fanden, dass er mit seinen zusammengezogenen Lippen nicht so freundlich wirkte wie der Rest der Bande.

Dass ihre Ideen von der Konkurrenz aufgegriffen werden könnten, findet Thomas Rost fast ermutigend. "Etwas Besseres kann uns nicht passieren. Das zeigt doch, dass wir gut sind." Um Plagiate machen sie sich trotz des üblichen Markenschutzes keine Sorgen, die Herstellung sei viel zu aufwendig. Sicherheitshalber malen sie dennoch elf Punkte auf die Flügel der Engel, als Schutz vor Nachahmern. Sie scheinen entspannt, da in Grünhainichen. Wie schon Grete Wendt, die zu den ersten Kopien ihrer Blumenkinder nur sagte: "Das ist eine andere Art des Ausdrucks von einer anderen Firma"

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