Berlin:Indizien für russischen Auftragsmord

Drei Monate nach dem Attentat auf einen Georgier gibt es Hinweise, dass Moskau für den Anschlag verantwortlich ist.

Von Florian Flade, Georg Mascolo, Ronen Steinke, Berlin

Eine Mordermittlung in Berlin wird zur neuen Belastung für das Verhältnis Deutschlands zur russischen Regierung. Die deutschen Ermittler sehen neue Anhaltspunkte dafür, dass Moskau für den Anschlag auf einen Georgier am 23. August im Berliner Kleinen Tiergarten verantwortlich ist. Ein bislang nur vager Verdacht in diese Richtung habe sich konkretisiert. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR beabsichtigt der Generalbundesanwalt deshalb vermutlich noch in dieser Woche, die Ermittlungen zu übernehmen. Dann würde es nicht nur um Mord gehen, sondern auch um eine Geheimdienstaktion auf deutschem Boden.

Von Beginn an bestanden wenig Zweifel, dass es sich um einen Auftragsmord handelte. Die Frage war aber, in wessen Auftrag. Der mutmaßliche Todesschütze, der nach der Tat in Berlin gefasst wurde, war mit russischen Papieren eingereist, die auf eine offenbar erfundene Identität lauteten. Neu ist, dass die Ermittler glauben, den Mann auf der Grundlage biometrischer Daten identifiziert zu haben. Demnach hatte Russland im Jahr 2013 wegen Mordes nach ihm fahnden lassen - 2015 aber diese Fahndung überraschend gestoppt. Der Verdacht der deutschen Ermittler ist nun: Russische Dienste könnten den Mann damals für sich rekrutiert haben.

Für einen staatlichen Hintergrund sprechen noch weitere Indizien, so ist sein Pass in Datenbanken in Russland gesperrt mit dem Hinweis: Die Person sei "vom Gesetz geschützt". Auch soll, wie sich jetzt zeigt, der mutmaßliche Todesschütze beim Antrag auf sein Visum für Europa eine Faxnummer verwendet haben, die zu einem Unternehmen führt, das mit dem Moskauer Verteidigungsministerium zusammengearbeitet haben soll. Der Ermordete, Selimchan Changoschwili, hatte im Tschetschenienkrieg aufseiten tschetschenischer Gruppen gegen das russische Militär gekämpft und soll eine Kampftruppe angeführt haben. Er fürchtete seit Langem die Rache russischer Stellen - deshalb hatte er in Deutschland um Asyl gebeten.

Schon mehrmals sollen russische Geheimdienste in den vergangenen Jahren Personen im Ausland aufgespürt und ermordet haben, zuletzt hatte ein Anschlag mit dem Nervengift Nowitschok im März des vergangenen Jahres im englischen Salisbury diplomatische Sanktionen gegen Moskau nach sich gezogen. Nach Überzeugung europäischer Staaten hatten Angehörige des russischen Militärgeheimdienstes sich dort an einem Überläufer gerächt, Sergej Skripal. Auch Deutschland hatte damals als Reaktion vier russische Diplomaten ausgewiesen.

Sollte nun im Fall des Mordes in Berlin der Kreml dahinterstecken, "werden wir sehr, sehr hart reagieren müssen", sagte unlängst ein Regierungsmitglied der SZ. Die deutschen Behörden müssten nun "unmissverständlich klarmachen, dass Deutschland kein rechtsfreier Raum für ausländische Nachrichtendienste ist", forderte am Dienstag der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz.

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