Nato-Treffen:"Macrons Äußerungen sind überwiegend nicht hilfreich"

Emanuel Macron beim Nato-Gipfel in London 2019

Ungewohntes Bild: Macron vor 10 Downing Street in London. Frankreichs Präsident ist zum Nato-Treffen in Großbritannien.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Warum es der Nato nicht gelingt, einen Geist der Einigkeit zu verbreiten - und was Frankreichs Präsident mit Erdoğan und Trump gemein hat, erklärt Politikwissenschaftler Bruno Tertrais.

Interview von Paul-Anton Krüger

Bruno Tertrais, 57, ist stellvertretender Direktor der Fondation pour la Recherche Stratégique. Sie gilt als wichtigster französischer Thinktank für Fragen der internationalen Sicherheit und Verteidigungspolitik. Der Politologe und Jurist hat für das französische Verteidigungsministerium und die Parlamentarische Versammlung der Nato gearbeitet und in den USA beim Thinktank RAND Corporation geforscht. Er ist Mitautor mehrerer Weißbücher zur Verteidigungs- und Sicherheitspolitik Frankreichs sowie zur Europapolitik.

SZ: Herr Tertrais, US-Präsident Donald Trump hat vor dem heute beginnenden Treffen der Nato in London die Äußerungen von Frankreichs Staatschef über den Hirntod der Allianz als gefährlich zurückgewiesen. Hat er recht mit seiner Warnung?

Bruno Tertrais: Ich glaube, Macron hat ein riskantes Spiel gespielt. Wenn allerdings einer der Effekte ist, Donald Trump dazu zu bringen, die Bedeutung der Nato zu bekräftigen, kann am Ende das Gesamtergebnis immer noch positiv sein. Nun glaube ich aber nicht, dass das von Anfang an Macrons Plan war, aber wenn Trump sich an diesem Mittwoch weiter so positiv über die Nato äußert, ist letztlich allen geholfen.

Sie haben im Frühjahr diagnostiziert, der Nato gehe es gut, aber die transatlantische Allianz sei in Schwierigkeiten. Das scheint im Widerspruch zu stehen mit Macrons Befund. Täuscht sich Macron mit seiner Kritik?

Ich würde sagen, dass meine Diagnose ziemlich treffend war. Und sie stimmt in vielen Punkten überein mit dem, was Präsident Macron in seinem Interview mit dem Economist im Oktober gesagt hat. Was Macron kritisiert, ist nicht die Nato als militärische Organisation, dazu hat er nur Gutes zu sagen. Wenn er Nato sagt, dann meint er tatsächlich die transatlantische Allianz, er bezieht sich auf ernste Meinungsverschiedenheiten zwischen Frankreich, den USA und der Türkei über Syrien. Und Syrien ist nicht das Geschäft der Nato. Er bezieht sich auf das Verhalten zwischen Alliierten. Er war schockiert davon, dass er von der Ankündigung des Rückzugs der US-Truppen durch einen Tweet erfuhr. Deswegen denke ich, es gibt keinen Widerspruch zwischen meiner Analyse und der Diagnose, die Präsident Macron gestellt hat - nur dass ich glaube, dass er es zu brutal formuliert hat.

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Es gibt allerdings noch andere Äußerungen von Präsident Macron, die Nato-Partner irritieren, vor allem in Osteuropa. Er macht Russlands Präsident Wladimir Putin Avancen und spricht von einem Europa von Lissabon bis Wladiwostok. Da fühlen sich einige an die russische Forderung nach einem Raum gemeinsamer Sicherheit zwischen Vancouver und Wladiwostok erinnert.

Ich glaube, dass Macron eine ziemlich geschlossene Weltsicht hat - die ich nicht teile. In seinen Bemerkungen der vergangenen Wochen hat er klargemacht, dass Russland nicht als Gegner betrachtet werden sollte, weil zum einen der Terrorismus der eigentliche Feind ist. Und zum anderen China für alle von uns zunehmend ein Problem wird, und wir Russland daher zurück in der europäischen Familie brauchen. Ich glaube, diese Sicht ist zu simpel und trägt nicht dazu bei, dass Frankreich Unterstützung in Mittel- und Osteuropa gewinnt. Es ist in sich logisch, aber es ist auch beunruhigend, weil diese Sicht längst nicht von allen EU-Staaten geteilt wird, im Gegenteil. Auch wenn ihn vielleicht Ungarn und die Türkei in dieser Frage unterstützen und vielleicht ein paar südeuropäische Länder, ist das sicher kein Konsens in der Nato.

Das heißt, Sie halten Macrons Äußerungen zu Russland für nicht hilfreich?

Ich denke, sie sind tatsächlich überwiegend nicht hilfreich.

Macrons Äußerungen, die den Terrorismus als Bedrohung in den Mittelpunkt rücken, sind dahingehend interpretiert worden, dass sich Frankreich ein stärkeres Engagement der Nato in den Staaten der Sahelzone wünscht. Ist das der eigentliche Hintergrund?

Ich glaube nicht, dass Macron eine globale Allianz der Weltmächte gegen den Terrorismus anstrebt. Ich glaube auch nicht, dass er möchte, dass die Nato also solche in der Sahelzone aktiv wird. Was er will, ist, dass Frankreichs Verbündete, die USA wie die Europäer, aktiver in der Weltregion werden, wo er Europas Sicherheit bedroht sieht. Man muss auch berücksichtigen, dass Macron sich geäußert hat, kurz nachdem 13 französische Soldaten in Mali gefallen sind.

Bruno Tertrais

Bruno Tertrais, der stellvertretende Direktor der Fondation pour la Recherche Stratégique.

(Foto: Fondation pour la Recherche Stratégique)

Eine Interpretation von Macrons Äußerungen ist auch, dass er die Nato zumindest in Teilen durch eine gemeinsame europäische Verteidigungsstruktur ersetzen will, wie immer so etwas im Detail auch aussehen könnte. Täuscht dieser Eindruck?

Ich weiß, dass es diese Interpretation gibt, aber ich kann mir nicht erklären, wie sie zustande gekommen ist. Denn Frankreich hat in den vergangenen 25 Jahren immer wieder betont, dass es die Nato nicht ersetzen will.

Was ist dann der Sinn der Forderung, Europa müsse strategische Autonomie erlangen?

Das heißt, Europa in die Lage zu versetzen, eigenständig ohne die USA Krisenmanagement betreiben zu können, wenn die USA nicht daran interessiert sind, zu handeln. Die USA ist in diesem Sinne strategisch autonom. Warum sollten die Europäer auf strategische Autonomie verzichten?

Und was bräuchte Europa, um dieses Ziel zu erreichen?

Das kommt darauf an, wie man strategische Autonomie definiert, das ist keine Frage von Schwarz oder Weiß. Sicherlich braucht es bessere Fähigkeiten, schnelle und effektive Kräfte an entfernten Orten einsetzen zu können und bessere Kommando- und Kontroll-Strukturen.

Unter dem Dach der EU? Oder als Koalition der Willigen - etwa ein Ausbau der Deutsch-Französischen Brigade zu einem Kampfverband zur Krisenreaktion?

Ich glaube nicht, dass das ein tragfähiger Vorschlag ist, solange Deutschland nicht mehr Appetit zeigt, sich militärisch zu engagieren. Ich würde sagen, die EU kann einen Anteil haben, aber auch andere Koalitionen europäischer Staaten, vor allem, wenn Großbritannien absehbar die EU verlassen will. Ich denke, dass Frankreich eine enge Partnerschaft Europas mit dem Vereinigten Königreich im Sicherheitsbereich bewahren will.

Wenn wir noch einmal auf die Nato schauen, kann die derzeitige Krise gelöst werden, solange Trump US-Präsident ist? Solange Präsident Erdoğan die Allianz ins Wanken bringt? Oder Präsident Macron mit seinen Äußerungen die Mehrzahl der Mitglieder schockiert?

Solange Staatsführer so unberechenbar sind wie Trump und Erdoğan und so disruptiv wie Trump, Erdoğan und Macronn bezweifle ich, dass es der Nato gelingen wird, einen Geist der Einigkeit zu verbreiten.

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