Bildung:So sollen Grundschüler Lust aufs Lesen bekommen

Bildung: Die neue Pisa-Studie belegt, dass Kinder immer schlechter lesen können.

Die neue Pisa-Studie belegt, dass Kinder immer schlechter lesen können.

(Foto: Catherina Hess)
  • Wie gut Schüler lesen, war ein Schwerpunkt der neuesten Pisa-Studie - Deutschland schneidet mittelmäßig ab.
  • Die Deutsch-Didaktik-Professorin Anita Schilcher aus Regensburg hat mit Bildungsforschern das Leseförderprogramm Filby entwickelt.
  • An Grundschulen in Bayern wird nun ausgewertet, wie es den Kindern hilft.

Von Anna Günther

Bayerns Schüler sind besser als andere, das wird von Politikern ständig wiederholt und von Studien oft bestätigt. Dennoch machen Lehrer aller Schularten im Freistaat seit Jahren auf Leseprobleme aufmerksam. Und das Thema ist offensichtlich virulent, denn das Kultusministerium finanziert seit einem Jahr ein breit angelegtes Forschungsprojekt. Regensburger Bildungsforscher um die Deutsch-Didaktik-Professorin Anita Schilcher untersuchen an 890 Grundschulen die Wirkung ihres Leseförderprogramms Filby (Fachintegrierte Leseförderung Bayern). Das Interesse an den Schulen war so groß, dass binnen einer Woche alle Plätze vergeben waren. 43 000 Mädchen und Buben üben seit September 2018 mit Filby lesen.

Wie gut Schüler lesen, war ein Schwerpunkt der neuesten Pisa-Studie. Wissenschaftler hatten die Lesefähigkeit von 15-Jährigen in 30 OECD-Staaten untersucht. Die 5451 deutschen Mädchen und Buben schafften es ins Mittelfeld, die Lücke zwischen sehr guten Lesern und schlechten klafft noch immer weit auseinander. Dazu kommt eine Erkenntnis, die Bildungsexperten "besorgniserregend" nennen: Die Zahl der Jugendlichen, die schlecht lesen, steigt. 21 Prozent sind es an deutschen Gymnasien, an Real-, Mittel- oder Gesamtschulen sogar 29 Prozent. Viele Schüler verstehen Zusammenhänge nicht, weil sie nicht flüssig lesen können.

Kultusminister Michael Piazolo (FW) reagierte wie üblich: Die Pisa-Studie bringe keine wesentlich neuen Erkenntnisse und sei begrenzt aussagekräftig, weil die Ergebnisse nicht nach Bundesländern aufgeschlüsselt werden. In anderen Studien sei Bayern stets an der Spitze.

Auch Professorin Schilcher überraschten die Pisa-Ergebnisse nicht, doch das Grundproblem sei geblieben: "Wir versuchen in der Grundschule noch aufzufangen, dass die Schwachen nicht irgendwann abgehängt werden." Denn vom normalen Unterricht profitieren vor allem starke Schüler. Die Schwachen mitzunehmen, könne durch gute Diagnostik und gezielte Förderung gelingen. Das nennt Schilcher "gesellschaftliche Verantwortung", auch wenn Schulen die Folgen für die Sprachentwicklung nicht ausgleichen könnten, wenn Eltern nie vorlesen und ihre Kinder nie zum Lesen ermuntern.

Filby orientiert sich an Methoden, deren Wirksamkeit erwiesen ist. Das Projekt beginnt mit Zweitklässlern und läuft bis zur vierten Klasse. Erster Schritt: Lesen durch Hören. Lehrer wählen eines von vier vorgeschlagenen Kinderbüchern aus, je nach Lese-Niveau der Klasse. Professionelle Sprecherinnen haben diese literarischen Texte in drei Geschwindigkeiten eingelesen. Die Schüler sollen jeden Tag lesen üben, dabei hören sie die Audio-Datei und sprechen halblaut mit. Erst mit 80 Wörtern pro Minute, dann mit 100 oder 120, der üblichen Sprechgeschwindigkeit im Radio. "Die Kinder sollen einen Sichtwortschatz entwickeln, nach zwei, drei Durchgängen haben sie sich bestimmte Wörter eingeprägt und können flotter lesen", sagt Schilcher.

Zum Halbjahr folgen Sachtexte, die Schilchers Didaktik-Kollegen eigens geschrieben haben. Die Leseförderung verlagert sich so auch in den Mathe- und Sachunterricht. Die Texte befassen sich damit, ob Tiere Zähne putzen müssen oder wie lange Bienen für ein Glas Honig brauchen. Nach Ablauf der sechs Wochen täglichen Lesens sollen Lehrer die Regensburger Sachtexte einsetzen, wenn es thematisch passt. Die Filby-Hefte mit Sachtexten würden sehr gut angenommen, sagt Schilcher. Sie entdeckte, dass viele Schulbücher und sogar Texte von Kinder-Internetseiten sprachlich oft zu komplex seien für jüngere Schüler.

In der dritten Klasse lernen Mädchen und Buben dann Strategien, um sich Texte zu erschließen. In der vierten Klasse sollen sie sich Leseziele setzen und am Ende einer Woche reflektieren. Langfristig sollen Lehrer die Schüler diagnostizieren und die passenden Filby-Fördertexte einsetzen.

Ein finales Fazit möchte Anita Schilcher nicht abgeben, die Auswertung laufe noch.

Sie untersucht die Entwicklung von 10 000 Kindern genauer. "Wir können in der Tendenz sagen, dass die Schüler profitieren, und am stärksten profitieren die Schwachen", sagt sie. Ihre Hoffnung sei, mit Filby die Zahl der ganz schwachen Leser zu reduzieren. Im Ministerium denke die Fachabteilung schon über eine Ausweitung des Projekts in höhere Klassen nach. Hört man sich bei teilnehmenden Grundschulen um, bricht ebenfalls rasch die Euphorie durch. Die Grundschule Mindelheim etwa setzt Filby schon beim nächsten Zweitklass-Jahrgang ein, obwohl diese Kinder nicht mehr Teil des Projekts sind. "Wir wollen es in der Schulentwicklung behalten, weil Filby effektiv ist", sagt Konrektorin Sabine Gruber. Zwar erfinde Filby "das Rad nicht neu", aber der Fokus auf das tägliche Lesen sei sehr wertvoll. Auch in Mindelheim seien bereits Fortschritte erkennbar, gerade bei langsamen Lesern.

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