Deutsches Theater Berlin:Wehe der Besiegten

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Klagefrauen aus drei Generationen (von links): Linn Reusse, Almut Zilcher, Katharina Matz; vorne: Paul Grill. (Foto: Arno Declair)

Schlimm, was sogenannte Helden den Frauen antun! Stephan Kimmig widmet den weiblichen Opfern des trojanischen Krieges das Sprechkonzert "Hekabe".

Von Peter Laudenbach

Große Thesen auf der Bühne brauchen wuchtige Textvorlagen, gerne mit Pathosappeal und der Dignität von Klassikern. Stoffe aus der Antike sind dabei besonders wirkungsvoll. Viel Gewalt und hohe Sprache. Notfalls übertönen die Schlachtgesänge die begrifflichen Unschärfen. Der Regisseur Stephan Kimmig hat damit unter tätiger Mithilfe des Dramaturgen John von Düffel schon in seiner eher wirkungsorientierten als analytisch ergiebigen Bearbeitung des Atriden-Stoffs "Ödipus.Stadt" einschlägige Erfahrungen gesammelt. In einer neuen Inszenierung bemühen die beiden Resteverwerter im Deutschen Theater Berlin nun noch einmal das Schlachthaus der antiken Überlieferung, um mitzuteilen, dass wir in Gewaltverhältnissen leben, diesmal mit Hilfe zweier selten gespielter Tragödien von Euripides, "Die Troerinnen" (415 vor Christus) und "Hekabe" (ca. 428 vor Christus) sowie Passagen aus der "Illias" des Homer. Sie montieren das Text- und Stoffmaterial zu einem 90-minütigen, eher nicht kurzweiligen Theaterabend, der zum gefälligen Erschrecken einlädt: Schon schlimm, was allgemein Menschen einander und insbesondere Männer Frauen antun!

Kimmig wählt die szenische Form eines Sprechkonzerts. Das ist zwar theatralisch nur begrenzt aufregend und verzichtet auf Rollenpsychologie, aber immerhin lenken so keine körperlichen Aktionen von den inflationär eingesetzten Pathosformeln und Gewaltdarstellungen des sanft rhythmisierten Textflusses ab. In einem hübsch anzusehenden Holzkasten (Bühne: Katja Haß) stehen die Darsteller meist frontal zum Publikum hinter ihren Notenständern und arbeiten sich mit musikalischer Untermalung (Livemusik: Michael Verhovec) durch die mit großzügig eingesetzter Emotionsdarbietung begleitete Textpräsentation.

Auch Odysseus, der in der Literatur ob seiner List bewunderte Held, war ein Mörder

Es sind vier Sprecher, drei Frauen aus drei Generationen, eine junge, wütend aufbrausende (Linn Reuse), eine mittelalte, eher aufs Leiden spezialisierte (Almut Zilcher) und eine alte, mit schöner Konzentration kühl reflektierende (Katharina Matz), sowie ein bedauernswerter Mann, der kraftpumpend alle Männerschändlichkeiten zu verkörpern hat (Paul Grill). Sie bemächtigen sich abwechselnd aller Figuren. Keine, keiner der Protagonisten wird tiefenscharf erkennbar, sie sind wenig konturierte, fast austauschbare Thesen- und Textmaterialträger. Bemühungen, das zu kompensieren, etwa durch einzelne Ausbrüche von Schmerzbehauptungen, wirken eher unfreiwillig komisch.

Die Zentralfigur ist Hekabe, die Gattin des von den Griechen besiegen Herrschers der Stadt Troja. Sie erleidet nicht nur von Seiten der Siegermächte, insbesondere durch den in der Literatur der Antike in anderen Kontexten ob seiner List bewunderten Odysseus, Grausamkeiten wie den Mord an ihrer Tochter. Auch ein Freund der Familie, ein gewisser Polymestor, verrät Hekabe, indem er ihren, ihm zum Schutz anvertrauten Sohn Polydor aus Habgier ermordet. Verbindendes Hauptmotiv ist zum einen die Klage, dass Krieg nicht schön ist (oder, um es mit den Worten Martin Kippenbergers zu sagen: "Krieg böse") und insbesondere Frauen im Verlauf kriegerischer Handlungen als Beutegut und Opfer sexueller Gewalt zu leiden haben.

Kaum weniger originell ist die Leitthese der Aufführung, dass die Bewertung eines Kriegsakteurs als Heros oder Verbrecher eine Frage der Perspektive sei, die bedauerlicherweise oft aus Sicht der Sieger in Werken der Literatur und Propaganda festgehalten werde: "Aus Tätern werde Helden, sobald sie ihre Lieder dichten." Das sind nicht unbedingt neue, überraschende oder über die Maßen komplexe Thesen. Immerhin folgt die Form der Funktion: Die Inszenierung entspricht in ihrer szenischen Genügsamkeit und der Freude an sehr überschaubaren Abläufen der inhaltlichen Simplifizierung des Materials auf eine didaktisch einwandfreie Mitteilung, die jederzeit garantiert konsensfähig ist und damit in etwa das Gegenteil des Schreckens- und Irritationspotenzials der Tragödie.

© SZ vom 06.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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