Handys:Simsen, gehen, Notaufnahme

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Verletzungen und Unfälle unter Mobiltelefon-Einfluss nehmen zu.

Von Werner Bartens

Sie stolpern orientierungslos umher, laufen gegen Türrahmen, stoßen sich an Möbeln, manche fallen sogar die Treppe hinunter. Was sich nach den Folgen eines üblen Rausches anhört, umschreibt den häuslichen Alltag vieler Jugendlicher und junger Erwachsener - und zwar ganz ohne Drogen. Viele lassen ihr Smartphone kaum aus dem Blick, sie starren gebannt auf den Bildschirm, sodass es immer häufiger zu leichten Kollisionen aber auch zu schweren Unfällen kommt. Es ist ein Irrtum, dass bis auf ein paar ungeschickte Rempler schon nichts passiert, wenn jemand nur Augen für das Display hat. HNO-Ärzte aus den USA warnen jetzt vor ernsten Folgen für die Gesundheit.

Im Fachmagazin Jama zeigen Mediziner der Rutgers University in Newark, dass die Verletzungen von Kopf, Hals und inneren Organen, die mit dem Gebrauch von Handys zusammenhängen, seit 1998 massiv zugenommen haben. Besonders steil verlief der Anstieg dann in den Jahren seit 2007. Damals wurde das erste iPhone auf den Markt gebracht.

"Wir werden immer abhängiger von diesen Geräten, deshalb sollten wir auch die gesundheitlichen Risiken besser kennen, die damit einhergehen", lautet das Fazit der Mediziner um Roman Povolotskiy. "Ein großer Anteil der Verletzungen betrifft die Altersgruppe zwischen 13 und 29 Jahren und passiert, während sie gleichzeitig texten und gehen." Der Mensch ist motorisch nicht dafür gemacht, eifrig auf seinem Handy herumzutippen, während er sich bewegt.

Die Ärzte hatten eine große Stichprobe von Patienten ausgewertet, die in die Notaufnahme mussten, nachdem sie ihr Handy benutzt hatten. Schnittwunden im Gesicht waren am häufigsten, gefolgt von Prellungen, seltener sogar Gehirnerschütterungen, inneren Blutungen und Brüchen. Immerhin 41 Prozent der Unfälle ereigneten sich zu Hause. In der Altersgruppe unter 30 waren Verletzungen nach Ablenkung durch das Handy besonders häufig. Bei Schülern unter 13 Jahren kam es öfter zu direkten Traumata - weil der Akku explodierte oder Handys als Wurfgeschosse zweckentfremdet wurden.

Aufklärung nützt bisher wenig. 2015 wurde "Smombie" zum Jugendwort des Jahres gewählt, ein zungenbrecherisches Kofferwort aus Smartphone und Zombie. Darin drückt sich die Verstörung angesichts jener irrlichternden Gestalten aus, die geistesabwesend durch Haus, Hof und Berufsverkehr schleichen und mit gesenktem Blick Unfälle provozieren. Orthopäden und Kinderärzte befürchten Haltungsschäden und Bandscheibenvorfälle durch "Smartphone-Nacken"; die Muskeln und Bänder sind für die gebückte Kopfhaltung nicht gemacht. Augenärzte beklagen, dass immer mehr junge Menschen kurzsichtig werden. Physiotherapeuten kurieren "Handy-Daumen".

Auch die vielen Autounfälle unter Handy-Einfluss haben keine abschreckende Wirkung - zudem fahren etliche Jugendliche freihändig Rad und texten dabei am Smartphone. Hilft ein härterer Ton? Die US-Ärzte für Kopf und Hals versuchen es jedenfalls: Sie warnen vor heftigen Narben im Gesicht, die kosmetische Einbußen nach sich ziehen und das Selbstbewusstsein trüben. Zumindest die Lust am Selfie könnte dann nachlassen.

© SZ vom 06.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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