Euro:EU-Währungshüter kritisiert Stabilitätspakt

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Paolo Gentiloni, 65, war von 2016 bis 2018 Ministerpräsident Italiens. Vor der politischen Karriere arbeitete der Sozialdemokrat als Journalist. Seit einer Woche ist er EU-Kommissar in Brüssel. (Foto: Alessandra Tarantino/AP)
  • Paolo Gentiloni, neuer Wirtschaftskommissar in Brüssel, will die Eurostaaten zu mehr Investitionen ermuntern.
  • Dazu möchte er den Stabilitäts- und Wachstumspakt reformieren.
  • Reformvorschläge will er schon im kommenden Jahr vorlegen.

Von Björn Finke, Brüssel

An den Wänden seines geräumigen Büros hängen noch keine Bilder. Paolo Gentiloni hat gerade erst diesen Raum im zehnten Stock des Brüsseler Berlaymont-Gebäudes, der Zentrale der EU-Kommission, bezogen. Die Kommission von Präsidentin Ursula von der Leyen begann vergangene Woche ihre Arbeit, Gentiloni ist der Wirtschafts- und Währungskommissar. Der Posten bedeutet viel Macht - und oft Ärger: Der frühere italienische Ministerpräsident ist unter anderem für den Stabilitätspakt zuständig, also die Regeln für solide Haushaltsführung in Euro-Staaten, außerdem für das schwierige Thema Steuern. Und Gentiloni kündigt in seinem ersten Interview als Kommissar manches an, was in der Tat Ärger bereiten könnte.

Den Stabilitätspakt etwa kritisiert der 65-Jährige als nicht mehr zeitgemäß: "Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass diese Regeln in einer besonderen Zeit entstanden sind, in einer Krise", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Die Budgetvorgaben für die Länder mit der Euro-Währung wurden während der Staatsschuldenkrise verschärft - um eine Wiederholung des Dramas um Griechenland und andere Staaten zu verhindern und das Vertrauen in die Devise zu stärken.

"Eine neue Kommission muss immer ehrgeizig sein bei ihren Zielen", sagt der Ex-Premier

"Doch wir sind raus aus dieser Krise", sagt der Sozialdemokrat, "und haben nun andere Herausforderungen: den Kampf gegen den Klimawandel und die Gefahr, für lange Zeit geringes Wachstum und geringe Inflation zu haben." Daher müsse der Rahmen "schrittweise für diese neue Zeit" angepasst werden. Sprich: Gentiloni möchte die Eurostaaten zu mehr Investitionen in Klimaschutz und für die Konjunktur ermuntern. Der Politologe und frühere Journalist ist auch nicht der Einzige, der den Stabilitäts- und Wachstumspakt für reformreif hält. Viele EU-Finanzminister fordern ebenfalls Änderungen, allein schon, weil das Regelwerk als zu kompliziert gilt.

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Die Krux ist aber, dass die Wünsche in unterschiedliche Richtungen gehen. Staaten wie die Niederlande, die viel Wert auf Haushaltsdisziplin legen, klagen, die Kommission wende den Pakt zu nachsichtig an. Länder mit eher laxer Budgetpolitik verlangen dagegen Reformen, die mehr Spielräume für Investitionen erlauben.

Trotz dieser kniffeligen Ausgangslage will Gentiloni rasch handeln. Zunächst möchte er die Vor- und Nachteile des Regelwerks bewerten. "Auf dieser Basis wird es Beratungen geben, und in der zweiten Jahreshälfte 2020 könnten wir Vorschläge" zur Reform der Eurozonen-Regeln präsentieren, sagt er. Ob Gesetzesänderungen nötig seien oder es bloß um Vereinfachungen und Interpretationen gehe, sei offen.

Egal, was das Ergebnis ist: Der Währungskommissar muss den Pakt kontrollieren und durchsetzen. Da könnte er auf Ärger mit seinem Parteifreund Roberto Gualtieri zusteuern, dem Finanzminister Italiens. Die EU-Kommission urteilte im November - noch in alter Besetzung -, dass Roms Haushaltsentwurf für 2020 Gefahr laufe, den Stabilitätspakt zu verletzen.

Da Querelen wegen Italiens Haushalt nichts Neues sind, stieß die Berufung Gentilonis zum Währungskommissar bei manchem auf Kritik. "Dass nun ein Italiener den Problemstaat Italien überwachen soll, ist alles andere als eine ideale Konstellation", sagte damals etwa der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber. Gentiloni beteuert seine Unabhängigkeit: "Ich werde nicht mit zweierlei Maß messen." Allerdings betont er, dass der Stabilitätspakt durchaus Flexibilität zulasse. "Und Präsidentin von der Leyen hat mehrfach wiederholt, wie wichtig es ist, diese Flexibilität zu nutzen", sagt er. Das wird die Regierung in Rom sicher gerne hören.

Der Italiener ist jedoch nicht als Einziger für den Euro zuständig. Ein Auge auf die Währung hat auch Valdis Dombrovskis, einer von drei Exekutiv-Vizepräsidenten der Kommission. Der lettische Christdemokrat war bereits in der Vorgänger-Kommission Vizepräsident für Euro und Finanzmärkte. Gentilonis Posten hatte Pierre Moscovici inne, ein französischer Sozialdemokrat. Er und Dombrovskis übernahmen bei Problemen mit dem Stabilitätspakt manchmal die aus Krimiserien bekannte Rollenaufteilung von guter Polizist und böser Polizist, wobei der Franzose den verständnisvollen EU-Kommissar mimte. Gentiloni sagt, am Zuschnitt seines Amts habe sich wenig geändert: "Ich bin Moscovici, und er ist Dombrovskis. Ich arbeite sehr gern mit anderen Menschen zusammen, und besonders gern mit Valdis."

Gentiloni will die Arbeit an einer EU-Digitalsteuer vorantreiben

Ein anderes wichtiges Thema für Gentiloni ist die Besteuerung internationaler Konzerne. Kritiker werfen vor allem Internetunternehmen wie Amazon oder Google vor, zu wenig in jenen Ländern zu versteuern, in denen sie die meisten Geschäfte machen: zum Beispiel in Europa. Bei der Organisation OECD in Paris verhandeln gerade Staaten aus der ganzen Welt über eine fairere Aufteilung der Steuern. Zuletzt drohten aber die USA, ihre Unterstützung zu entziehen. Sollten die Gespräche bei der OECD über eine globale Lösung scheitern, will Gentiloni "die Arbeit an einer eigenen EU-Digitalsteuer vorantreiben". Solch eine Sondersteuer für Webkonzerne gibt es schon in Frankreich. Die Regierung zog damit den Zorn Washingtons auf sich.

Gentiloni wird sich zudem mit Energiesteuern in Europa befassen müssen. Im Auftrag der Mitgliedstaaten soll die Kommission untersuchen, wie die Besteuerung von Treibstoffen und Strom besser den Kampf gegen den Klimawandel unterstützen kann. Ein Hindernis für die Behörde ist jedoch, dass im Ministerrat, dem Entscheidungsgremium der EU-Staaten, bislang bei Steuerfragen Einstimmigkeit nötig ist: Ein Land allein kann alles blockieren. Dies mindert die Chancen erheblich, dass Vorschläge für eine Digitalsteuer oder modernisierte Energiesteuern Gesetz werden.

Kommissar Gentiloni will deshalb versuchen, die Entscheidungsregeln im Ministerrat zu ändern. Der Italiener setzt seine Hoffnungen auf Artikel 116 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU. Danach kann selbst bei Steuerfragen mit Mehrheit statt Einstimmigkeit entschieden werden, wenn es dem Ziel dient, schwere Verwerfungen im EU-Binnenmarkt zu beseitigen. Der Haken: "Der Artikel ist noch nie angewandt worden. Das zeigt, dass man starke Argumente braucht", räumt Gentiloni ein. "Wir sollten sicherstellen, dass unser erster Versuch, unser erster Fall, ein sehr guter, überzeugender Fall ist. Wir werden aber sicher einige Gelegenheiten haben."

Ganz schön ambitioniert, doch Gentiloni sagt: "Eine neue Kommission muss immer ehrgeizig sein bei ihren Zielen."

© SZ vom 09.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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