Residenztheater:Traum oder wirre Wirklichkeit

Residenztheater: Lisa Stiegler ist die Lena, vielleicht aber auch nicht. Hier nähert sie sich Elias Eilinghoff an, vielleicht.

Lisa Stiegler ist die Lena, vielleicht aber auch nicht. Hier nähert sie sich Elias Eilinghoff an, vielleicht.

(Foto: Sandra Then)

Der Schweizer Regisseur Thom Luz Büchners zerpflückt "Leonce und Lena" und arrangiert das Stück völlig neu

Von Yvonne Poppek

Die Dunkelheit macht es möglich. Die Sätze greifen ineinander, wachsen fast zu einem Dialog, bleiben diesmal nicht seltsam beziehungslos zwischen den Figuren hängen. Ja, miteinander reden ist ein Ding der Unmöglichkeit. Sich verstehen erst recht. Aber die Dunkelheit gebiert zumindest einmal an diesem Abend ein "Halli" und ein "Hallo", die Frage "Wer ist da?" und die Antwort "Ein Traum". Dann verflüchtigt sich die kurze Dialog-Annäherung schon wieder und das, was von Leonce und Lena übrig bleibt, ist vermutlich genau dies: ein Traum.

Der Schweizer Regisseur und Musiker Thom Luz, seit dieser Saison Hausregisseur am Residenztheater, hat Georg Büchners Lustspiel 2017 am Theater Basel eingerichtet. Nun hat er seine Inszenierung mit zwei Umbesetzungen nach München gebracht. Am Samstag hatte "Leonce und Lena" dort seine genauso gefeierte wie ausgebuhte München-Premiere. Die sehr unterschiedliche Aufnahme liegt wohl daran, dass Luz keinen schlichten Spaß serviert, sondern Büchners Stück zerpflückt und in neuen Einheiten arrangiert hat, zusammengehalten von Mathias Weibels Musik-Collage. Mehr Kopfsache als Kulinarik. Den Text hat Luz auf sechs Schauspieler verteilt. Die Frage nach dem Wer ist Wer ist obsolet, die im Spiel oft gestellte Rückfrage - "Hast Du mich begriffen?" "Vollkommen." - eine Farce.

Auf der Bühne liefert Tina Bleuler auch nur wenige Anhaltspunkte. Sie hat zwei aneinandergeschachtelte Räume gebaut, mit hohen weißen Decken und Stuckaturen. Die Wände sind angegraut, teils schimmelig. In Kombination mit Ballettstange und Stuhlstapel erzeugen sie die Atmosphäre eines stark angejahrten Probenraumes, nichts ist intakt, selbst das Klavier in zwei Teile zersägt. Von Königreichen und Herzogtümern, von den Königskindern Leonce und Lena, die vor ihrer Heirat fliehen und dann doch zufällig zusammenfinden, kann hier nur die Rede sein.

Doch auch das Königskinder-Gedöns interessiert Luz nur peripher. Zwar schlagen die italienischen Musikschauspieler Annalisa Derossi und Daniele Pintaudi gleich zu Beginn Walzertöne und die Volksweise "Es waren zwei Königskinder" am Klavier an, und einige Versatzstücke an den Kostümen der durchnässt ankommenden Gesellschaft weisen auf royalen Hintergrund hin. Doch im Zentrum steht die Frage nach Schein und Sein; in welchem Gewand jemand steckt, ist gleichgültig.

Da ist etwa Lisa Stiegler, die am ehesten die Lena ist - vielleicht aber eben auch nicht. Sie jagt in einem Monolog quer durch den ganzen Text, sammelt wendig und atemlos die Motive auf: von der unfreiwilligen Verlobung über närrische Fantastereien bis hin zum Traum von einem idealen Königreich mit Blumenuhr und Dauersommer. Fragil und scheu zeichnet Stiegler ihre Bühnenfigur, staunend darüber, wie Sprache eine Realität schafft, die im nächsten Moment wieder zerbröckelt. Dieses Spiel beherrscht auch Barbara Melzl bis ins Detail. Krachend lässt sie die Worte auf die Bühne fallen, baut Welten aus Blödsinn. Elias Eilinghoff, ein bisschen Leonce, ein bisschen Traumtänzer, tastet vorsichtig nach einem Sinn im Satz. Und Steffen Höld stellt schnarrend fest, dass der Weg ins Narrenhaus nicht weit sei.

Und da ist sie, diese Idee, die Vorstellung, die Wirklichkeit sei nur ein Traum oder eine vom Wahnsinn verzerrte Realität oder schlichtweg ein großes Theaterstück. Schließlich hat Pintaudi zu Beginn des Abends das Publikum heimschicken wollen, da sich morgen der Spaß ohnehin wiederhole. Alles bleibt gleich oder alles bleibt anders, je nachdem, wie man sich sein Leben so einrichtet. Thom Luz lässt einen bei dieser Sinnsuche immer wieder stolpern, auch wenn er die Zuschauer mit Musik von Mozart bis Berg einlullt und die Kulisse in Schummerlicht versinken lässt. Der Regisseur fängt sein Publikum mit schönen Bildern, wiegt es in ästhetischer Sicherheit, um es dann böse in der wirren Wirklichkeit erwachen zu lassen, für die Büchner mit seinem aberwitzigen Lustspiel einst die Vorlage lieferte. Diese Ratlosigkeit macht nicht immer Spaß, ist aber eine kluge Schule in der Akzeptanz des Unsinns.

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