Welthandelsorganisation:US-Blockade macht wichtiges WTO-Gericht arbeitsunfähig

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Die Welthandelsorganisation WTO hat ihren Sitz in Genf - und gerade viel Ärger mit den USA. (Foto: Sascha Steinach;/imago images)
  • Das Berufungsgericht der Welthandelsorganisation (WTO) hat seit diesem Mittwoch nur noch einen Richter und ist somit arbeitsunfähig - denn nötig sind mindestens drei Juristen.
  • Grund dafür ist eine Blockade der USA, die sich seit Jahren weigern, neue Richter zu benennen.
  • Die Schwächung des Gerichts ist vor allem im Hinblick auf den Handelsstreit zwischen den USA und China höchst problematisch.

Von Björn Finke, Brüssel

Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, spricht von einer "Hiobsbotschaft". Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie, befürchtet "Wildwestzustände im internationalen Handel, bei denen das Recht des Stärkeren gilt". Pierre Gattaz, Präsident des europäischen Unternehmer-Dachverbandes Business-Europe, klagt, beim Handel könne "das Gesetz des Dschungels" zurückkehren. Grund der Sorge: Von diesem Mittwoch an wird das Berufungsgericht der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf nicht mehr arbeitsfähig sein.

Die amerikanische Regierung blockiert seit Jahren die Ernennung neuer Richter, weswegen deren Zahl bereits von sieben auf drei gesunken war. Bei zwei Richtern endete die Amtszeit nun am Dienstag. Übrig ist nur die Chinesin Hong Zhao, aber sie allein darf nicht entscheiden: Für Verfahren sind mindestens drei Juristen nötig. Der Kollaps der Einrichtung schwächt die WTO enorm. Die Organisation, bei der 164 Staaten Mitglied sind, legt verbindliche Regeln für den Welthandel fest, und bei Disputen und Verstößen können Regierungen ein Streitschlichtungsverfahren anstoßen. Letzte Instanz ist das Berufungsgericht. Kann dieses jetzt nicht mehr urteilen, büßen das Schlichtungsverfahren und letztlich die WTO-Regeln dramatisch an Bedeutung ein.

Washington findet, die WTO-Richter hätten ihre Kompetenzen überschritten

Das Problem kommt zu einem äußerst heiklen Zeitpunkt: Der internationale Handel wird ohnehin vom Streit der USA mit China und der EU belastet; der amerikanische Präsident Donald Trump versucht, mit Strafzöllen die Regeln des Handels zugunsten der USA zu ändern. Die Blockade des WTO-Gerichts begründet Washington damit, dass die Richter Kompetenzen überschritten hätten. Doch Trump dürfte generell nicht an einer starken WTO gelegen sein. Er hält nicht viel von international ausgehandelten Regeln, wenn diese seiner Meinung nach die USA schwächen, und er schätzt es ganz und gar nicht, wenn Organisationen Urteile über die Aktivitäten der mächtigen USA fällen.

EU-Handelskommissar Phil Hogan bietet Washington an, gemeinsam eine Reform der WTO zu starten und dafür China mit an Bord zu holen. Trump missfällt, dass die Wirtschaftsmacht China bei der WTO weiterhin als Entwicklungsland gilt, was Peking manche Vorteile bietet. Die Blockade des Gerichts haben solche Offerten aber nicht aufheben können. Daher will sich die EU mit Staaten weltweit darauf einigen, das Streitschlichtungsverfahren fortzuführen und statt des arbeitsunfähigen Berufungsgerichts ein anderes Gericht als letzte Instanz zu nutzen. Bisher haben sich jedoch nur Kanada und Norwegen diesem Ersatzsystem angeschlossen. Außerdem soll der Handelskommissar die EU-Regeln für Strafzölle anpassen, damit Brüssel die Vergeltungsmaßnahmen zur Not auch ohne WTO-Richterspruch verhängen kann. So will sich die EU auf die neue, richterlose Zeit einstellen.

© SZ vom 10.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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