Börsensteuer:Olaf Scholz steckt im Dilemma

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Olaf Scholz beim SPD-Parteitag Anfang Dezember 2019. (Foto: AFP)

Der Gesetzentwurf des Ministers ist ungerecht: Wer für das Alter vorsorgen will, soll zahlen - Spekulanten bleiben verschont.

Kommentar von Cerstin Gammelin, Berlin

Was von dem Gesetzentwurf des Bundesfinanzministers zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer zu halten ist, hat der Verfasser selbst beantwortet - indirekt. Der Sozialdemokrat Olaf Scholz wartete ab, bis das Rennen um den Parteivorsitz und der Parteitag der SPD vorüber waren; erst danach ging der Entwurf an seine europäischen Amtskollegen. So handelt nur jemand, der sich nicht sicher ist und deshalb lieber schweigt - aus Vorsicht.

Der Plan ist nicht aufgegangen; die Genossen wollten ihn nicht an der Parteispitze. Aber das Schweigen zeigt: Scholz hat geahnt, dass die von ihm verhandelte Steuer keineswegs geeignet gewesen wäre, die Herzen der Sozialdemokraten zu erobern. Er wusste, dass der Gesetzentwurf wie eine Mogelpackung daherkommt: Wo der gerecht klingende und lang erwartete Titel Finanztransaktionssteuer draufsteht, ist lediglich eine neue Steuer auf Aktiengeschäfte drin.

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Sicher, Aktiengeschäfte sind auch Finanztransaktionen. Aber nur ein kleiner Teil davon, und noch dazu der wenig spekulative. Aber ausgerechnet diejenigen, die künftig Aktien von Firmen wie BASF, Daimler oder Telekom erwerben wollen, sollen dafür auch an den Fiskus zahlen. Wird das jene freuen, die gerade ihre ersten Schritte auf dem Aktienmarkt wagen? Oder jene Millionen von Steuerzahlern, die vor zehn Jahren allein in Deutschland - ungefragt - mit siebzig Milliarden Euro private Banken retten mussten, weil sonst ganze Pensionsfonds verzockt gewesen wären? Ganz sicher nicht.

Wenn sich Bürger abwenden vom politischen Betrieb, hat das oft mit den nicht erfüllten, großen Versprechen aus der dramatischen Finanzkrise zu tun. Seit 2008 hat jede von Angela Merkel geführte Bundesregierung angekündigt, die Finanzmärkte zu zähmen und an den Kosten der gigantischen Rettungsaktionen zu beteiligen. Aber so schnell die Regierungen damals handelten, um mit Steuergeld die Verluste der gierigen Banker aufzufangen und Börsen vor dem Kollaps zu retten, so langsam geht es voran mit der Gerechtigkeit.

Die Begründungen sind fadenscheinig. Als Banken gerettet werden sollten, setzte Merkel auf nationale Lösungen. Wenn es aber darum geht, Banken zu bändigen, soll das angeblich nur im europäischen Rahmen funktionieren. Merkel und vor allem der einstige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble haben so lange laviert, bis die Finanztransaktionssteuer in der Versenkung verschwunden war.

Aber warum legt der Sozialdemokrat Scholz, der wegen seiner Politik der kleinen Kompromisse die große SPD nicht führen darf, jetzt schon wieder so kleines Karo vor? Die Mitte der Gesellschaft, die mit Aktien für das Alter vorsorgen will, soll eine Steuer entrichten, aus deren Einnahmen wiederum das Leben der Armen im Alter finanziert wird, die Grundrente. Die Spekulanten aber bleiben verschont. Gerecht ist das nicht.

Scholz muss es trotzdem tun, weil er sich selbst in ein Dilemma manövriert hat. Er hat die Grundrente mit der Zusage verknüpft, sie mit Geld aus der Transaktionssteuer zu finanzieren. Ohne die Steuer hängt die Grundrente in der Luft. Aber die große Lösung ist mit den europäischen Partnern nicht machbar, vor allem nicht mit den Franzosen, die ihre Großbanken schützen. Will Scholz einem Shitstorm entgehen, bleibt ihm nur eins: doch noch die Nachbarn zu überzeugen.

© SZ vom 11.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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