Mitten in Freising:Gleiche Pole stoßen sich ab

Warum nicht nur vor Weihnachten mehr Miteinander schön wäre

Kolumne von Bianca Kellner-Zotz

Nein, Freising ist keine bedeutungslose Kleinstadt. Wir haben einen der besten Flughäfen der Welt, weniger Arbeitslose als Starnberg und mehr Studenten (Verzeihung: Studierende) als Ingolstadt. Wen wundert es da, dass die allerorten gefürchtete Polarisierung der Gesellschaft auch zu Füßen des Doms spürbar ist. So zu beobachten an einem Mittwoch, bekanntlich Markttag. Entlang der Oberen Hauptstraße herrscht geschäftiges Treiben, es geht eng her. Mütter mit Kinderwagen (vollausgestattete, breitbereifte Allwetter-Kinderwagen) treffen an einem Obststand auf andere Mütter mit Kinderwagen - und versperren den Weg. Eine Frau mittleren Alters bleibt zunächst milde lächelnd stehen. Sie winkt einem an einer Breze nuckelnden Kinderwagen-Insassen zu und wartet darauf, dass die dazugehörige Erziehungsberechtigte zur Seite geht. Als das nicht passiert, weil diese in ein Gespräch mit ihrer Peer-Group vertieft ist, weicht das Lächeln einem verärgerten Stirnrunzeln. Sie drückt sich an der Mutter vorbei. Ein Akt familienfeindlicher Aggression, der prompt mit einem "Wie wär's mit ein bisschen mehr Rücksicht?" quittiert wird.

Drei Meter weiter. Eine Dame jenseits der 80 bestellt an einem Stand für Bio-Metzgereiprodukte einige Würste. Die Verkäuferin reicht ihr die in braunes Papier gewickelte Ware und bittet um etwas mehr als fünf Euro. Die Seniorin stutzt, fragt noch mal nach, kramt in ihrem Portemonnaie (das ganz offensichtlich schon bessere Zeiten gesehen hat) und bemerkt schließlich gereizt: "Ihr seid's aber billig!" Die Verkäuferin bleibt stoisch, allein ihr an die Decke schweifender Blick spricht Bände. Sie ist an derartige Kommentare gewöhnt und entgegnet betont gelassen: "Wenn die Tiere mehr Platz haben und rumlaufen dürfen, dann kostet es halt auch mehr."

Untere Hauptstraße, irgendwo im Baustellenchaos. Ein rotgesichtiger Paketbote schiebt im Laufschritt einen Sackkarren vor sich her. Ein gut 1,70 Meter hoher Stapel - der im Übrigen verdächtig viele Sendungen eines global agierenden Internet-Versandhändlers enthält - versperrt ihm die Sicht, weshalb er schließlich einer Passantin über den Fuß fährt. Ein Schmerzensschrei. Eine beiläufige Entschuldigung. Ein Schrei der Entrüstung. Der Paketbote entschuldigt sich ein weiteres Mal, bleibt jedoch nicht stehen, sondern betritt sichtlich gestresst einen Laden. Die Dame läuft ihm nach, stellt ihn erbost zur Rede, ein längeres Wortgefecht entspinnt sich. Das dabei verwendete Vokabular gereicht keiner der beiden Parteien zur Ehre. Wie überhaupt die Polarisierung der Gesellschaft etwas ganz Unschönes ist. Auch in Freising.

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