Sperre gegen Russland:Die Autonomie des Sports gehört abgeschafft

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Am Montag verhängte das Exekutivkomitee der WADA eine vierjährige Sperre gegen Russland. (Foto: AFP)

Das angeblich harte Urteil gegen russische Sportler ist eine Farce zum Fremdschämen. Das IOC misst mit zweierlei Maß - und hält dem Fußball die Hintertüre auf.

Kommentar von Thomas Kistner

Russland für vier Jahre gesperrt! So lautet angeblich das Verdikt der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) zu den staatlich gesteuerten Wiederholungstätern. Ob das auch nur halbwegs zutrifft, bleibt bis zu den Sommerspielen 2020 in Tokio abzuwarten. Dort wird Russland mit dem üblichen Riesenkontingent antreten, und sollte die Sport-Armada - wie bei den Winterspielen 2018, für die sie ja auch "verbannt" war -, unter humoristischen Decknamen wie Olympische Athleten aus Russland anrücken, dann wäre im Zuge der brutalsten Dopingbestrafung nicht mal das Wort Russland gesperrt.

Träumer mögen sich erneut an den Fensterreden und Urteilen interessensverfilzter Funktionäre festhalten; der Kreml macht natürlich weiter wie bisher. Und der Sport auch, weshalb der Dreh mit den "neutralen" Athleten nur noch ein Gag zum Fremdschämen ist. Was werden die Medien Hunderten Millionen Zuschauern präsentieren? "Achtung: Jetzt zieht der neutrale olympische Läufer an dem Favoriten aus Kenia vorbei?" Oder: "Gold vor China und den USA für die neutrale Mannschaft!" Alberner geht's kaum: Es sind Russen. Jeder weiß es. Jeder nennt sie so.

Mit ihrer jüngsten Mogelpackung agieren die Funktionäre dreister als die Staatsdoper selbst. Russland ist ja Partei, ein Motiv klar erkennbar: Moskau hat seine Labordaten manipuliert, damit dem Land nicht die gigantische, fraglos historische Dimension seines Sportbetrugs um die Ohren fliegt. Nur: Warum spielt das IOC mit, im Schutze seiner subalternen Wada?

Die Autonomie des Sports ist ein absurdes Sonderrecht - und gehört abgeschafft

Das ist die Schlüsselfrage. Sie führt in die tiefsten Abgründe des Sports. Seit jeher durchsetzen russische Nachrichtendienste den Betrieb, das Land selbst wird seit dem Jahr 2000 sogar von einem Ex-Geheimdienstler beherrscht, der dem Sport auf seine Art zugeneigt ist. Da besitzt so eine Staatsdoping-Affäre gewisse Logik, und es ist vorsätzlich naiv, nun die an unsichtbaren, doch gut zu erahnenden Fäden hängenden Funktionäre ernsthaft aufzufordern, "klare Kante" zu zeigen. Nichts wird passieren. Bis Tokio 2020 ist die große Aufregung verraucht. Und wer meint, es könnte gar ein russisches Team bei der Fußball-WM 2022 in Katar als "neutrale Mannschaft" antreten, der darf auch an den Weihnachtsmann glauben. Die Wada selbst stößt dem Fußball die Hintertür auf: Für Teamsparten gibt's die beliebte Fallprüfung.

Aber die braucht es gar nicht: Fifa-Boss Gianni Infantino, ein russischer Verdienstordensträger mit Schweizer Pass, zählt zur persönlichen Entourage des russischen Staatschefs; etwa, wenn dieser ausländische Kollegen empfängt. Dieser Fifa-Patron täte so wenig gegen Kreml-Interessen wie Putin selbst. Auch ist der Fußball stärker als Olympia, und beide müssen (neben Moskauer Archiven) nur eines fürchten: staatliche Strafverfolger. IOC und Fifa haben ja im Zuge internationaler Korruptionsermittlungen eine Reihe früherer Spitzenleute verloren. Auch deshalb spüren die Menschen in offenen Gesellschaften, dass Olympia ein Problem geworden ist; die Ringe-Makler lehnen sie ab. Und auch an der Basis rumort es. Der mündige Teil der Athleten will dem Zugriff des IOC entfliehen; er formiert sich außerhalb, wie der 2017 gegründete Verein Athleten Deutschland, der für "grundlegende Veränderungen im deutschen und internationalen Sportsystem" eintritt.

Die wichtigste Weichenstellung aber können nur die Staaten bewirken. Die Autonomie des Sports muss weg, dieses absurde Sonderrecht, das die weltgrößte Unterhaltungsindustrie vor der staatlichen Justiz abschirmt. Vor diesem Hintergrund ist die Russland-Farce sehr willkommen. Die USA bringen gerade, bestärkt durch ihre Fifa-Korruptionsprozesse, ein hartes Anti-Doping-Gesetz auf den Weg, das ermöglichen soll, überall auf der Welt dem Sportbetrug nachzuspüren. Dieser "Rodchenkov-Act" ist nach dem ins US-Schutzprogramm geflüchteten Whistleblower Grigorij Rodtschenkow benannt - und er hat IOC und Wada so in Panik versetzt, dass sie professionelle Lobbyisten in die Schlacht auf dem Capitol Hill schicken.

Das Dekret ist an das Anti-Mafia-Gesetz Rico angelehnt, es soll Doper als Informanten und Zeugen nutzen, um Hinterleute aufzuspüren. Betreuer, Ärzte, Funktionäre eines transnationalen Geschäftsgeflechts also, das Strafermittler bislang nicht fürchten musste. Es wird spannend. Auch, weil die Funktionäre das Gesetz ja nun mit dem Geld bekämpfen, das für die Sache des sauberen Sports bestimmt ist.

© SZ vom 11.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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