Vergabe der Literaturnobelpreise:Der schweigende Geheimrat

  • Am Dienstagabend wurden in Stockholm die Literaturnobelpreise für das Jahr 2018 und 2019 vergeben.
  • Die nachgeholte Auszeichnung Olga Tokarczuks setzte die Autorin doppelt zurück, da die Hauptaufmerksamkeit Peter Handke galt. Die Autorin ging damit jedoch souverän um und bekannte sich in ihrer kurzen Dankesrede zu Polen.

Von Thomas Steinfeld, Stockholm

Fast zehn Wochen währte der große Streit um Peter Handke und den Nobelpreis. Noch am Tag der Verleihung der Auszeichnung hatte der einflussreiche schwedische Politiker Jasenko Selimović, der als Kind dem Beschuss Sarajevos entkommen war, Peter Handke mit dem Holocaust-Leugner David Irving verglichen und König Carl XVI. Gustav dazu aufgefordert, die Übergabe von Medaille und Urkunde zu verweigern.

Doch dann begannen, mit der Unerbittlichkeit eines höfischen Protokolls, die Zeremonien im Stockholmer Konzerthaus, das Orchester spielte das "Königslied", die insgesamt vierzehn Nobelpreisträger - neun Naturwissenschaftler, drei Ökonomen, die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk, die den Literaturpreis für 2018 erhielt, sowie Peter Handke - wurden in kurzen Lobreden vorgestellt, und es war offensichtlich, dass nichts und niemand den Lauf der Tradition und der Routinen noch stören sollte.

Draußen, knapp einen Kilometer entfernt auf dem Norrmalmstorg, protestierten einige hundert Demonstranten gegen Peter Handke. Weniger, als angekündigt worden waren, und nicht wahrzunehmen für die Gäste, nicht einmal auf der Fahrt von der Verleihungszeremonie zum Bankett, die der größte Teil in Frack und Abendkleid, in überfüllten Bussen absolvierte, die nur mit quälender Langsamkeit vorankamen.

Im vergangenen Jahr war die Schwedische Akademie, die den Nobelpreis für Literatur vergibt, nach einer schweren inneren Krise nicht beschlussfähig gewesen. Die Auszeichnung Tokarczuks war deswegen ein nachgeholter Preis, was sie gegenüber Peter Handke doppelt zurücksetzte. Denn auf diesem lag, hauptsächlich seiner Sympathien für die serbische Seite in den jugoslawischen Kriegen wegen, die weitaus größere Aufmerksamkeit. Doch ging sie mit dieser Zurücksetzung souverän um.

Die Zuneigung des Publikums besaß Tokarczuk sowieso. In ihrer kurzen Dankesrede verwies sie auf Selma Lagerlöf, nach der sie selbst die fünfzehnte weibliche Empfängerin des Nobelpreises für Literatur ist, und sie bekannte sich zu Polen, dem Land, das wie kein anderes auf der europäischen Landkarte herumgewandert war und dennoch - oder aus diesem Grund - für eine große literarische Tradition steht.

Auf Peter Handke hielt Anders Olsson, ein Literaturwissenschaftler in der Akademie, eine Lobrede, in der in knappen, aber präzisen Worten die Größe und Beständigkeit seines literarischen Werks vorgestellt wurde. Olsson widersprach in dem Text auch diskret den Gegnern Handkes, indem er auf den vielfach aufscheinenden Antinationalismus des Schriftstellers verwies. Auch hier wurde der Lauf der Tradition und der Routinen also nicht gestört.

Das Bankett schließlich ist eine pompöse Feier, die, mit weit über tausend Gästen, im großen Saal des Stockholmer Rathauses abgehalten wird. Einer Halle, die als Höhle des Bergkönigs taugen würde. Das Fest läuft mit einem Glanz und einer Präzision ab, wie sie vielleicht nur entstehen kann, wenn sich eine Monarchie und ehemalige Großmacht der Frage zuwendet, wie man Fischrogen auf Kohlrabi, Ente mit Trompetenpfifferlingen und Himbeersorbet (einschließlich Feuerwerk) so serviert, dass alle Anwesenden fast gleichzeitig bedient werden. Die Kapelle spielt Melodien des Nationaldichters Carl Michael Bellman, Olga Tokarczuk verstand sich offenbar mit Prinz Daniel, dem Gatten der Kronprinzessin, und Peter Handke scherzte mit der Schulministerin, die in einem ökologisch verwertbaren Kleid erschienen war, während er zugleich mit dem Kellner fraternisierte.

Die Kulturministerin trat übrigens in einer Robe auf, in der man die Schäden nach den großen Waldbränden der vergangenen Jahre symbolisiert sehen sollte.

Handke selbst hielt dann auch noch eine kurze Dankesrede, in der er Nils Holgersson, die "Strawberry Fields" der Beatles und Ingmar Bergmans "Wilde Erdbeeren" miteinander verband. Dem Publikum schien das zu gefallen. Getanzt wurde dann auch, aber die Nobelpreisträger erschienen so glücklich erschöpft, dass sie sich damit begnügten, in einem Nebensaal ihre Vertrauten um sich zu scharen, wozu für Peter Handke der serbische Filmregisseur Emir Kusturica und sein Berliner Kollege Wim Wenders gehörte.

Großen Preisen wohnt von vornherein wohl etwas Irrationales inne. Man kann sie nicht "verdienen", sie werden geschenkt. Vielleicht sind eine Monarchie, ein kleines, neutrales, aber reiches Land, sowie eine Akademie, die eine Art schweigenden Geheimrat bildet, deswegen die besten Voraussetzungen, die bedeutendste literarische Auszeichnung der Welt zu vergeben. Ein möglichst strenges Protokoll vorausgesetzt, bietet sich viel Platz für Skurriles.

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