Günter Grass: Wahlkampf für die SPD:Butt und basta

Nobelpreisträger Günter Grass geht für die SPD auf Lesereise. Zum Auftakt zeigt er den krisengeschüttelten Genossen, wie Wahlkampf geht.

Michael König, Berlin

Günter Grass steht in der Mitte, immer in der Mitte. Links Björn Böhning, 31 Jahre alter Direktkandidat der SPD für den Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Rechts Wolfgang Thierse, 65 Jahre alt, ehemals Bundestagspräsident und als Vorsitzender des Kulturforums der SPD der Gastgeber des Literaturnobelpreisträgers an diesem Tag.

Günter Grass Wahlkampf für die SPD Lesereise Bundestagswahl 2009, dpa

Nobelpreisträger Günter Grass (Mitte) mit den SPD-Politikern Björn Böhning (links) und Wolfgang Thierse bei der Auftaktveranstaltung seiner politischen Lesereise in Berlin.

(Foto: Foto: dpa)

Es gibt zur Einstimmung einen kleinen Rundgang durch die Berlinische Galerie, das Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur. Der 81 Jahre alte Schriftsteller ("Die Blechtrommel", "Der Butt") hat diesen Ort für den Auftakt seiner politischen Lesereise ausgewählt. Er will Wahlkampf machen für die Sozialdemokraten, wie er es schon zu Willy Brandts Zeiten getan hat. Sechs Termine in Ostdeutschland stehen auf dem Programm, darunter ein Auftritt in Stralsund, im Wahlkreis von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Bevor es mit der Auftaktveranstaltung losgeht, sieht sich Grass Bilder an. Es sind Langzeitbelichtungen vom Abriss des Palastes der Republik. Die einzelnen Schritte des Rückbaus sind gut zu erkennen. Zwei Jahre lang hat der Fotograf die Blende offen gelassen, für ein Foto ist das eine lange Zeit. Der SPD aber geht es schon viel länger schlecht.

Böhning und Thierse weichen dem Schriftsteller nicht von der Seite. Sie geben als Pärchen ein hübsches Symbol dafür ab, woran es den Sozialdemokraten im Bundestagswahlkampf fehlt. Der Parteilinke Böhning kämpft mit der Grünen-Ikone Hans-Christian Ströbele um das Direktmandat in Friedrichshain-Kreuzberg. Es ist ein wenig aussichtsreiches Unterfangen, weil Ströbele fest im Sattel sitzt - ungefähr so wie Merkel im Bundeskanzleramt.

Thierse ist auf die Rolle des netten Onkels abonniert. Er betont, wie schwierig es sei, "in einer großen Koalition an Profil zu gewinnen". Er beklagt den "medialen Gegenwind" und guckt treuherzig, als er sich an Grass richtet und sagt: ""Wir sind dir sehr, sehr dankbar, dass du für uns Wahlkampf machst."

Tatsächlich scheint es knappe drei Wochen vor der Wahl so, als hätten die Sozialdemokraten verlernt, wie das geht: Emotionen zu wecken, den Gegner zu attackieren, die Stammwählerschaft zu mobilisieren. Günter Grass gibt ihnen an diesem Nachmittag einen Crashkurs: "Der Wahlkampf ist mir viel zu lasch", sagt er im Basta-Ton des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder. "Da muss mal ein bisschen Feuer rein." Er könne Herbert Wehner, den einstigen Zuchtmeister der SPD, nicht ersetzen, "aber ich will es versuchen".

Die Partei sei "gut aufgestellt", sagt Grass. Er lobt Finanzminister Peer Steinbrück, der bei der Bekämpfung der Steuerparadiese Rückgrat bewiesen habe: "Die Schweiz ist jetzt auf der grauen Liste, das ist Steinbrücks Verdienst." Grass sagt, er sei ein "Fan" von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die aufgrund ihrer Dienstwagenaffäre wochenlang in der Kritik stand: "Was hat man versucht, mit ihr das Sommerloch zu füllen! Ich bewundere diese Frau für ihr Stehvermögen."

Selbst der unauffällige Arbeitsminister bekommt Lob: "Ich bin für Olaf Scholz, weil er es verstanden hat, die Kurzarbeit durchzusetzen." In Umweltminister Sigmar Gabriel sieht Grass gar "einen wichtigen Kämpfer von echtem Schrot und Korn". Er sei "der Garant" dafür, dass rot-grüne Beschlüsse in der Energiepolitik Bestand hätten.

Im Publikum sitzen viele Rentner, SPD-Stammwähler. Viele haben die Arme verschränkt, während Böhning und Thierse sprechen. Grass hingegen bekommt Applaus. Er gilt den Unzufriedenen als unverdächtig, weil er in der Vergangenheit nicht mit Kritik an der SPD gespart hat. Er trat 1982 in die Partei ein und 1992 wieder aus, weil er mit der Asylpolitik nicht einverstanden war. Noch heute nutzt er jede Gelegenheit, die Sozialdemokraten über den seiner Meinung nach richtigen Kurs aufzuklären. Aber diesmal ist er gnädig. Die Umfragewerte sind schlimm genug.

"Die Sozialdemokraten reden ungerne über das, was sie erreicht haben. Stattdessen sprechen sie über das, was sie noch tun wollen. Wenn die Union mal was hinbekommen hat, reitet sie Jahrzehnte darauf rum", sagt Grass. Dann knüpft er sich die politischen Gegner vor.

Die Steuersenkungsversprechen des bürgerlichen Lagers nennt er "kriminell", FDP-Spitzenkandidat Guido Westerwelle einen "Schaumschläger". Oskar Lafontaine von der Linken sei ein "Demagoge" mit "leicht napoleonhaften Zügen", der den SPD-Parteivorsitz einst weggeworfen habe "wie ein dreckiges Handtuch".

Der Erfolg von Kanzlerin Angela Merkel? "Sie hält sich in ihrer Partei doch nur mit Hilfe der SPD", sagt Grass. "Sie ist eine Meisterin der Taktik, aber in den wirklich wichtigen Fragen hält sie sich bedeckt."

Der Nobelpreisträger redet sich in Rage. Weil er reichlich druckreife Zitate liefert und auch vor den Themen Afghanistan ("Der Verteidigungsminister muss seinen Hut nehmen") und Internetwahlkampf ("Ich bin ein Computeridiot") nicht haltmacht, stellen die Journalisten immer neue Fragen.

Links neben Grass rutscht Björn Böhning nervös auf seinem Stuhl herum und wird dabei immer kleiner. Rechts sitzt Wolfgang Thierse, der hin und wieder bewundernd zu Grass hinüberschaut und ihm hilft, wenn der Schriftsteller eine Frage akustisch nicht verstanden hat.

Nach knapp zwei Stunden erklärt Thierse die Veranstaltung für beendet. Das Publikum ist zufrieden. "So geht Wahlkampf", raunt ein älterer Herr. "Jetzt muss er das nur noch dem Steinmeier beibringen."

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