Fernsehen:"Die Jüngeren sind unterversorgt"

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"Hundert Tage und keine Katastrophen, ein erster Erfolg!": Kai Gniffkes positive Bilanz seines Starts beim SWR. (Foto: picture alliance/dpa)

SWR-Intendant Kai Gniffke will den Sender umbauen. Verabschiedet hat er sich vom Plan, das Fernsehen zu verjüngen. Stattdessen setzt er auf Millionen für neue Ideen - und eine Hexenküche.

Interview von Stefan Mayr und Claudia Tieschky

Kai Gniffke kommt ins Büro mit Rucksack und einer blauen Stofftasche mit weißem Tagesschau-Aufdruck. Er wirkt mehr wie ein Reporter, nicht so sehr wie ein Intendant. In der Tasche sind Schoko-Nikoläuse für die Kollegen. Gniffke ist nicht als Weihnachtsmann angetreten im SWR. Er will den Sender umbauen. Gerade hat er Klausur gehalten mit seinen Direktoren, er gilt als jemand, bei dem es manchmal schnell gehen muss. Ein bisschen Journalist bleibt er auch als Senderchef: Er bloggt jetzt.

SZ: Wie waren Ihre ersten 100 Tage, Sie scheinen noch keine sichtbaren Wunden zu haben?

Kai Gniffke: Ha, hundert Tage und keine Katastrophen, ein erster Erfolg! Es war spannend und ermutigend, weil ich festgestellt habe, im Haus sind die Konzepte eigentlich alle geschrieben. Wobei mir klar ist: Wenn man global von Erneuerung spricht, ist die Zustimmung groß. Wenn es konkret wird, werden die Diskussionen intensiver. Aber die emotionale Bilanz ist gut.

Schön für Sie. Aber wie wollen Sie verhindern, dass der Wandel den Mitarbeitern Angst macht?

Indem man den Menschen, soweit es geht, Sicherheit gibt. Ich habe auch bei der Auswahl der neuen Programmdirektorin für Kultur, Anke Mai, und des neuen Programmdirektors Information, Clemens Bratzler, gesagt: Wichtig sind mir empathische Führungskräfte. Nur dann können Veränderungen klappen, wenn es Führungskräften gelingt, Menschen auch mal in den Arm zu nehmen und zu sagen: "Ich weiß, das ist jetzt hart. Aber wir suchen gemeinsam nach einem Weg, wie es funktioniert."

Das klingt jetzt ein bisschen kitschig.

Ja, aber wir Menschen sind nun mal emotionale Wesen. Angst ist das schlimmste Veränderungshindernis. Mir geht es darum, den Menschen zu sagen, keiner geht über Bord bei uns. Wenn jemand dreißig Jahre lang Redakteur für ein bestimmtes Ressort war, sagen wir ihm: Wir versuchen nicht, noch auf der Zielgerade deines Berufslebens einen Social-Media-Redakteur aus dir zu machen, wenn es dir nicht liegt. Auch für die Menschen, die bestimmte Qualifikationen auf digitalen Plattformen nicht haben, gibt es im SWR Arbeit satt.

Der SWR gilt als biederer Sender für Omis und Opis, der der Jugend wenig bietet ...

Tatsächlich erreichen wir in den jüngeren Altersgruppen deutlich weniger Menschen als in den älteren. Nun sind uns zwar alle Nutzenden gleich lieb, aber wir haben den gesellschaftlichen Auftrag, alle zu informieren und zu unterhalten und zu bilden. Deshalb müssen wir richtig Gas geben bei Inhalten für Menschen, die jünger als 50 Jahre sind. Dafür sind wir auch bereit, im Fernsehen Verluste bei den Marktanteilen hinzunehmen, die sich Fernsehsender vor allem mit älterem Publikum sichern.

Das heißt, Sie werden Ressourcen vom Fernsehen abziehen und in andere Bereiche stecken?

Ja, das bedeutet auch Ressourcenverschiebung. Es gibt ja das wunderbare Ranking der dritten Programme.

Wo Sie als zweitgrößte ARD-Anstalt wunderbar nur im Mittelfeld stehen.

Die Frage ist: Sind wir bereit, in Kauf zu nehmen, dass wir einen Platz zurückfallen, wenn wir unser Ziel ansteuern, die Breite der Gesellschaft besser zu erreichen und unseren Auftrag zu erfüllen? Meine klare Antwort: Ja. Und ich weiß, dass wir von Kollegen und von Aufsichtsgremien hören werden: Ihr seid zurückgefallen. Und ich sage: Ja. Wir werden das Fernsehen mit Zähnen und Klauen verteidigen. Aber wenn es darum geht, wo setzt du mehr Mittel ein, dann wird das nicht dort sein.

Sie akzeptieren, dass das SWR-Fernsehen für die Jungen verloren gegeben ist?

Wahrscheinlich. Mit dem SWR-Fernsehen jetzt auf unter 30-Jährige zu zielen, hat keinen Zweck. Das muss uns an anderer Stelle gelingen.

Das sehen andere Intendanten anders. Dort versucht man durchaus, das Fernsehen zu verjüngen.

Wir können im SWR-Fernsehen die tollsten Konzerte übertragen, dann sehen die Älteren, was junge Menschen so treiben. Aber das hilft uns nicht. Wir haben jetzt entschieden, uns künftig nur noch an der Gesamtreichweite zu messen: Wie viele Menschen erreichen wir mit dem SWR, egal ob TV, Radio oder Online über digitale Plattformen? Da haben wir uns Ziele gesetzt. Bei den Menschen unter 30 und unter 40 Jahren wollen wir jeden Tag jeweils mindestens die Hälfte der Bevölkerung erreichen. Für Menschen über 50 geben wir zurzeit noch drei Viertel des Budgets aus, die Jüngeren sind unterversorgt. Ist das angemessen? Zugleich werde ich weiterhin auch dafür kämpfen, dass wir Sendungen wie den "Schlagerspaß mit Andy Borg" im Programm zeigen. Weil ich weiß, dass Menschen über 80 diese Unterhaltung gerne sehen, und weil sich sonst niemand um diese Generation kümmert außer uns.

Was wird ausgebaut?

Spätestens Mitte 2020 wird es in Baden-Baden ein Innovationszentrum geben. Das wird eine Hexenküche sein, ein Inkubator für Ideen aus dem SWR, es soll mit Start-ups und Wissenschaft gemeinsame Projekte realisieren. Und es soll konkrete Aufträge angehen. Zum Beispiel: Bitte macht mal ein Konzept, wie wir dieses und jenes Milieu künftig erreichen, in dem wir Defizite haben. Wir dürfen die Generation der Menschen, die in den nächsten 20, 30 Jahren für dieses Land Verantwortung tragen wird, jetzt nicht aufgeben. Ich bin geradezu beseelt von der Aufgabe, diese Generation nicht zu verlieren.

Wie wird diese Hexenküche ausgestattet ?

Mit mehreren Millionen Euro pro Jahr. Wir werden ein Team von einigen Menschen haben, das Leute mit Ideen mit einem Rundum-sorglos-Paket ausstattet. Der Plan ist: Du hast eine Idee, dafür gibt es ein unbürokratisches Prüfverfahren. Nur wenige Leute gucken drauf, sagen, das klingt gut - ab zur Geschäftsleitung. Mach! Dann bekommt jemand vier Wochen, sechs Wochen Zeit, und wir sorgen dafür, dass die Redaktion Ersatz kriegt. Mindestens über Geld, dass sie sich den Ausfall über freie Mitarbeiter kompensieren kann. Häufig ist das Problem, dass eine Redaktion sagt: Moment mal, du kannst jetzt nicht einfach weg sein. Jeder in diesem Haus soll wissen: Das mit der Innovation ist nicht nur so eine fixe Idee, wir wollen das wirklich.

Und wo ziehen Sie das Geld ab?

In einem so großen Medienunternehmen wie dem SWR wird auch an manchen Stellen doppelt Arbeit gemacht, das lässt sich nicht so einfach vermeiden. Daran arbeiten wir gerade, wir fangen mit dem Thema Nachrichten an. Und da werden wir einen mutigen Schritt gehen. Wir werden nicht mehr an allen Standorten alles machen. Es ist vielleicht sinnvoller und kräftesparender, wenn man die Produktion nach Plattformen sortiert. Das klingt zunächst nach einem Zurück in alte Zeiten, in denen Fernsehen, Hörfunk und Internet strikt getrennt waren. Dass ausgerechnet ich das sage, nach meinem crossmedialen Umbau der Tagesschau, hat natürlich eine gewisse Ironie. Aber man muss auch über Crossmedialität ideologiefrei reden können, wenn das Sinn ergibt.

Aus der Tagesschau -Zeit haben Sie auch den Ruf, gerne nach vorne zu preschen, genauer gesagt seit dem raschen Start der Tages schau -App, die zum Konflikt mit den Verlegern führte.

Oje. Das war eine tolle Zeit in jeder Hinsicht. Der App-Markt begann, und wir haben damals gesagt, es soll uns nicht noch mal passieren, was uns Ende des vorigen Jahrhunderts mit Aufkommen des Internets passiert ist: nämlich erst mal zu warten, bis andere uneinholbar davongezogen waren. Wir - ich auch - haben die Wirkung dessen, was wir da getan haben, natürlich fulminant unterschätzt, dass wir fast zeitgleich mit B ild an den Start gegangen sind, das wurde als Kriegserklärung gewertet, was es definitiv nicht war. Würde ich heute vielleicht anders machen. Aber ja, ich mag's gerne schnell, weil ich die Erfahrung gemacht habe, wenn man Prozesse sehr lange zieht, wird es nicht einfacher und nicht besser.

Sie haben von einer Außenseitererfahrung in Ihrer Kindheit berichtet, die Ihre Arbeit prägt. Erzählen Sie uns mehr: Was hat Sie zum Außenseiter gemacht?

Ich bin Anfang der Sechzigerjahre als Einjähriger in das Dorf Trittscheid gekommen. Damals war die Eifel extrem rückständig, ohne asphaltierte Straßen, ohne Traktoren. Die katholische Kirche hatte einen immensen Einfluss. Was der Pfarrer sagte, war Gesetz. Meine Eltern standen politisch nicht da, wo alle anderen waren. Wir kamen woandersher und waren nicht katholisch, das war das Schlimmste. Mein Bruder wurde einmal an einen Baum gebunden und mit Messern beworfen, weil er nicht an Engel glaubt. Ich hatte bis zum zehnten Lebensjahr keinen Spielkameraden. Aber irgendwann war ich drin in dieser Gemeinschaft. Das hat mich schon geprägt. Das hilft auch heute noch, ich halte es auch mal aus, wenn ich mittags alleine am Tisch sitze (lacht). Vielleicht kommt es auch daher, dass ich mich Diskussionen mit der AfD stelle, wie vorigen Oktober in Dresden zusammen mit dem ZDF-Chefredakteur Peter Frey. Ich habe ja auch mit den Menschen geredet, die meinen Bruder mit Messern beworfen haben. Vielleicht passt dieses Bild.

Sie sind nach dieser Kindheit hartgesotten. Glauben Sie, dass auch der SWR Berührungsängste abbauen muss?

In Stuttgart haben 50 Prozent der jungen Menschen einen Migrationshintergrund. Die Russlanddeutschen sind beispielsweise eine Gruppe, die im Südwesten groß ist. Es wäre mir schon wichtig, dass wir in unserem Haus ein bisschen stärker die verschiedenen Milieus abbilden, die es in dieser Gesellschaft gibt. Das gelingt uns nur, wenn wir den Mindset dieser Menschen auch in unseren Teams haben. Damit wir hier drinnen endlich die Gesellschaft abbilden, die es da draußen gibt, müssen wir auch Menschen einstellen, die kein abgeschlossenes Studium haben. Es wird Wildcards geben für Menschen, die wir in unserem Sender brauchen - auch ohne Studienabschluss.

Bislang gilt bei der Auswahl von Volontären die Regel: Ohne Studienabschluss wird die Bewerbung gar nicht angesehen.

So war das früher. Bei uns im SWR gilt das inzwischen aber übrigens auch nicht mehr, wir suchen explizit auch nach Menschen ohne Studienabschluss. Und in einem Punkt kann ich mich einreihen: Ich habe auch kein Volontariat.

© SZ vom 13.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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