Armut:Hilfe ist nötig

Zu viele Menschen in Deutschland müssen jeden Cent umdrehen. Besonders für Kinder ist das ein ernstes Problem. Die Politik muss viel mehr für die soziale Sicherung im Land tun.

Von Edeltraud Rattenhuber

Wenn ein älteres Paar im Discounter die Münzen in der Hand zählt, bevor es sich eine Packung Würstchen aus dem Kühlregal nimmt; oder ein 13-Jähriger regelmäßig den Kinobesuch mit seinen Freunden absagen muss, weil die alleinerziehende Mutter die sieben Euro nicht entbehren kann, dann nennt sich das Armut. Wer unter solchen Umständen in einem relativ reichen Umfeld wie Deutschland leben muss, dem ist es vermutlich herzlich egal, was eine Statistik über ihn sagt. Er ist ausgegrenzt, mittellos - und das meist für längere Zeit.

Andererseits sollte man die Hoffnung nie aufgeben. Das legt zumindest der neueste Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbands nahe. 15,5 Prozent der Menschen waren demnach 2018 in Deutschland arm, das sind 0,3 Prozentpunkte und damit 210 000 Menschen weniger als 2017. Erhöhungen von BaföG und Wohngeld hatten offenbar positive Effekte, aber auch die gute wirtschaftliche Entwicklung in Bayern und Baden-Württemberg zahlt sich aus. In anderen Regionen sieht es dagegen düster aus. Deutschland ist, was die Armut betrifft, zersplittert. Der Osten ist ärmer als der Westen, der Süden reicher als der Norden.

Hier muss die Politik ansetzen, Kommunen entschulden oder durch gezielte Firmenansiedlung verhindern, dass der Niedergang zum Dauertief wird. Die Menschen in Regionen wie dem Ruhrgebiet dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass sich niemand um sie kümmert. Manche wählen dann gar nicht mehr oder wenden sich womöglich Populisten zu, wie bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg, wo 40 Prozent der Langzeitarbeitslosen, die wählen gingen, der AfD ihre Stimme gaben. In einem so reichen Land wie Deutschland darf niemand das Gefühl bekommen, abgehängt zu sein.

Die große Koalition vermittelt allerdings in der Gesamtschau den Eindruck, als wären ihr die Firmen wichtiger als die Bürger. Vom jahrelangen Aufschwung in Deutschland profitierten viele Menschen gar nicht. Ganz im Gegenteil. Frauen, darunter viele Alleinerziehende, sowie Ostdeutsche und Migranten erarbeiteten ihn, mit schlechten Arbeitsbedingungen, langen Arbeitszeiten, unsicherer Beschäftigung. Acht Millionen Menschen sind laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Deutschland im Niedriglohnsektor beschäftigt. Sie verdienen meist nicht mehr als den Mindestlohn und haben ein sehr hohes Risiko, in die Armutsfalle zu tappen. Die eklatanten Mietsteigerungen in vielen Städten tun ihr Übriges, um Menschen zittern zu lassen, ob sie sich ihr bisheriges Leben in zehn Jahren noch leisten können. Sie wünschen sich einen Sozialstaat, der echte Sicherheit bietet. Und sie erwarten zu Recht, dass er sie, wenn es ihnen einmal schlecht geht, zwar auffängt, aber nicht entwürdigt, so wie es vielen Hartz-IV-Beziehern ergangen ist und immer noch ergeht.

Aber noch mehr Sozialleistungen? Das ist nicht zu finanzieren, schreien die Hardliner in Union und FDP. Oh doch, da gäbe es durchaus Möglichkeiten. Die Koalition lässt zum Beispiel die Reichsten bei der Finanzierung von Sozialleistungen weitgehend außen vor. So zahlen Millionenerben kaum Erbschaftsteuer, da die Erbmasse meist aus Firmen besteht. Ließe die Regierung das nicht zu, wäre vielen geholfen, vor allem Kindern. Zwei Millionen von ihnen sind arm. Eine Kindergrundsicherung, die den Namen verdient, das wäre ein wirksames Versprechen.

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