Raumfahrt:Die Senkrechtstarter aus Augsburg

Raumfahrt: Stefan Brieschenk (li.) und Jörn Spurmann entwickeln gerade die erste Trägerrakete des Start-ups Rocket Factory Augsburg.

Stefan Brieschenk (li.) und Jörn Spurmann entwickeln gerade die erste Trägerrakete des Start-ups Rocket Factory Augsburg.

(Foto: oh)

Das Start-up Rocket Factory will mit eigenem Transportvehikel kommerzielle Starts für Kleinsatelliten anbieten.

Von Dieter Sürig, Augsburg

Das Start-up ist eine Wette darauf, dass Augsburg bald zur Raketenstadt wird. Sicher, MT Aerospace baut dort Tanks für die europäische Trägerrakete Ariane - aber ganze Raketen? Genau das ist das Ziel der Rocket Factory Augsburg (RFA), die zunächst zwölf Trägerraketen pro Jahr produzieren will. MT-Chef Hans Steininger, 58, ist einer der Investoren, der andere ist Marco Fuchs, 57, Vorstandschef des Satellitenbauers OHB in Bremen. Das börsennotierte Familienunternehmen ist der Mutterkonzern von MT. "Eine eigene Rakete ist für OHB ein folgerichtiger Schritt", sagt Fuchs, der damit kokettiert, dass nicht nur die US-Raumfahrtbehörde Nasa Raketen bauen kann. "Rocket Science ist entzaubert", sagt er. Heutzutage gehe es einfacher und billiger.

Die beiden Manager haben sich viel vorgenommen: "Wir müssen mindestens einmal im Monat starten, sonst funktioniert das Geschäftsmodell nicht", erklärt Steininger. Langfristig will er 52 Raketen im Jahr bauen - eine pro Woche. Wie vom Fließband. Es handelt sich dabei zwar nicht um Trägerraketen vom Format Ariane. Aber auch die etwa halb so großen Kleinraketen, um die es hier geht, haben eine Länge von 30 Metern und können 200 Kilogramm in den Erdorbit befördern.

Wieso kommen zwei etablierte Raumfahrtfirmen plötzlich auf die Idee, nicht nur Satelliten und Raketenteile zu bauen, sondern gleich auch ganze Raketen? "Es gibt kleinere Satelliten und den Bedarf, sie ins Weltall zu bringen - dafür gab es lange Zeit keine Lösung", erklärt Steininger. Die beiden Unternehmer sind mit eigenem Risikokapital eingestiegen. Knapp zehn Millionen Euro haben sie laut Steininger bislang in das Wagnis investiert. Nun suchen sie weitere Geldgeber, die im Idealfall Know-how und Zugang zu anderen Märkten mitbringen. Auch Mitarbeiter können sich beteiligen. Vergangene Woche wurde die GmbH deshalb in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, ein Börsengang sei aber nicht geplant, heißt es. Steininger ist optimistisch: "Wir wollen bis Ende 2021 den Erstflug hinkriegen und 2022 mit kommerziellen Starts beginnen." Der Druck ist groß, denn auch der Wettbewerb wird härter. Weltweit gibt es bereits mehr als 100 Microlauncher-Firmen, nicht alle werden überleben. Die europäische Raumfahrtagentur Esa will 27 Millionen Euro für Kleinraketen bereitstellen, davon könnten auch die drei deutschen Raketen-Start-ups Isar Aerospace, Hyimpulse und eben Rocket Factory profitieren. "Es wird letztlich etwa fünf Microlauncherfirmen auf der Welt geben, davon wollen wir eine sein", sagt Steininger selbstbewusst.

Aber wie realistisch ist das? Den Kunden Satelliten und Starts aus einer Hand anzubieten, sei ein sinnvoller Ansatz, sagte Adrian Pehl, Analyst der Commerzbank, der Agentur Bloomberg. "Ob sich aber die Entwicklung des Mini-Launchers am Ende lohnt, wird davon abhängen, welche Stückzahl man herstellt." Andererseits hat die Bank of America die Raumfahrt zu einem der zehn wichtigsten Investmentthemen der 2020er-Jahre erklärt. Die Bank beziffert den weltweiten Raumfahrtmarkt für 2030 auf eine Billion Dollar - inklusive Kleinsatelliten und Tourismus. "Die Zwanzigerjahre werden das Jahrzehnt der Demokratisierung des Weltraums mit neuen Technologien sein", prophezeit die Bank. Die Zahl jährlicher Starts von Nanosatelliten bis zu zehn Kilogramm Gewicht sollen von etwa 240 auf 700 im Jahr 2023 steigen.

Bislang müssen Betreiber kleiner Satelliten, wie Hochschulen und Firmen, sozusagen per Anhalter mitfliegen, wenn in großen Trägerraketen wie der Ariane oder der Falcon 9 der US-Firma Space-X noch Platz frei ist. Dies ist relativ preisgünstig, doch müssen die Kunden mitunter lange Wartezeiten in Kauf nehmen und können den Orbit nicht frei wählen. Mit Anbietern kleiner Raketen wären sie schneller und flexibler. Nachteil: Es ist teuer. "Das ist wie Bahnfahren und Taxi", sagt Steininger. Er peilt einen Startpreis von unter fünf Millionen Dollar für bis zu 500 Kilogramm Nutzlast an, dann "wären wir wettbewerbsfähig". Zum Vergleich: Space-X bietet schon von nächstem März an Mitfluggelegenheiten zum Festpreis von einer Million Dollar für 200 Kilogramm an. Und die US-Microlauncher-Firma Rocket Lab hat die ersten kommerziellen Flüge gestartet - mit bis zu 220 Kilogramm für etwa fünf Millionen Dollar.

"Zu den Investitionen kommt der Technologietransfer, wir fangen ja nicht bei Null an."

RFA-Chefentwickler Stefan Brieschenk hat bis 2017 selbst bei Rocket Lab gearbeitet. Der Raumfahrtingenieur schätzt an der RFA, dass er auf die Expertise von OHB zurückgreifen kann. "Wir fangen nicht bei null an", sagt er. "Wir haben die Vorteile eines Start-ups, aber einen Mega-Industriepartner und eine Technologiebasis." Steininger hat die RFA bewusst nicht bei MT Aerospace integriert - um die Flexibilität zu sichern. "Wir versuchen, die Firma unabhängig vom Mutterkonzern laufen zu lassen, um da so wenig Bürokratie wie möglich reinzubringen", sagt er. "Andererseits unterstützen MT und OHB das Start-up mit Infrastruktur, Fachexpertise und Marktzugang - und sind nicht zuletzt wichtig als möglicher Kunde".

Eine Win-win-Situation also. Inzwischen arbeiten auf einer Etage des Technologiezentrums im Augsburger Süden etwa 50 Leute in einem ziemlich großen Großraumbüro. "Das fühlt sich für unser Team nicht wie Arbeit an", schwärmt Brieschenk. "Das ist wie Olympia - wir wollen zusammen gewinnen." Das Team geht sogar am Wochenende zusammen feiern, "sonst würde das hier nie funktionieren", sagt der Ingenieur. "Wir haben hier nicht Millionen Euro in Maschinen investiert, sondern holen uns die besten Leute." Und die dürfen relativ frei agieren - wenn es im Preisrahmen bleibt: "Wir schreiben niemandem vor, wie er etwas zu designen hat. Es muss billiger sein als das, was die Wettbewerber machen, es muss besser sein, und es muss toll aussehen."

Gerade haben sie einen ersten Tank für den Qualifikationstest bei MT fertiggestellt. Das Triebwerk soll mit flüssigem Sauerstoff und Kohlenwasserstoff befeuert werden. "Wir müssen es bis Mitte 2020 entwickeln", sagt Programm-Manager Jörn Spurmann. Die RFA baut dafür eine eigene Expertise auf, "im Prinzip entsteht hier auch ein neuer Triebwerkshersteller", sagt der Ingenieur. "Selbst wenn das mit dem Microlauncher nicht klappt, entwickeln wir eine Menge Technologien, für die es viele Anwendungsmöglichkeiten gibt." An diese Möglichkeit wollen die Gründer jetzt gar nicht denken, sie suchen bereits einen Startplatz für ihre Rakete. Sie haben sich beworben, einen Startplatz auf den Azoren aufzubauen, den die portugiesische Regierung plant. Trotz aller Diskussionen glaubt Steininger nämlich nicht, dass es bald eine Startrampe in Deutschland geben wird. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass man die Genehmigung dafür bekommen würde."

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