Nordirland:Mehr als 1000 Tage ohne Regierung

Nordirland: In Stormont, dem gewaltigen, weißen Palast außerhalb von Belfast, hat das nordirische Parlament seit mehr als drei Jahren nicht mehr getagt.

In Stormont, dem gewaltigen, weißen Palast außerhalb von Belfast, hat das nordirische Parlament seit mehr als drei Jahren nicht mehr getagt.

(Foto: AFP)
  • Nordirlands Regierung war vor drei Jahren im Streit um ein Sprachengesetz sowie ein Gesetz über alternative Energien auseinandergebrochen.
  • Die beiden größten Parteien haben bei den britischen Parlamentswahlen am vergangenen Donnerstag Verluste hinnehmen müssen.
  • Nun hat der Nordirland-Minister den nordirischen Parteien ein Ultimatum gesetzt: Sollten sie bis zum 13. Januar nicht zu einer Einigung kommen, werde London Regionalwahlen ansetzen.

Von Cathrin Kahlweit, London

Am Montagnachmittag wollten sich die nordirischen Parteien treffen, um über einen Neustart für das nordirische Parlament und die nordirische Regierung zu sprechen. So vermeldete es zumindest der zuständige Minister in London, Julian Smith. Er habe "positive Signale von allen Beteiligten bekommen, die den Stormont wieder zum Laufen bringen" wollten.

Legislative und Exekutive von Nordirland haben ihren Sitz außerhalb von Belfast im Stormont, einem gewaltigen, weißen Palast, und beide haben seit knapp drei Jahren nicht mehr getagt. Nordirland wird, dem Brexit und einer schweren Krise im nordirischen Gesundheitswesen zum Trotz, derzeit von Beamten verwaltet - aber nicht, wie im Karfreitagsabkommen vorgesehen, per Powersharing, also durch ein Kabinett aus beiden religiös dominierten Lagern, das gemeinsam regiert.

Seit dem Bruch der Regierung in Belfast vor mehr als 1000 Tagen hat es mehrere Gesprächsanläufe gegeben - aber keiner war von Erfolg gekennzeichnet gewesen. Ein letzter Anlauf vor wenigen Wochen endete, bevor die Sitzung überhaupt begann, in einem Streit über Formalitäten.

Nun aber haben die beiden größten Parteien in Nordirland, die protestantische DUP, die in den vergangenen Jahren die Tory-Regierung unterstützt hatte, und die in der katholischen, irisch-republikanischen Wählerschaft verwurzelte Sinn Féin, die ihre Sitze im Unterhaus in London traditionell nicht einnimmt, bei der Parlamentswahl vom vergangenen Donnerstag Verluste einstecken müssen. Die DUP gab nicht nur das Mandat ihres Fraktionschefs im Unterhaus, Nigel Dodds, an einen Kandidaten der Sinn Féin ab, sondern verlor, ebenso wie die Sinn Féin, zudem einen Sitz an die SDLP.

Die probritischen Unionisten verloren 5,4, die Nationalisten von Sinn Féin 6,7 Punkte. Der Verlust der DUP wird unter anderem darauf zurückgeführt, dass sich viele EU-freundliche Wähler von der Partei abwandten, die den Brexit-Kurs der Tories unterstützt hatte - und sich erst nach einem für den Nordteil der irischen Insel nachteiligen Deal mit Brüssel von ihren Partnern in London abwandte.

Insgesamt holten die Nationalisten zwar die Mehrheit der Stimmen, aber moderate Kleinparteien legten prozentual stark zu. Die sozialdemokratisch geprägte SDLP und die Alliance Party waren daher die eigentlichen Wahlsieger in Irland; beide Gruppen sind weniger religiös und tribalistisch geprägt und treten moderat, zentristisch und nicht sektiererisch auf. Sie hatten im Wahlkampf damit geworben, dass die radikale Lagerhaltung zwischen den Parteien überwunden werden müsse und die Region eine funktionierende Regierung brauche. Das Wahlergebnis in Nordirland wird daher von Experten auch als lokalpolitisch - und nicht ausschließlich Brexit-motiviert interpretiert.

Neben aktuellen Themen schwelen im Hintergrund die alten Probleme

Martin Kenny von Sinn Féin sagte vor dem Treffen am Montag, man wolle alles daran setzen, den Streit beizulegen. Es gebe "keine roten Linien". Auch Arlene Foster, Chefin der DUP, betonte, die Bürger wollten, dass sich die Parteien um Schulen, Krankenhäuser und soziale Fragen kümmerten. "Das war die klare Botschaft dieser Wahl". Die Regierung war vor drei Jahren im Streit um ein Sprachengesetz sowie ein Gesetz über alternative Energien auseinandergebrochen.

Aber die Probleme liegen tiefer, und trotz der Zusagen beider großer Parteien, sich um Kompromisse bemühen zu wollen, sind die Hürden für eine Einigung hoch. Denn neben aktuellen Themen schwelen im Hintergrund die alten Probleme. Die DUP beklagt seit Langem, dass die Milizen der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) nicht ausreichend für ihre Taten im nordirischen Bürgerkrieg zur Rechenschaft gezogen worden seien. Sinn Féin wiederum, die irlandweit agiert und die Wiedervereinigung mit der Republik anstrebt, hält die protestantische, unionistische DUP für ein willfähriges Instrument Londons, das die Nordiren unter anderem in der Brexit-Frage verraten habe.

Leo Varadkar, der irische Premier, hatte nach der britischen Parlamentswahl festgestellt, das Ergebnis in Nordirland und seine "tektonischen Verschiebungen" wiesen darauf hin, dass es nicht länger um unionistische oder nationalistische Mehrheit im Norden gehe. Auch die Forderung nach einem vereinten Irland sei nicht das Thema der Stunde. Die zerstrittenen Parteien sollten sich lieber darauf konzentrieren, endlich wieder eine gemeinsame Regierung auf die Beine zu stellen.

Nordirland-Minister Smith hat angekündigt, dass London im neuen Jahr Regionalwahlen ansetzen werde, wenn die Parteien nicht zu einer Einigung kämen. Er hat ihnen ein Ultimatum bis zum 13. Januar gesetzt. Sonst müssten sich die Parteien einem neuen Wählervotum stellen.

In Nordirland demonstrieren seit mehr als zwei Jahren regelmäßig Bürger für die Wiederherstellung der Regierung und das Zusammentreten des Parlaments. Es könne nicht sein, sagen sie, dass die Region in einer nationalen Krise keine politische Vertretung habe.

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