Indien:Der Sieger als Spalter

Der indische Premierminister Modi grenzt die Muslime aus und bringt so seinen eigenen Erfolgskurs in Gefahr.

Von Tobias Matern

Was dieses widersprüchliche Land zusammenhält, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Die Fliehkräfte sind immens: Indien ist flächenmäßig ein Riese, ein ehemaliger Kolonialstaat, Menschen aller großen Glaubensrichtungen leben hier. Neben dem Englischen sind 22 offiziell anerkannte Sprachen gelistet. Dazu kommen Dutzende Dialekte, ein nach wie vor existierendes, diskriminierendes Kastenwesen, eine enorme Stadt-Land-Kluft, eine oft offen zur Schau gestellte Geringschätzung sozial Benachteiligter. Bis zuletzt gab es noch nicht einmal einen einheitlichen Binnenmarkt.

Indien hat dennoch ein bindendes Element: seine Verfassung. Die darin garantierte Säkularität sowie die Rechte für Minderheiten sind für die Nation ein Kitt, der zwar immer wieder mal bröckelt, aber hält. Das zur Schau gestellte Selbstbild, die größte Demokratie der Welt zu sein, hat ein neues Selbstbewusstsein geformt. Trotz aller immer wieder aufflammender ethnischer Konflikte ist die Verfassung Garant für die mehr als 70-jährige Entwicklungs- und Erfolgsgeschichte des Landes. Während andere Vielvölkerstaaten kollabiert sind, während der nach dem Abzug der Kolonialherren abgespaltene Nachbarstaat Pakistan nicht nur wirtschaftlich am Abgrund taumelt, entwickelt sich Indien kontinuierlich.

Doch Premierminister Narendra Modi hat sich nun voll dem hindunationalistischen Kurs verschrieben. Mit seinem neuen Einwanderungsgesetz, das Muslime benachteiligt, hebelt er den seit Jahrzehnten geltenden Grundsatz aus, dass die Religion keine Bedingung für den Erhalt der Staatsbürgerschaft ist. Modi will ein Indien, in dem nicht mehr die Verfassung über allem steht, sondern die ethnisch-religiöse Zugehörigkeit. Das neue Gesetz ist kein einmaliger Ausrutscher, sondern folgt einem klaren Kurs. Seit seiner triumphalen Wiederwahl im Mai, bei der Modi die Opposition zu politischen Zwergen geschrumpft hat, verschärft er seine Agenda. So entzog er der weitgehend muslimischen Krisenregion Kaschmir ohne Absprache mit der dortigen Bevölkerung und dem Erzrivalen Pakistan die Autonomie. Das bringt ihm Applaus seiner Anhänger ein, verschärft den Konflikt aber. Auch das Einbürgerungsgesetz spaltet, statt das Land voranzubringen: 200 Millionen indische Muslime fühlen sich in ihrem Gefühl bestärkt, unter diesem Regierungschef Bürger zweiter Klasse zu sein.

Das ist gefährlich für den innerindischen Frieden und droht Delhis jüngste wirtschaftliche und politische Erfolge zunichtezumachen. Dabei hätte Indien das Potenzial, wichtigster Wirtschaftsmotor Asiens zu werden, wenn es der Regierung gelingt, in den kommenden Jahren genug Jobs für die junge Bevölkerung zu schaffen und die sozialen Ungleichheiten zu mindern. Auch der politische Einfluss könnte weiter zunehmen, der geforderte ständige Sitz im UN-Sicherheitsrat wäre eine logische Konsequenz.

Modi will ein starkes Indien. Dafür hat er eigentlich die notwendigen Trümpfe in der Hand. Aber statt die gesellschaftlichen Gruppen gegeneinander auszuspielen und an den Grundpfeilern der Nation zu zündeln, müsste er sein politisches Kapital anders nutzen. Indien wird bald die bevölkerungsreichste Nation der Welt sein, doch für Millionen Menschen bleibt der Aufstieg ein unerreichbarer Traum. Das sollte die Agenda des Premiers dominieren, nicht das Spalten der Nation.

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