SZ-Adventskalender:Mit der Rechnung kommt der Schock

Wegen teurer Handyverträge geraten Geflüchtete und Migranten oft unversehens in die Schuldenfalle. Die Initiative "Pass auf, was du unterschreibst" unterstützt Neuankömmlinge und schult ehrenamtliche Berater

Von Jennifer Sandmeyer

Verlockend empfand sie die 29,95 Euro für ein einjähriges Zeitschriften-Abonnement. Keine zusätzlichen Kosten. Einfache Abwicklung online. "Da war ich ganz glücklich", erzählt Fatima Barhmi. Doch das Glück ist von kurzer Dauer. Denn das Unternehmen will insgesamt 1800 Euro von ihr. Schock. Verwirrung. "Ich dachte, das war meine Schuld", sagt die Marokkanerin heute. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an die Verbraucherzentrale. Sie bestätigte ihr, dass es sich um eine Abzocke handle. Erleichterung. Und die Mitarbeiter halfen ihr, das Geld zurückzubekommen. Viele Jahre ist das nun her. Fatima Barhmi war neu in Deutschland und lernte gerade erst die Sprache. Mehrmals habe sie Verträge unterschrieben, mehrmals hohe Geldbeträge zahlen müssen. "Ich wusste so viele Sachen nicht", bedauert die Dolmetscherin. Niemand habe ihr gezeigt, worauf sie achten muss.

Nicht zuletzt aus diesem Grund trat sie der Initiative "Pass auf, was du unterschreibst" zur Schuldenprävention für Geflüchtete und Migranten im vergangenen Jahr bei. Ins Leben gerufen wurde die Initiative unter anderem vom Evangelischen Migrationszentrum vor über einem Jahr. Als Ehrenamtliche besucht Barhmi Geflüchtete in Unterkünften und klärt sie in ihrer Landessprache unter anderem zu den Themen Kaufverträge, Mietrecht, Mobilfunkverträge auf. "Ich will das auch für mich selbst wissen - und meinen Landsleuten helfen", sagt die Dolmetscherin. Sie spricht deutsch, arabisch und französisch. Die notwendigen Infos bekommt sie in dem Lehrgang "Verbraucherbildung für Geflüchtete in Bayern". Insgesamt 18 Ehrenamtliche werden geschult und halten dann die Workshops ab, monatlich bekommen sie einen kleinen Betrag gezahlt. Die Kosten übernimmt das Evangelische Migrationszentrum. Das am häufigsten nachgefragte Workshop-Thema: Mobilfunkverträge. Denn das sei der Bereich, in dem sich junge Geflüchtete am meisten verschulden, so Maike Telkamp von der Initiative.

Flüchtlinge in Thüringen

Das Mobilfunkgerät ist of der einzige Draht in die Heimat: Im Tarif-Dschungel warten viele Fallstricke auf Geflüchtete, die aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse teure Verträge unterschreiben, aus denen sie so schnell nicht wieder herauskommen.

(Foto: Sebastian Kahnert/dpa)

Handys sind für die Geflüchteten ein wichtiges Gut. "Das ist die einzige Möglichkeit, Kontakt zu halten mit Zuhause", erzählt Christa Kaindl von der Schuldner- und Insolvenzberatung der Stadt München. Viele Telefonanbieter würden das ausnutzen. "Wahnsinnig freundlich", so formuliert es Kaindl, seien die Verkäufer, wohlwissend, dass das Gegenüber nicht alles versteht - aber gutgläubig ist. Kaindl erzählt von einer Afrikanerin, die seit zwei Jahren in Deutschland lebt. Sie wollte nur einen Handyvertrag und eine neue Nummer. Am Ende unterschrieb sie - ohne sich dessen bewusst zu sein - zwei Verträge für zwei Handynummern mit einer Laufzeit von 24 Monaten. Aus diesen Verträgen kam sie - trotz Unterstützung der Beratungsstelle - nicht wieder heraus. 1300 Euro kostete sie die Unterschrift am Ende. Da die meisten Neuankömmlinge die Verträge nicht lesen beziehungsweise verstehen können, vergrößere sich die Schuldenfalle, erklärt Christa Kaindl. Denn wer nicht rechtzeitig kündigt, verlängert seinen Vertrag automatisch und verdoppelt somit seine Kosten. Alles, ohne es zu wollen oder zu wissen. "Es ist wirklich traurig." Dass die Geflüchteten und Migranten gar nicht erst zur Schuldnerberatung müssen, dafür will die Initiative sorgen.

"Das, was uns am Herzen liegt, ist das autonome Handeln", sagt Bettina Mühlhofer von der Initiative. Teilhabe in der Gesellschaft - selbstbewusst und ohne Angst einen Vertrag unterschreiben. Mit dem Wissen und Verständnis, welche Folgen eine Unterschrift mit sich bringt oder was man generell für einen Vertrag benötigt. Geflüchtete seien, so Mühlhofer, die am meisten Betrogenen. Neben sprachlichen Barrieren liege die Wurzel des Problems noch woanders: In vielen Kulturen, der arabischen beispielsweise, kenne man keine Verträge, erklärt sie. Daher kommt es häufig vor, dass diese wichtigen Papiere weggeschmissen werden. Die Rechnungen kommen natürlich trotzdem. Barhmi erinnert sich besonders an einen Geflüchteten. Er wollte in eine Unterkunft in den Niederlanden. Denn er sei so schockiert gewesen, weil er so viele Rechnungen erhalten habe. "Er sagte, so kann ich nicht leben. Das hat mir sehr wehgetan", erzählt Barhmi. Um ihre Rechte, das erfährt sie häufig in den Unterkünften, wissen die meisten Geflüchteten auch nicht: "Wenn sie etwas kaufen und Zuhause feststellen, dass es kaputt ist, denken sie, sie müssen es behalten."

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Das Problem wächst in den Unterkünften dann weiter. Den Geflüchteten werde eine falsche Realität präsentiert, die zu einer Art Desorientierung führe, so Mühlhofer. "Es ist eine abgeriegelte Welt." Die Geflüchteten bekommen in dieser Welt kostenlos Essen und Kleidung. Draußen, auf den Straßen, in den Läden, wird einem aber nichts mehr geschenkt. Sie verstehen gar nicht mehr, wofür sie nun eigentlich zahlen müssen. Es ist die Verwirrung und Unsicherheit, die viele Verkäufer ausnutzen. Und vor allem die Gutgläubigkeit der Menschen. Auch das erfährt Barhmi in den Unterkünften. Die meisten denken, Deutsche seien heilig. Sie klauen nicht, sie nehmen niemandem etwas weg. "Es ist ein blindes Vertrauen", sagt sie. Ein Vertrauen traumatisierter Menschen, die keine andere Wahl mehr haben als zu denken: Jetzt wird es besser, jetzt wird alles gut.

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