Alte Musik:Paul van Nevel und sein Ensemble

Lesezeit: 1 min

Von Reinhard J. Brembeck

Hat der stämmige Dirigent da vorn in der Münchner Allerheiligenhofkirsche etwa eine Zigarre in der Hand? Wundern würde es niemanden, steht da doch Paul van Nevel, der sich im Programmheft als "ein international bekannter ,Cigarier'" feiern lässt und auf Fotos häufig mit diesem seinem Leib-Acessoire zu sehen ist. Aber nein, van Nevel hat eine Stimmgabel in der Hand. Die schlägt er an, hält sie an sein Notenpult, das den Ton verstärkt, und schon stimmen die zehn um den Meister herumgruppierten Sänger Kathedralmusik aus 600 Jahren an: vibrato- und schnörkellos, vom feinsten Piano bis hin zu riesigen Klangmassierungen, ruhig, drängend, aufgewühlt. Der 73-Jährige Paul van Nevel ist der Großmeister der Chormusik des Mittelalters und der Renaissance, immer neugierig, nie verlegen um neues Repertoire und eigenwillige Projekte. Die Münchner Reise mit seinem Huelgas Ensemble beginnt im englischen Norden, in Winchester und führt über Cambrai, Reims, Tours, Paris, Tournai, Brüssel in den Süden, nach Rom und Palermo. Van Nevel macht kleinste Bewegungen, doch sein Körper ist ganz Spannung. So sieht nüchterne Leidenschaft auf. Als nach dem Gloria aus der legendären Messe des Guillaume de Machaut das Publikum zaghaft zu klatschen beginnt, würgt van Nevel den Beifall mit einer kleinen, herrischen Geste ab. Fast alle Stücke sind Hochkultur, komponiert von Großmeistern, neben Machaut gehört Antoine Brumel zu den bekannteren Namen. Aber da hat sich auch eine volkstümliche italienische Lauda von deren Großmeister Giovanni Animuccia zwischen die lateinischen Alleluias, Glorias, Sanctus und Kyries eingeschlichen, ein naiv raffiniertes Stück Volksfrömmigkeit, van Nevel beginnt dabei fast zu tanzen. Auch in den strengen ernsten Gesängen entdeckt der Meister Volkstümliches. Er intensiviert und treibt in der einen Stimme, während eine andere bremst. Die von Frauen gesungenen Höhen sind klar, die Männerstimmen fügen sich darunter, ohne je in ihrer Eigenständigkeit beschnitten zu werden. Es ist ideales Miteinander disparater Meinungen und Haltungen, die in einem warmen und leuchtenden Klang zusammenfinden. Und alles kommt ohne Anbiederung und Marktschreierei daher: grandios!

© SZ vom 21.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: