Neuregelung nach Angriffen:"Im Zweifelsfall muss man Wölfe abschießen dürfen"

Bundestag soll leichteren Abschuss von Wölfen beschließen

Ein Wolf in einem Gehege im Wildpark Neuhaus in Niedersachsen.

(Foto: Swen Pförtner/dpa)

Besonders in Nord- und Ostdeutschland greifen Wölfe vermehrt Schafe und andere Weidetiere an. Zwei Schafzüchter erklären, wie man mit der Problematik umgehen sollte.

Interviews von Titus Arnu und Ralf Wiegand

Eigentlich stehen die knapp 300 erwachsenen Wölfe, die derzeit in Deutschland leben, unter Schutz. Doch nun hat der Bundestag eine Neuregelung beschlossen, die Abschüsse erleichtern soll. Besonders in Nord- und Ostdeutschland kommt es vermehrt zu Angriffen auf Schafe und andere Weidetiere. Das sorgt für hitzige Diskussionen zwischen Landwirten und Naturschützern. Ein "sehr aggressiver Wolf" soll in Schleswig-Holstein 40 bis 50 Schafe gerissen haben, ein Waldkindergarten zog sicherheitshalber in ein Ausweichquartier um.

Thomas Schranz, 47, und Carl-Wilhelm Kuhlmann, 56, haben seit Jahren mit Wölfen zu tun. beide sind Landwirte und Schafzüchter, Schranz in Tirol, Kuhlmann in der Lüneburger Heide. In beiden Gegenden sind reißende Wölfe unterwegs, aber das, was Experten "Wolfsdruck" nennen, ist in Norddeutschland viel höher als in den Alpen. Schafzüchter Schranz aus Tirol ist zwar der Ansicht, dass Wölfe in den meisten Fällen auch ohne Waffen abgewehrt werden können, den Abschuss will er aber trotzdem nicht ausschließen.

SZ: Wie realistisch ist es überhaupt, einen einzelnen Wolf abzuschießen, der eine Herde angegriffen hat?

Thomas Schranz: Das ist wie ein Sechser im Lotto. Es ist sehr unwahrscheinlich, überhaupt einen einzelnen Wolf anzutreffen, und ob es dann derjenige ist, der für einen Riss verantwortlich ist, wird man kaum beweisen können. Realistischer wird es, wenn man weiß, dass ein großes Rudel in der Nähe ist, das immer wieder Tiere reißt. Dann kann es natürlich helfen, dieses Rudel zu verkleinern, indem man einzelne Tiere entnimmt.

Entnehmen heißt: abschießen?

Ja, genau. Das ist ein sehr heikles Thema, und man wird immer sofort angefeindet, wenn man sich dafür ausspricht, dass Wölfe geschossen werden dürfen. Aber ich sage trotzdem: Im Zweifelsfall muss man Wölfe abschießen dürfen. Allerdings erst, wenn alle anderen Schutzmaßnahmen nichts gebracht haben.

Neuregelung nach Angriffen: Schäfer Thomas Schranz setzt auf Lamas zur Abwehr von Wölfen.

Schäfer Thomas Schranz setzt auf Lamas zur Abwehr von Wölfen.

(Foto: privat)

In welchen Fällen halten Sie es für gerechtfertigt, Wölfe zum Abschuss freizugeben?

Das sehe ich differenziert, es hängt von der Region und der Situation ab. Die Frage ist: Wie hoch ist der Wolfsdruck? In den Alpen ist die Situation anders als in Brandenburg oder Sachsen. Wir haben hier in Tirol jedes Jahr Wolfssichtungen, immer wieder kommt es zu Rissen auf Almen. Es gibt nachweislich einen Wolf im Gebiet Fiss-Ladis, dort sind tagsüber Tausende Leute unterwegs, keiner hat das Tier je gesehen, aber man weiß, dass es dort herumstreift. Normalerweise sind Wölfe ja extrem scheu. In Ostdeutschland ist die Lage anders: Es gibt viel mehr Wölfe und viel größere Rudel. Und je größer das Rudel, desto schwieriger wird es, die Tiere auf der Weide zu schützen. Wenn Wölfe sich Siedlungen nähern und eine Herde angreifen, trotz Zäunen, Hunden und Menschen in der Nähe, dann halte ich es für gerechtfertigt, aus dem Rudel Jungtiere zu entnehmen.

Nach den von Umweltministerin Svenja Schulze vorgelegten Gesetzesänderungen sollen so lange Wölfe in einer Gegend geschossen werden können, bis es keine Attacken mehr gibt - auch wenn dafür ein ganzes Rudel getötet wird. Finden Sie das richtig?

Es kommt drauf an. Es bringt nichts, blindlings drauf los zu schießen. Nur ein Wolfsexperte sollte entscheiden, welches Tier aus dem Rudel entnommen wird. Er muss meiner Meinung nach möglichst ein Jungtier erwischen, das sich gerade einer Weide oder einem Stall nähert. Nur dies hat einen Lerneffekt für das Rudel.

Bevor es soweit kommt: Wie können Schäfer versuchen, Wölfe ohne Waffengewalt abzuwehren?

In den meisten Fällen, besonders für kleine Herden bis zu 150 Schafen, reicht eine Kombination aus Elektrozaun und Schutzhunden. Ich arbeite zusätzlich mit Lamas, die mit den Schafen auf der Weide stehen, es gibt auch Kollegen, die Esel einsetzen.

Warum Lamas und Esel?

Ein Wolf kann diese Tiere nicht einordnen und wird aus Unsicherheit wahrscheinlich nicht über den Zaun springen. Wenn all diese Herdenschutzmaßnahmen aber erfüllt sind, habe ich als Landwirt meine Schuldigkeit getan, und dann ist irgendwann die Toleranzgrenze erreicht.

Wie könnte die Politik sinnvoll mit dem Reizthema Wolf umgehen?

Die Politik sollte ein professionelles Herdenmanagement unterstützen und keine polemischen Debatten über Wolfsabschüsse auslösen. Ich bin kein Wolfsbefürworter, ich will meine Schafe schützen. Aber es bringt nichts, eine wolfsfreie Natur zu fordern - man muss eben lernen, mit diesen Beutegreifern zu leben.

"Es ist eine latente Bedrohung"

Carl-Wilhelm Kuhlmann ist 365 Tage im Jahr mit seinen Tieren draußen - einer Heidschnuckenherde in der Lüneburger Heide mit aktuell etwa 750 Schafen. Gut zehn bis zwölf Kilometer legt die Heide täglich zurück, anders sei die Naturlandschaft der Heide gar nicht zu erhalten, sagt Kuhlmann. Man dürfte dem Wolf nicht erlauben, sich unbegrenzt zu vermehren, das ist sein Argument für den Abschuss.

SZ: Wie bewerten Sie die Neuregleung des Umweltministeriums?

Carl-Wilhelm Kuhlmann: Ich begrüße die Neuregelung ganz ausdrücklich. Wir betreiben offene Hütehaltung, ohne Zäune oder Pferche. Und wir brauchen den Rückhalt der Gesellschaft, damit die Bejagung des Wolfes auch Gesetz wird - und man das dann auch praktisch umsetzen kann.

Lüneburger Heide

Heidschnukenherden werden in der Lüneburger Heide für die Landschaftspflege gebraucht.

(Foto: Philipp Schulze/dpa)

Wie oft ist Ihre Herde von Wölfen attackiert worden?

Fünf Mal haben wir das erlebt, während Menschen dabei waren. Dreimal konnte der Wolf zurückgetrieben werden, vor allem durch lautes Schreien, aber wir mussten bis auf fünf Meter an das Tier heran. Es hatte versucht, erwachsene Schafe zu reißen, sie konnten gerettet werden. Inzwischen aber hat der Wolf seine Strategie geändert und holt sich kleine Tiere, die er gleich mitnehmen kann. Das ist im August zweimal passiert, so leise, dass die Herde es gar nicht mitbekommen hat. Wir haben den Wolf erst gesehen, als er sich mit dem Lamm davonmachte. Es sind eben kluge Jäger.

Wie schätzen Sie und die anderen Schafzüchter in Ihrer Region die Gefahr durch den Wolf ein?

Natürlich gibt es nicht jeden Tag Wolfsattacken. Seit den Vorfällen im August ist nichts mehr passiert. Aber es ist eine latente Bedrohung. Viele meiner Kollegen sagen mir, dass die ganze Romantik des Berufs verloren geht, weil man rund um die Uhr aufpassen muss, dass nichts passiert. Bei uns in der Gegend gibt es sechs Wolfsrudel. Das Ganze ist hochemotional: Wir Schäfer haben eine Art Deal mit unseren Tieren.

Was für einen Deal?

Die Schafe lassen es zu, dass wir ihre Wolle nehmen, ihre Milch, dass wir manche auch schlachten dürfen. Dafür aber haben wir sie zu beschützen. Diesen Schutz können viele von uns aber nicht mehr gewährleisten. Wir können nicht immer höhere Zäune bauen und immer mehr Hunde einsetzen. Die Zahl der Schafzuchtbetriebe und die Zahl der Tiere geht bereits zurück.

Aber Tierschützer argumentieren, dass durch die Abschüsse die Population einer Tierart dezimiert wird, die in unseren Wäldern wieder heimisch geworden ist nachdem sie lange bedroht war.

Abschüsse bedeuten ja nicht, dass es dann keine Wölfe mehr geben wird. Wir wissen durch den Austausch mit Schäfern aus Ländern, in denen der Wolf bejagt wird, etwa Finnland, Schweden oder Portugal, dass die Tiere dann heimlicher agieren. Sie lernen und ziehen sich zurück.

Muss man nicht akzeptieren, dass der Wolf ein Jagdtier ist und dass eben diesen Jagdtier zu Deutschland gehört?

Es ist klar, dass der Wolf nicht anders kann, als Wolf zu sein - ein Oberjäger, dem wir meiner Meinung aber nach nicht länger erlauben können, sich in einer hundertprozentigen Kulturlandschaft wie unserer unbegrenzt zu vermehren. Der Wolfbestand nimmt jetzt schon jährlich um 30 Prozent zu. Das gestatten wir keinem anderen Tier - und wir sollten nicht warten, bis es einen "Fall Rotkäppchen" gibt, denn der wird irgendwann kommen. Und was dann los sein wird, kann man sich ausmalen.

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