Lichterfest:"Noch in meiner Kindheit war München ein Hort des Judenhasses"

Rabbiner Shmuel Aharon Brodman entzündet nach den Reden die Chanukka-Kerze.

Rabbiner Shmuel Aharon Brodman entzündet nach den Reden die Chanukka-Kerze. Dazu singt er den Segen, und viele singen mit.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Im Jüdischen Gemeindezentrum feiern Überlebende des Holocaust und ihre Angehörigen Chanukka. Das Licht soll Kraft geben, denn Judenhass und Antisemitismus nehmen auch in Deutschland wieder zu.

Von Wolfgang Görl

Henri Rotmensch hat sich fein gemacht, hat eine rosa Krawatte umgebunden, ein blaues Jackett angelegt und eine Schirmmütze aufgesetzt. An diesem Nachmittag feiert er Chanukka, das Lichterfest, mit dem die Juden die Wiedereinweihung ihres Tempels in Jerusalem zelebrieren. Rotmensch ist 95 Jahre alt - dass er den Holocaust überlebt hat, ist wie ein Wunder. Hier, im Jüdischen Gemeindezentrum am St. Jakobsplatz, erzählt er, dass er aus Bedzin in Oberschlesien stammt, dass ihn die Nazis ins Konzentrationslager gesperrt haben, dass er Zwangsarbeit leisten musste. Zuletzt haben sie ihn ins KZ Buchenwald deportiert, dann der Todesmarsch Richtung Süden, bei Bad Wurzach retteten ihn französische Soldaten. "Der französische Offizier, der mich befreit hat, war der Sohn eines Rabbiners", erzählt er.

Nun also feiert Rotmensch das Lichterfest, zusammen mit etwa 120 anderen Überlebenden der NS-Judenverfolgung sowie deren Verwandten, so dass etwa 300 Menschen den großen Saal im Jüdischen Zentrum füllen. Sie alle feiern zudem die Internationale Nacht der Überlebenden des Holocaust, die zum dritten Mal weltweit begangen wird, unter anderem in Jerusalem, Moskau, Paris und New York. Die "Survivors Night" vermittelt, wie Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, in ihrer Ansprache sagt, die Botschaft: "Wir sind hier."

Das ist, wie der Blick zurück lehrt, keineswegs selbstverständlich. "Noch in meiner Kindheit", fährt Knobloch fort, "war München ein Hort des Judenhasses." Und diejenigen, die als Zeitzeugen darüber berichten könnten, würden immer weniger. Dabei sei die Erinnerung an das "singuläre Verbrechen des Holocaust" heute wichtiger denn je, denn Judenhass und Antisemitismus nähmen auch in Deutschland wieder zu. Das Licht der Chanukka, sagt Knobloch, "soll uns Kraft geben". "Mit Gottes Hilfe wird der Hass am Ende nicht siegen."

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erinnerte in seiner Rede daran, dass München, die ehemalige "Hauptstadt der Bewegung", in "ganz besonders beschämender Weise mit dem Holocaust verbunden" sei. Die Nazis, so Reiter, haben die jüdische Gemeinde Münchens nahezu ausgelöscht, von den 12 000 Mitglieder waren bei Kriegsende noch 84 übrig. München trage eine besondere Verantwortung, aber die Stadt ziehe auch eine Lehre aus der Geschichte: "Für rechtsextremistische und antisemitische Hassprediger und Gewalttäter ist kein Platz in München", sagt Reiter. "Gerade hier darf es nie wieder unwidersprochen Antisemitismus geben."

Rüdiger Mahlo, der Repräsentant der Claims Conference, die sich für die Interessen der Holocaust-Opfer einsetzt, berichtet, dass es weltweit noch etwa 400 000 Überlebende gebe, von denen 40 Prozent unter der Armutsgrenze ihrer Länder lebten. Auch er weist darauf hin, dass die Erinnerung an die NS-Verbrechen wachgehalten werden müsse, auch wenn die Stimmen der Überlebenden nach und nach verstummten. Untersuchungen hätten gezeigt, dass immer weniger junge Menschen ein Grundwissen über den Holocaust hätten. Ludwig Spaenle, der Antisemitismus-Beauftragte der Staatsregierung, fordert am Ende seiner Ansprache: "Wir müssen uns der Fratze des Judenhasses entgegenstellen." Nach den Reden entzündet Rabbiner Shmuel Aharon Brodman die Chanukka-Kerze. Dazu singt er den Segen, und viele singen mit. Natürlich auch Henri Rotmensch.

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