Endlich Zeit für ...:Schwierige Selbstentfaltung

Zu Unrecht vergessen: Max Mohrs Roman "Frau ohne Reue"

Von Anna Steinbauer

Lina Gade will ausbrechen. Die Protagonistin aus "Frau ohne Reue" fühlt sich leblos und gefangen im bürgerlichen Dasein als Ehefrau und Mutter im Berlin der 1920er-Jahre. "Sie lebte schlafend, schleppte sich immer weiter dahin in dieser toten Ehe, nur weil sie nicht wusste, was sonst", heißt es im Roman. Linas Gatte ist vermögend und rücksichtsvoll, er gehört zu den Männern, die ihre Frau "mein liebes Kind" nennen. Das Leben in ihrem großen Haus verläuft "wie in Watte gepackt und auf die Minute". Dennoch oder vielleicht auch genau deshalb wartet sie auf eine günstige Gelegenheit zu entkommen. Als der unkonventionelle Paul Fenn eines Tages im Haus der Gades auftaucht, verlässt Lina Hals über Kopf Ehemann und Kind. Das Paar reist zunächst für einige Zeit um die Welt, entführt Linas Tochter und lässt sich inklusive Kind auf einem Bergbauernhof nieder, um dort zu leben. Doch die Pläne scheitern, und auch in der Natur lauert der Tod.

Max Mohr beschreibt in seinem 1933 veröffentlichten Werk, das zum Lesefest "Würzburg liest ein Buch" als Neuauflage im Weidle Verlag erscheint, die Suche einer Frau nach Liebe, Freiheit und Selbstständigkeit in einer Zeit, in der weibliche Emanzipation gesellschaftlich weder angesehen noch verankert war. Mohrs unerschrockene Protagonistin schlägt einen für ihre Epoche außergewöhnlichen Weg ein und folgt dem Drang, ihr Leben selbst zu gestalten. Dabei gerät ihr Bedürfnis nach Selbstverwirklichung immer wieder in Konflikt mit dem Verantwortungsgefühl gegenüber ihrem Kind.

In expressionistisch-düsterem Sprachduktus und mit großer Empathie für die Situation seiner Protagonistin schildert der 1891 in Würzburg geborene Autor den inneren Kampf Linas und thematisiert den Zusammenhang von Narzissmus und Mutterschaft. Dass der Roman im Jahr der Machtergreifung Hitlers im S. Fischer Verlag erschien, wirkt im Nachhinein auf abstruse Weise ironisch, verrät allerdings einiges über die in jeder Hinsicht vielfältige, avantgardistische Literaturproduktion der Weimarer Republik.

Dem Schriftsteller ging es wie vielen seiner jüdischen Kollegen: 1934 emigrierte er nach Shanghai, wo er bereits 1937 an Herzversagen starb. Nach dem Zweiten Weltkrieg geriet Mohr in Vergessenheit, obwohl der Arzt, der am Tegernsee lebte, ein erfolgreicher Dramatiker seiner Zeit war. Seine Stücke wurden deutschlandweit gespielt. Gezwungenermaßen erlebte der Autor, was sein Protagonist Fenn für seine große Liebe aufgab: das Leben im Fernen Osten.

Max Mohr: Frau ohne Reue, Roman. Weidle Verlag, 224 Seiten, 14 Euro

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