Gesundheit:Patient zahlt drauf

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Lieferengpässe gibt es derzeit bei 250 von insgesamt 103 000 in Deutschland zugelassenen Medikamenten.

(Foto: Mareen Fischinger/imago)

Wenn Ärzte wegen der aktuellen Lieferengpässe auf ein teureres Medikament wechseln müssen, bleiben die Mehrkosten an den Kranken hängen.

Von Rainer Stadler

Die Behandlung von Depressionen ist eine komplizierte Angelegenheit, längst nicht jedes Mittel wirkt bei jedem Menschen. Zufrieden registrierte deshalb Andreas Meißner, der in München eine Praxis für Psychiatrie und Psychotherapie betreibt, dass seine Patientin so gut auf Venlafaxin ansprach. Vor drei Jahren hatte er ihr das Antidepressivum verordnet, nach einem Suizidversuch. Ihr Befinden besserte sich rasch, sie legte auch wieder an Gewicht zu, sodass Meißner bald die Dosis senken konnte. Venlafaxin reguliere zwei Botenstoffe im Gehirn, die Kombination der Wirkstoffe sei einzigartig, erklärt der Psychotherapeut. Das Medikament könne nicht einfach durch ein anderes ausgetauscht werden. Bisher war das kein Problem. Doch seit Oktober ist Venlafaxin nicht lieferbar.

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) listet alle Engpässe von Arzneimitteln in Deutschland auf. Im Moment sind 250 von insgesamt 103 000 in Deutschland zugelassenen Medikamente betroffen. In der Datenbank des BfArM finden sich auch mehrere Einträge zu Venlafaxin, sie betreffen vier verschiedene Generikahersteller. Frühestens im Januar soll das Mittel wieder vorrätig sein, in manchen Dosierungen auch erst einige Monate später. Bis dahin steht als Alternative nur Trevilor zur Verfügung. So heißt das Originalmittel, das 1996 erstmals in Deutschland zugelassen wurde. Ende 2008 lief der Patentschutz ab, und die Generikahersteller brachten ihre wirkstoffgleichen Mittel auf den Markt, die nun fehlen.

150 Euro sollte die Frau in der Apotheke übernehmen. "Ein Unding", findet ihr Therapeut

Als Meißners Patientin ihr Rezept für Trevilor in der Apotheke vorlegt, erfährt sie, dass sie 150 Euro zuzahlen soll. Die Krankenkassen übernehmen nur den Preis des günstigeren Nachahmermedikaments. "Ein Unding", findet ihr Psychotherapeut. Er habe erfahren, dass die Ursache für den Engpass bei Venlafaxin wohl bei einem Hersteller im Ausland liege. "Meine Patientin ist völlig unverschuldet in diese Situation geraten. Wieso soll sie nun für die Mehrkosten aufkommen?" Meißner schreibt ihre Krankenkasse an und bittet, ihr die Zuzahlung zu erstatten. Nach einigen Tagen willigt die Kasse tatsächlich ein. Ende gut, alles gut?

Es sei ja toll, wenn der behandelnde Arzt im Sinne der Patientin aktiv werde, "aber das kann keine Lösung auf Dauer sein", kritisiert Kai-Helge Vogel, Gesundheitsexperte beim Bundesverband der Verbraucherzentrale. Dass Patienten im Fall eines Lieferengpasses auch noch mit zusätzlichen Kosten belastet würden, sei nicht zu akzeptieren. "Die Politik sollte die derzeitigen gesetzlichen Regelungen an dieser Stelle einer kritischen Prüfung unterziehen."

Tatsächlich existiert bereits ein Gesetz, das Krankenkassen zur Rückerstattung von Mehrkosten verpflichtet. Allerdings gilt es nur für Medikamente, die vom Hersteller zurückgerufen wurden. Vergangenes Jahr trat so ein Fall ein: Der Blutdrucksenker Valsartan wurde vom Markt genommen, weil bei der Produktion Verunreinigungen mit einem Stoff aufgetreten waren, den die Behörden als krebserregend einstuften. Die Kassen übernahmen daraufhin die Zuzahlung für Alternativpräparate. Wenn ein Mittel allerdings aufgrund eines Lieferengpasses nicht verfügbar ist und auch kein Alternativprodukt zum gleichen Preis, dann sei "der Patient verpflichtet, den Mehrkostenanteil eines Medikamentes selber zu tragen", heißt es nun aus dem Bundesgesundheitsministerium. Ob eine Übernahme der Kosten erfolge, "hängt vom Einzelfall nach Rücksprache mit der Krankenkasse ab".

Dabei herrscht auch bei den Gesundheitspolitikern aller Parteien Einigkeit, dass Patientinnen und Patienten unter Lieferengpässen nicht auch noch finanziell leiden sollen. Union und SPD arbeiten gerade an einer Gesetzesänderung, die bei Lieferengpässen den Zugang zu Alternativpräparaten erleichtern soll. Doch auch dieser Entwurf sieht bisher vor, dass nur solche Alternativen bewilligt werden sollen, die nicht teurer sind als das ersetzte Mittel. FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann fürchtet, die von der Regierungskoalition angestrebte Änderung werde am eigentlichen Problem "gar nichts lösen". Er fordert bei Versorgungsengpässen den "bedingungslosen Austausch" des Medikaments, auch wenn das Alternativmittel mehr kostet. Der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, favorisiert eine andere Lösung. Nicht die Patienten oder Krankenkassen, sondern die Hersteller des nicht lieferbaren Medikaments sollten künftig für etwaige Mehrkosten aufkommen.

Ob es zu einer patientenfreundlichen Lösung kommt, ist ungewiss. Auf die Patientin des Münchner Arztes Meißner kommen damit weitere Probleme zu. Ihre Packung mit 100 Trevilor-Tabletten ist bald aufgebracht. Die Mehrkosten? Die Krankenkasse, sagt Meißner, habe seiner Patientin schon mitgeteilt, dass es sich bei der Übernahme um eine absolute Ausnahme handelte.

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