SZ-Brachvogel:Neues von der Schnepfingerin

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Ein Jahr lang hat die SZ einen Großen Brachvogel in einem Forschungsprojekt begleitet. Dank eines GPS-Geräts können die Experten das Weibchen noch immer verfolgen. Wie geht es ihr heute?

Von Christian Sebald, Hilpoltstein

Sonne pur, milde 19 bis 21 Grad und kaum Wind: In Südspanien herrscht zum Jahreswechsel Wohlfühlwetter. Ein Gast aus Bayern lässt es sich denn auch richtig gut gehen. Morgens gegen sieben Uhr wird die Schnepfingerin munter. Die Nacht hat sie wie üblich im Mündungsgebiet des Guadalquivir verbracht. Genauer gesagt, auf einer Salzwiese nahe der Kleinstadt Bonanza. Nun ist sie hungrig. Also fliegt sie zu dem Fluss und stochert im Schlick nach Würmern, kleinen Krebsen und anderem Getier. Ab und an wechselt sie ans andere Ufer, zum Nationalpark Coto de Doñana. Erst gegen 18 Uhr fliegt die Schnepfingerin zurück zu den Salzwiesen nahe Bonanza. Dort verbringt sie regelmäßig die Nächte. Richtig ruhen wird sie aber nur von Mitternacht bis etwa vier Uhr morgens. So vergehen die Tage.

Die Schnepfingerin ist ein Großer Brachvogel. Aber nicht irgendeiner. Das Vogelweibchen aus dem niederbayerischen Königsauer Moos ist Teil eines groß angelegten Forschungsprojekts des Landesbunds für Vogelschutz (LBV). Die Experten um Andreas von Lindeiner, dem obersten Artenschützer des LBV, haben ihm im Frühjahr 2018 einen 17 Gramm leichten GPS-Sender auf den Rücken geschnallt. Von da an hat die Süddeutsche Zeitung die Schnepfingerin ein Jahr lang begleitet. Doch das Gerät sendet immer noch unablässig Daten auf die Rechner in der LBV-Zentrale im mittelfränkischen Hilpoltstein. Deshalb ein Update, wie es der Schnepfingerin geht. Die Großen Brachvögel zählen zu den bedrohtesten Tierarten in Bayern. Insgesamt leben hier nur noch etwa 450 Brutpaare, die Art ist vom Aussterben bedroht. Mit ihrem Forschungsprojekt, das bis 2023 läuft, wollen die LBV-Leute herausfinden, wie man die kleine Population retten kann.

SZ-Brachvogel
:Mach's gut, Schnepfingerin

Das erste Jahr des Forschungsprojekts über Bayerns Große Brachvögel ist vorbei, die SZ stellt die Beobachtung ein. Doch die Experten werden weiter forschen, um die seltenen Tiere zu schützen.

Von Christian Sebald

"Es ist schon erstaunlich, was für ein Gewohnheitstier Schnepfingerin ist", sagt LBV-Mann Markus Erlwein, der ebenfalls mit dem Forschungsprojekt befasst ist. "Sie zeigt exakt das gleiche Verhalten wie im Winter 2018/2019." Auch diesen hatte der Brachvogel an dem südspanischen Fluss verbracht, der kurz hinter Bonanza in den Atlantik mündet. Das Revier, in dem sich die Schnepfingerin aufhält, umfasst gerade mal 400 Hektar, das entspricht einem Quadrat mit nur zwei Kilometern Seitenlänge. "Das ist schon sehr klein", sagt Erlwein. "Aber umgekehrt zeigt es, dass sie dort alles hat, was sie braucht." Also nicht nur ausreichend Futter. Sondern auch Ruhe - vor allem vor Füchsen und anderen Fressfeinden, aber auch vor Menschen.

"Die Coto de Doñana und der Nationalpark sind ein einzigartiges Vogelparadies", sagt Erlwein. Dort überwintern nicht nur die Schnepfingerin und andere Große Brachvögel. Sondern auch Rotschenkel, Säbelschnäbler, Waldwasserläufer und alle möglichen Lerchenarten. Außerdem kann man riesige Flamingoschwärme beobachten. Experten sagen, dass mehr als 250 Vogelarten aus Mitteleuropa den Winter an der Coto de Doñana verbringen. Auch unter den Brutvögeln sind spezielle Arten. Das Purpurhuhn etwa. Der dunkelblau-violett gefiederte Vogel mit dem leuchtend roten Schnabel, Stirnschild und Beinen ist das Wappentier des Nationalparks.

In Bayern laufen derweil die Vorbereitungen für die Fortsetzung des Forschungsprojekts. 2020 wird es vor allem darum gehen, weitere Brachvögel an den Sender zu bekommen. Derzeit liefert nämlich nur die Schnepfingerin Daten nach Hilpoltstein. Die acht anderen Brachvögel, die Lindeiner und Co. am Netz haben, sind Ausfälle - entweder gewildert oder von Raubtieren aufgefressen oder aber in Stürmen umgekommen. Auch der Jungvogel aus dem Erdinger Moos, der noch im Sommer regelmäßig aus einem Vogelschutz in Südportugal gefunkt hat, liefert seit Wochen keine Daten mehr. "Aber den haben wir nicht aufgegeben", sagt Erlwein. "An der Sado-Mündung, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, ist das Handynetz sehr schlecht." Womöglich kann der GPS-Sender derzeit also nur keine Daten übermitteln. Wie auch immer, 2020 wollen die LBV-Leute in den bayerischen Brutgebieten möglichst viele junge Brachvögel fangen und ihnen GPS-Sender umschnallen. "Die Daten von Schnepfingerin sind sehr wertvoll", sagt Erlwein. "Aber ein Vogel ist eine zu schmale empirische Basis für ein Forschungsprojekt."

Durch das Projekt haben die Forscher neue Erkenntnisse über die Zugvögel erlangt

Es sind aber auch Erfolge zu vermelden. Das Königsauer Moos soll in großem Stil renaturiert werden. Das Niedermoor im Unteren Isartal ist nicht nur die Heimat von Schnepfingerin, sondern zählt zu den bedeutendsten Brachvogel-Gebieten in Bayern. Insgesamt ist es an die 1300 Hektar groß. 400 Hektar sind Biotope oder werden so schonend bewirtschaftet, dass Pflanzen- und Tierwelt dort möglichst erhalten bleibt. "Diese Flächen sollen nun deutlich ausgeweitet werden", sagt Lindeiner. "Außerdem sollen sie vernässt werden, so dass genau die Lebensräume entstehen, die Schnepfingerin und andere Wiesenbrüter so dringend brauchen."

Außerdem haben die Experten womöglich erste Hinweise darauf, warum so viele Jungvögel sterben, ehe sie flügge werden. Bei dem Forschungsprojekt werden nämlich auch Kadaver untersucht, sofern welche entdeckt werden. Eine solche Untersuchung an zwei toten Jungtieren erbrachte nun "ein sehr überraschendes Ergebnis", wie Lindeiner sagt. "Den Jungvögeln fehlte ein bestimmtes Schilddrüsenhormon, sie sind an einer völlig unnatürlichen Erschöpfung zugrunde gegangen." Dass es so etwas gibt, war unbekannt in der Expertenwelt. "Wir müssen nun schnell herausfinden, wie verbreitet das Phänomen ist und was man dagegen tun kann", sagt Lindeiner. Denn eines der größten Probleme bei den Bemühungen um die Brachvögel ist, dass so wenige Jungtiere flügge werden.

Was die Schnepfingerin anbelangt, sind sie beim LBV optimistisch. "Sie wird sich noch bis Ende Februar, Anfang März ausruhen an der Coto de Doñana und ordentlich Fitness anfressen", sagt Erlwein. "Dann wird sie ganz plötzlich die Zugunruhe packen." So wie im März 2019. Da ist die Schnepfingerin auf einmal nächtens abgeflogen. Keine 36 Stunden später traf sie im Königsauer Moos ein. Die Luftlinie zwischen der Coto de Doñana unter der Unteren Isar beträgt 2200 Kilometer - die erste, 1250 Kilometer lange Etappe flog die Schnepfingerin seinerzeit nonstop.

© SZ vom 27.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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