"Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" im Kino:Diebe im Kinderzimmer

Kinostart - 'Als Hitler das rosa Kaninchen stahl'

Noch liegt Anna (Riva Krymalowski) im heimischen Bett.

(Foto: Frédéric Batier/dpa)

Die Regisseurin Caroline Link hat den Romanklassiker "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" verfilmt. Eine alte Flüchtlingsgeschichte mit moderner Botschaft und ein großes Kinoabenteuer.

Von Tobias Kniebe

Das Bild von diesem Mann mit dem kleinen Schnurrbart, überall in der Stadt. Ein mysteriöser Anruf nach dem Abendessen. Ein verstohlener Blick durch die Tür, wenig später, die Eltern reden eindringlich, der Vater wirkt blass. Auch die Mutter ist anders als sonst, bei Störungen wird sie richtig böse. Schließlich das Zimmer am nächsten Morgen, der Schreibtisch aufgeräumt, das Bett gemacht - und der Vater verschwunden.

Die Vorzeichen des Unheils, kurz bevor ihre Welt aus den Fugen geht, so zeigen sie sich der neunjährigen Anna in Berlin. Es ist Februar 1933, sie lebt in großbürgerlicher Sicherheit in Grunewald, ihr Vater schreibt für die Zeitung und hält Reden im Radio, alle kennen ihn. Deshalb muss er auch das Land verlassen, kurz bevor die Nationalsozialisten, die er bekämpft hat, die Macht ergreifen. Auch Anna wird zum Flüchtling, vom einen Tag auf den anderen.

Es ist die Perspektive eines klugen, wachsamen, nicht allzu ängstlichen Kindes, die Judith Kerrs autobiografischen Roman "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" so besonders macht. Die Tochter des großen jüdischen Feuilletonisten und Hitlergegners Alfred Kerr beschreibt darin ihre eigene Jugend. Das Grauen des "Dritten Reichs" kommt nah genug, aber der Vater (im Film gespielt von Oliver Masucci) schätzt es von Anfang an richtig ein. Mit dieser Geschichte, die noch einmal gut ausgeht, hat Judith Kerr Generationen von Kindern an die Verfolgung und Vertreibung der Juden herangeführt, bevor es dann weitergeht zum Holocaust, und zum "Tagebuch der Anne Frank". Diese besondere Kinderperspektive, sie muss dann auch die Stärke einer gelungenen Verfilmung sein. Im Grunde sehr naheliegend für die Gegenwart und ihre neuen Flüchtlingskrisen. Ein Stoff wie geschaffen für Caroline Link: Kaum jemand hat sich den Blick der Kinder so leidenschaftlich zu eigen gemacht, und kaum jemand hat so viel erzählerisches Potenzial darin entdeckt, von ihrem oscargekrönten "Nirgendwo in Afrika", ebenfalls eine Flüchtlingsgeschichte, bis hin zu der gelungenen und sehr erfolgreichen Hape-Kerkeling-Verfilmung "Der Junge muss an die frische Luft".

Die Reise führt Anna erst in die Schweiz mit ihren seltsamen Bräuchen, und dann nach Paris

Besonders deutlich wird das in diesem Film, wenn die Zumutungen der Weltgeschichte im Kinderzimmer ankommen. "Am Ende blieb nur Platz für ein paar Bücher und eines von Annas Stofftieren", heißt es bei Judith Kerr, als es um die hastige Abreise geht. "Sollte sie sich für das rosa Kaninchen entscheiden, das ihr Spielgefährte gewesen war, solange sie sich erinnern konnte, oder für ein neues wolliges Hündchen? Es war doch schade, den Hund zurückzulassen, da sie noch kaum Zeit gehabt hatte, mit ihm zu spielen."

Das liest sich dann doch erstaunlich nüchtern. Man hört ein wenig die Grande Dame heraus, die da im Abstand von fast vierzig Jahren zurückblickt. Nach Zwischenstationen in der Schweiz und in Paris ist Judith Kerr in London aufgewachsen und Engländerin geworden, inklusive stiff upper lip und einem herrlich trockenen Humor. Literarisch funktioniert das wunderbar, eine Filmemacherin aber steht vor der Aufgabe, Annas Entscheidungsqualen in Szenen zu übersetzen. Und eigentlich muss man nur genau anschauen, wie Caroline Link das macht, um ihr ganzes Können zu verstehen. Als erstes sind da natürlich die Kinder selbst, das Casting ist schon mehr als die halbe Miete. Mit Riva Krymalowski hat Caroline Link wieder eine perfekte Hauptdarstellerin gefunden, und Marinus Hohmann als ihr drei Jahre älterer Bruder Max ist nicht weniger überzeugend. Dann haben die Stofftiere, das rosa Kaninchen und ein brauner kleiner Terrier, wie das bei Kindern so ist, Gefühle.

"Wenn ich Terri mitnehme, ist Kaninchen traurig, und wenn ich Kaninchen mitnehme, ist Terri traurig", sagt Anna im Film. Daraufhin kommt erst einmal Max ins Spiel, nüchtern, etwas altklug und immer schon einen Schritt weiter. Stofftiere hätten doch gar keine Gefühle, sagt er, und dass Anna doch längst zu alt dafür sei. Und wenn denn partout beide mitmüssen, könnten ja die Malstifte zuhause bleiben. Das geht natürlich gar nicht, das hilft alles nicht weiter, beim Einschlafen hat Anna immer noch beide Kuscheltiere im Arm.

Hier bauen Caroline Link und ihre Autorin Anna Brüggemann nun die Rolle der Haushälterin Heimpi, ein geliebtes, im Roman aber auch manchmal fast ruppiges Wesen, zu einer Art idealen Großmutter aus, gespielt wieder von Ursula Werner, die dieselbe Funktion schon im Hape-Kerkeling-Film erfüllt hat. Sie ermöglicht die unmögliche Entscheidung, in dem sie verspricht, das Kaninchen und alle anderen Spiele in eine große Kiste zu packen und alsbald nachzuschicken.

Für Anna wird diese unfreiwillige Reise gut ausgehen. Die Angst und Verwirrung der Flucht verwandelt sich auch in ein großes Abenteuer, in der malerischen Schweiz, mit den drolligen Schweizern und ihren seltsamen Bräuchen, und im genauso malerischen Paris, mit der winzig-romantischen Mansardenwohnung über den Dächern, wo selbst der Hunger nicht so spürbar ist, wenn der Vater kaum noch Artikel verkauft.

Das rosa Kaninchen aber hat, so will es ja schon der Titel, weniger Glück. Es wird, zusammen mit den anderen zurückgelassenen Dingen, von den Nazis konfisziert. Wer kleinen Mädchen ihre Stofftiere klaut, ist auch zu Menschheitsverbrechen fähig, das ist die offensichtliche Logik hinter dem Welterfolg des Buchs. In einem Punkt ist Caroline Link allerdings gnädiger als Judith Kerr. Sie gönnt dem gebeutelten Stofftier, im Original schon sehr zerzaust, kaum noch rosa und mit gestickten Ersatzaugen, etwas Glamour. Im Film darf das Fell noch farbig sein, und die Knopfaugen blinken wie neu.

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl, D 2019 - Regie: Caroline Link. Buch: Anna Brüggemann, Link. Kamera: Bella Halben. Mit Riva Krymalowski, Marinus Hohmann, Oliver Masucci, Ursula Werner, Carla Juri. Warner, 119 Minuten.

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