Flüchtlinge in Griechenland:Es braucht einen europäischen Schritt

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Tausende Kinder sitzen ohne Eltern in den Lagern auf den Ägäis-Inseln fest. Grünen-Chef Habeck hat recht: Deutschland muss ihnen helfen. Das ginge auch, ohne die EU-Nachbarn zu verärgern.

Kommentar von Bernd Kastner

Horst Seehofer hat ja so recht. Es braucht eine europäische Lösung in der Migrationspolitik. Und ja, natürlich stimmt es, wenn der Bundesinnenminister sagt: "Ein Staat allein kann das nicht schaffen. Wir dürfen Griechenland nicht im Stich lassen."

Wir dürfen das nicht - wir tun es aber trotzdem. Europa lässt Griechenland allein, Europa lässt auch Tausende Kinder in menschenunwürdigen, überfüllten Lagern im Stich. Unter den 40 000 Flüchtlingen, die auf den Ägäis-Inseln festsitzen, sind etwa 4000 Kinder ohne Eltern. Neu sind diese Zahlen und Zustände nicht, und gerade deshalb sind sie eine Schande für die EU und ihre 500 Millionen Bürger.

Belege für eine Sogwirkung gibt es nicht

Robert Habeck, der deutsche Grünen-Chef, will, dass Deutschland jene Unbegleiteten aufnimmt, die unter unzumutbaren Bedingungen leben. Ist diese Forderung unredlich, wie CSU-Mann Seehofer meint? Nein, das ist sie nicht. Wann, wenn nicht zu Weihnachten, wenn das christliche Europa das Fest der Familie feiert, sollte man sich derer erinnern, die ohne Angehörige verloren zwischen den Welten hängen. Habeck hat eine dringend nötige Diskussion angestoßen. Hat er auch gleich die Lösung präsentiert?

Gewiss, Deutschland wäre in der Lage, ein paar Tausend Minderjährige zu versorgen. Aber abgesehen davon, dass der Vorschlag keine Aussicht auf Umsetzung hat: Es wäre politisch womöglich gar nicht so klug, pauschal alle Kinder nach Deutschland zu holen.

Nicht weil eine solche humanitäre Aktion einen Sog entfalten würde. Der wird gerne auch der Seenotrettung zugeschrieben, allein, Belege gibt es dafür bisher nicht. Politisch bedenklich wäre die Aufnahme aller Unbegleiteten, weil es in der EU den Unfrieden schüren und die Kluft zu Staaten wie Ungarn weiter vertiefen würde. Das wäre kontraproduktiv für das Ziel einer humanitären europäischen Migrationspolitik. Auf den griechischen Inseln allerdings alles so zu belassen wie es ist, wäre das endgültige Versagen Europas. Es wäre auch der fortdauernde Verstoß gegen internationale Abkommen, die den Schutz von Kindern und Familie vorschreiben. Was also tun?

Deutschland sollte den Kindern rasch helfen

Zunächst müsste die EU Griechenland helfen, das Elend zu lindern, ohne dabei wie ein Kolonialherr zu agieren; das geht mit Geld und Know-how. Sinnvoll klingt auch der Vorschlag von Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn, jenen Ländern, die partout keine Flüchtlinge aufnehmen, eine klare Ansage zu machen: Brüssel überweist euch Geld, aber nur, wenn ihr solidarisch seid und endlich den EU-Beschluss von 2015 zur Verteilung von Schutzsuchenden umsetzt.

Unabhängig davon sollte Deutschland den Insel-Kindern rasch helfen, was möglich ist, ohne die europäischen Nachbarn zu verärgern. Berlin könnte Kinder einreisen lassen, deren Angehörige bereits in Deutschland leben. Zudem sollte die Bundesregierung ihre Politik des Nein ändern: Wenn Athen bittet, Flüchtlinge zu übernehmen, lehnt Berlin meist ab; das ist politisch kurzsichtig und widerspricht dem Seehofer-Credo, Griechenland nicht alleinzulassen. Schließlich könnte der Innenminister den Kindern aus der Ägäis so helfen, wie er Schiffbrüchigen hilft: Deutschland tut sich mit anderen willigen EU-Staaten zusammen, jeder nimmt einen Teil der Kinder auf. Das wäre ein guter erster Schritt, ein europäischer.

© SZ vom 28.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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