Simple Vorhersagen:Crash-Propheten im Crash-Test

Dax-Kurve

Wann kommt denn jetzt der so oft prophezeite Crash? Die Dax-Kurve im Handelssaal in Frankfurt zittert schon.

(Foto: dpa)

Die Konjunktur schwächelt, doch eine Branche blüht auf: Crash-Propheten wie Marc Friedrich und Markus Krall werden millionenfach gelesen. Ihre steilen Thesen folgen einem Muster.

Von Harald Freiberger

Na dann frohes neues Jahr: Im dritten oder vierten Quartal 2020 werde es in der Weltwirtschaft krachen, prophezeit Markus Krall. Erst kommt nach seiner Vorhersage die Rezession, dann kippen die Banken, die Preise stürzen ab, die Notenbanken halten mit noch mehr Geld dagegen, was zu starker Inflation führt und schließlich zum Zusammenbruch des Finanzsystems.

Für Marc Friedrich kommt er spätestens 2023, der "größte Crash aller Zeiten". "Wir sind im monetären Endspiel", sagte er vor Kurzem in der Talkshow von Maybrit Illner und führte das Beispiel Simbabwe an, wo auf Geldscheinen 100 Millionen draufstehen. Es gebe einfach zu viele Indikatoren: Reiche werden immer reicher, normale Bürger schleichend enteignet, Zombieunternehmen mit niedrigen Zinsen am Leben erhalten.

Die Konjunktur schwächelt zum Jahresende in Deutschland, nur eine Branche wächst: die der Crash-Propheten, die den Untergang der Wirtschaft vorhersagen. Sie heißen Krall und Friedrich, Matthias Weik, Dirk Müller oder Max Otte. Ihre Bücher tragen Titel wie "Der größte Crash aller Zeiten", "Weltsystemcrash", "Der Draghi-Crash" oder einfach: "Der Crash ist da". In den Bestsellerlisten tauchten zuletzt drei solcher Titel unter den ersten zehn auf. Massenhaft lagen sie als Geschenke unter den Weihnachtsbäumen. Die Propheten finden Gehör. Ihre Beiträge auf Youtube werden hunderttausendfach geklickt. Sie tingeln durch Talkshows, diskutieren mit seriösen Ökonomen und hinterlassen ein nachdenkliches Publikum.

Warum ist die Crash-Literatur gerade so populär? Ist vielleicht sogar etwas dran an den Prophezeiungen vom ökonomischen Ende? Muss nicht zwangsläufig irgendwann alles zusammenbrechen, wenn Notenbanken die Probleme mit immer mehr Geld zudecken? Es ist Zeit, die Crash-Propheten einem Crash-Test zu unterziehen.

Nikolaus Braun ist Honorar-Vermögensberater in München. Er registriert gerade eine Welle der Verunsicherung bei Anlegern. Vor Weihnachten kam eine Frau zu ihm, die ihr Geld in Sicherheit bringen wollte und kurz zuvor alles in Gold und Schweizer Aktien angelegt hatte. "Es ist wieder so wie 2011 auf dem Höhepunkt der Euro-Krise", sagt Braun. Als Ursache dafür sieht er die Mischung aus politischen und wirtschaftlichen Risiken: Handelskonflikte, Brexit, Konjunkturschwäche, Negativzinsen. "Katastrophen-Szenarios fallen in diesem Klima auf fruchtbaren Boden."

"Die Diagnose ist richtig, die Schlussfolgerungen sind falsch."

Die Bücher sind alle ähnlich aufgebaut: Zunächst beschreiben die Autoren ökonomische Ungleichgewichte, die tatsächlich bestehen. Ein zentrale Rolle spielen die Geldschwemme durch die Notenbanken, die Verschuldung Italiens und die Konstruktionsfehler des Euro. Hinzu kommen die Anfälligkeit europäischer Banken, illegale Einwanderung, wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, Klimakatastrophe. Die Autoren lassen die Probleme in der Zukunft immer weiter wachsen. Daraus folgt schließlich der große Zusammenbruch. Wer die Bücher liest, fühlt sich am Ende erschlagen von solcher Zwangsläufigkeit.

"Der Haken bei der Sache ist, dass die Probleme in einem ansonsten statischen System dynamisch wachsen", sagt der Münchner Fondsmanager Andreas Beck, der sich viel mit den Untergangsszenarien beschäftigt hat. Die Autoren wählten Daten einseitig aus, überinterpretierten diese und nähmen stets an, dass Politik und Wirtschaft darauf keinen Einfluss nehmen können. Deshalb eskalieren die Probleme. "Die Diagnose ist richtig, die Schlussfolgerungen sind falsch", sagt Beck.

Die Thesen folgen einem Muster: Die EZB-Politik zerstört unseren Wohlstand, die Verschuldung zerstört die wirtschaftliche Tragfähigkeit unserer Staaten, falsche Migrationspolitik zerstört unsere liberale Gesellschaft. Immer gibt es einen Bösen, immer ist der normale Bürger das Opfer. Und dazwischen der Prophet als einsamer Rufer in der Wüste. Aber die Rettung naht: Der Crash zerstört die korrupten Eliten, danach kommt ein goldenes Zeitalter.

"Die Autoren haben weder die Kompetenz noch besondere Daten noch besondere Möglichkeiten der Interpretation, um solche Thesen aufzustellen", sagt Fondsmanager Beck. Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, warf Crash-Autor Friedrich in Illners Talkshow "Demagogie und Schwarzmalerei" vor, seine Thesen entbehrten jeder wissenschaftlichen Grundlage.

Ein Beispiel: Häufig geißeln Crash-Propheten die EZB, weil sie mit den niedrigen Zinsen "die Italiener" päpple und "den deutschen Sparer" enteigne. Sie verschweigen, wie sehr die Exportnation Deutschland vom Euro profitiert und wie unbeliebt die Notenbank in Italien ist, weil sie dem Land strenge Auflagen macht.

Anderes Beispiel: Krall geht davon aus, dass die deutschen Banken zusammenbrechen, weil 15 Prozent aller Firmen faktisch insolvent seien. Er beruft sich auf eine Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, nach der die Zahl von Zombiefirmen, die drei Jahre in Folge Verluste schreiben, binnen 20 Jahren von zwei auf 15 Prozent gestiegen ist. Die Studie berücksichtigt jedoch nur börsennotierte Nicht-Finanzunternehmen - 0,5 Prozent aller Firmen. Das KfW-Mittelstandspanel, das fast 100 Prozent aller Unternehmen betrachtet, kommt zu einem anderen Schluss: Umsatzrendite und Eigenkapitalquote sind deutlich gestiegen, die Verluste gesunken.

Manche bieten auch Fonds an, sie sind Handelsreisende in eigener Sache

Und dann gibt es noch ein Glaubwürdigkeits-Problem: Die Propheten geben Lesern Tipps, wie sie dem drohenden Crash entfliehen können. In der Regel läuft es darauf hinaus, das Geld von der Bank zu nehmen und in Sachwerte anzulegen: in Aktien, Gold, auch in Oldtimer oder Bitcoin. Müller, Friedrich/Weik und Otte verwalten auch eigene Fonds und werben für sie. Ihre Crash-Prophezeiungen sind ein Geschäftsmodell. "Sie sind Handelsreisende in eigener Sache", sagt Ali Masarwah von der Fonds-Ratingagentur Morningstar. Das stelle ihre Qualifikation als Retter der Anlegerschaft prinzipiell in Frage.

Was macht Honorarberater Nikolaus Braun, wenn ein besorgter Bürger zu ihm kommt und sein gesamtes Vermögen in Sachwerte umschichten will? "Wir weisen unsere Kunden immer darauf hin, dass sie am Kapitalmarkt irgendwann Phasen erleben werden, in denen sie Geld verlieren", sagt er. Korrekturen und auch Crashs seien in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung unvermeidbar. Niemand habe einen Mechanismus, das vorherzusehen. Aber: Solange Marktwirtschaft funktioniere, gehe es nach Einbrüchen wieder aufwärts, langfristig werde der Kunde profitieren.

Bei den Propheten klingt jedoch oft Skepsis gegenüber der Marktwirtschaft durch. Ihr Ton ist illiberal, es gibt eine Nähe zu Rechtspopulismus und Verschwörungstheorien, manchmal auch zu Nationalismus. Bei Menschen mit einem pessimistischen Weltbild finden sie damit Anklang.

Braun hat viele Leute erlebt, die "sich aus Angst vor dem Crash große Löcher ins Vermögen gerissen haben". Sie setzten auf Gold oder sinkende Aktienkurse und verpassten den Börsenboom, der seit zehn Jahren anhält. Wer an den Untergang glaubt, vergisst leicht das oberste Prinzip bei der Geldanlage: das Vermögen auf viele Anlageklassen und Regionen zu verteilen.

Die Propheten formulieren gern in Superlativen. "Die Zinsen werden nie wieder steigen", sagen Friedrich und Weik. Seit 2008 gebe es "eine historische Zeitenwende und zwar die größte seit 100 Jahren". Honorarberater Braun findet solche Sätze geradezu obszön: "Wissen die denn nicht, was in den 1940er-Jahren in Deutschland los war?"

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