Silvesterkrawalle:Die verwundete Stadt

Nach den Angriffen auf einen Polizisten in Leipzig-Connewitz ermitteln die Behörden wegen versuchten Mordes in der linksextremen Szene. Derweil streiten sich Politiker über die Ursachen und Konsequenzen des Gewaltausbruchs in der Silvesternacht.

Von Cornelius Pollmer, Leipzig

Silvesterkrawalle: Straßenkampf in Leipzig: Bei Zusammenstößen von Polizei und Demonstranten aus der autonomen Szene in der Silvesternacht wurde ein Beamter schwer verletzt.

Straßenkampf in Leipzig: Bei Zusammenstößen von Polizei und Demonstranten aus der autonomen Szene in der Silvesternacht wurde ein Beamter schwer verletzt.

(Foto: Sebastian Willnow/dpa)

Der Angriff auf einen Polizisten in der Silvesternacht in Leipzig hat großes Entsetzen und erste Forderungen nach politischen Konsequenzen hervorgerufen. Viele öffentliche Reaktionen am Donnerstag galten vor allem dem verletzten Beamten und der gegen ihn ausgeübten Gewalt. Die Tat zeige, dass menschenverachtende Gewalt auch von Linksextremisten ausgehe, teilte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit. Ein starker Staat sei nur mit starken Polizei- und Einsatzkräften möglich. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) sagte, die Straftaten seien "mit aller Härte des Rechtsstaates" zu verfolgen. Die Bundesvorsitzende der SPD, Saskia Esken, schrieb bei Twitter, "diese Eskalation der Gewalt ist durch nichts zu rechtfertigen." Cathleen Martin, Sachsen-Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, sagte, sie sehe die Stadt Leipzig und den Freistaat in der Pflicht, stärker gegen linksextreme Gewalttäter vorzugehen.

Die Polizei teilte mit, vor der Attacke sei dem Beamten der Helm vom Kopf gerissen worden

In der Silvesternacht war im Leipziger Stadtteil Connewitz ein Polizist schwer verletzt worden. Mehrere Menschen hatten laut Angaben der Polizei Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper auf Einsatzkräfte geworfen. Die Polizei hatte zudem erklärt, dem 38-jährigen Beamten sei vor der Attacke der Helm vom Kopf gerissen worden. Er habe nach dem Angriff das Bewusstsein verloren und im Krankenhaus notoperiert werden müssen. Wie Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstag mitteilten, schwebe der Beamte aber nicht in Lebensgefahr.

Augenzeugen aus dem linken Spektrum wiederum hatten bereits im Verlauf des Silvestertages von einem offensiven und teils konfusen Agieren der Polizei berichtet. So seien auch an den Krawallen Unbeteiligte von Beamten überrannt oder in anderer Weise in Mitleidenschaft gezogen worden. Darüber hinaus hatte es Kritik am Kommunikationsverhalten der Polizei gegeben und konkret den Vorwurf, diese stelle das Einsatzgeschehen über eigene digitale Kanäle einseitig und verkürzt dar.

Auch die Linkspartei und speziell ihre sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel wurden kritisiert. Nagel, die im Leipziger Süden das landesweit einzige Direktmandat für die Linke hält, hatte auf Twitter in der Silvesternacht unter anderem von "ekelhafter Polizeigewalt" geschrieben. Am Donnerstag sagte sie der Deutschen Presse-Agentur, sie habe sich damit wohl unglücklich geäußert. Zudem forderte sie erneut deeskalierende Strategien der Polizei. Die beiden Landesvorsitzenden der Linken kritisierten derweil die Angriffe aus der Silvesternacht.

Indes dauern die Ermittlungen des Polizeilichen Extremismus- und Terrorismus-Abwehrzentrums (PTAZ) Sachsen wegen versuchten Mordes an. Zehn Menschen waren nach Angaben der Staatsanwaltschaft nach der Silvesternacht festgenommen worden, darunter zwei Frauen. Wie Sprecher Ricardo Schulz sagte, werde den meisten von ihnen vorgeworfen, Polizisten tätlich angegriffen zu haben. Nach bisherigen Erkenntnissen bestehe allerdings kein Zusammenhang zwischen den Festgenommenen und dem "massiven Angriff" auf den schwer verletzten Polizisten.

Im linksalternativ geprägten Stadtteil Connewitz kommt es häufiger zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Überhaupt sei Leipzig deutschlandweit eine Hochburg linksextremistischer Straftäter, sagte Tom Bernhardt, Sprecher des Landeskriminalamts (LKA) Sachsen am Donnerstag. Von Farbattacken auf Polizeiposten bis zu Angriffen durch vermummte Personen sind zahlreiche Gewalttaten dokumentiert. Sie nehmen laut LKA zu. Im ersten Halbjahr 2018 seien in Sachsen 361 politisch motivierte Straftaten registriert worden seien, in der ersten Hälfte 2019 bereits 600. Allein in Leipzig zählten die Ermittler dabei im vergangenen Jahr 357 politisch links motivierte Straftaten, das waren 135 mehr als im Vorjahr.

SPD-Oberbürgermeister Jung soll schuld sein, dass Leipzig zum Hotspot der Linksextremen wurde

Aus der linken Szene wiederum wird immer wieder aggressives Vorgehen der Polizei beklagt oder auch eine stationäre polizeiliche Videoüberwachung. Der einschlägige Ruf von Connewitz hatte zuletzt auch noch dazu geführt, dass sehr rechte Menschen wie der frühere AfD-Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg, in der Hoffnung auf Gegenprotest und entsprechende mediale Aufmerksamkeit dort demonstrieren gehen wollten.

Politisch dürfte auch das Geschehen der Silvesternacht noch von Bedeutung sein oder gar instrumentalisiert werden. Für den 2. Februar ist der erste Wahlgang der Wahl zum Leipziger Oberbürgermeister angesetzt. Für die SPD tritt dabei erneut der amtierende OB Burkhard Jung an. Ein wesentlicher Konkurrent Jungs ist der CDU-Landesminister Sebastian Gemkow, der zuletzt fünf Jahre lang das Justizressort verantwortet hatte. Nach dem Angriff in der Silvesternacht forderte nun der CDU-Kreisverband bereits Konsequenzen von Oberbürgermeister Jung. Dieser habe es zugelassen, dass Leipzig zu einem Hotspot der Linksextremen geworden sei. Unterdessen verurteilte Jung seinerseits den "heftigen kriminellen Gewaltausbruch".

Ungewiss ist, ob und wie sich der Vorfall in Leipzig auf die neue schwarz-rot-grüne Landesregierung auswirken wird. Mit dem neuen Jahr ist in Sachsen ein neues Polizeigesetz in Kraft getreten, das auch deswegen umstritten ist, weil es erweiterte Befugnisse der Polizei etabliert. Die Fraktionen von Linke und Grünen hatten das Gesetz zuvor kritisiert und ein Normenkontrollverfahren beantragt.

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