Durchstarter des Jahres:Potz Blitz

Von diesen jungen Künstlerinnen und Künstlern aus Bayern wird 2020 noch viel zu hören sein: Sie sind Stipendiaten der Studienstiftung des deutschen Volkes, sie gewinnen internationale Preise und überzeugen SZ-Kritiker mit Sinn, Herz und Verstand

Mehmet & Kazim

Flash

Schon mit ihren ersten Arbeiten in weiß und Rot (hier "Flash" von 2018) zeigten Mehmet & Kazim, was Sache ist.

(Foto: Mehmet & Kazim)

Weiß und rot sind ihre Farben. Farben, die sie auf ganz persönliche Art und Weise schon ein Leben lang begleiten, die sie aber erst vor einigen Jahren zu ihrem Markenzeichen gemacht haben. Denn die auch als "Kissin Cousins" bekannten Künstler Mehmet & Kazim tragen die Farben in ihrem türkischen Familiennamen Akal. Der setzt sich aus den Wörtern ak für weiß und al für rot zusammen. Und egal ob sie dieses Weiß und Rot (und ja nicht umgekehrt!) mit sattem Pinselstrich in Öl auf Leinwand malen, flott in Aquarell auf Papier skizzieren oder aufwendig als Stoffelement auf ein Bild nähen, immer ist da diese Kraft im Gestus und dieser Witz in der Umsetzung der Thematik. Wobei sich die beiden gern gehörig auf die Schippe nehmen.

Ihre künstlerische Arbeit nahm zunächst völlig unabhängig voneinander ihren Ausgang in der Graffitiszene. Da hatte der 1981 geborene Kazim (rechts im Bild) - übrigens der Zwillingsbruder des Autors und Regisseurs Emre Akal, für dessen "Ayse X Staatstheater" die beiden im Sommer die Ausstattung übernommen hatten - seinen Weg vom Breakdance über Graffiti hin zum Kommunikationsdesign gefunden. Als Kazim sich dann der Kunst zuwandte und sich bei Markus Oehlen an der Akademie bewarb, waren er und sein zehn Jahre jüngerer Cousin Mehmet im künstlerischen Streben schon so sehr ein Herz und eine Seele, dass man ihnen schlicht empfahl, sich doch gemeinsam zu bewerben.

Durchstarter des Jahres: Die Maler.

Die Maler.

(Foto: oh)

Anfang 2019 haben die beiden ihr Diplom gemacht, haben kurz darauf bei der Debütantenausstellung im Haus der Kunst für Aufsehen gesorgt und wurden mit dem Preis des Akademievereins ausgezeichnet. Neben Präsentationen in Kunstvereinen in Ebersberg und Marburg arbeiteten sie in den folgenden Monaten mit den Münchner Modemachern Talbot-Runhof zusammen, veröffentlichten ihre Publikation "Oriental Diary", schufen für "Denkraum Deutschland" in der Pinakothek der Moderne eine Wandarbeit und produzierten für "Zimmer frei" im Hotel Mariandl ein kleines filmisches Meisterwerk. Zudem erhielten Mehmet und Kazim eine Projektförderung der Erwin und Gisela von Steiner-Stiftung sowie der LVA Förderbank und wurden darüber hinaus mit einem Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes ausgezeichnet. So erfolgreich das Jahr 2019 schon für die beiden Studienabgänger war, deren Arbeiten tatsächlich immer in Gemeinschaftsarbeit entstehen - so wie es aussieht, wird 2020 noch erfolgreicher. Evelyn Vogel

Das Ding ausm Sumpf

Durchstarter des Jahres: Der Rapper.

Der Rapper.

(Foto: Marek Beier)

Auch wenn er auf der Bühne einen XXL-Pulli trägt, den man offensichtlich aus einem Verkehrsspielteppich für Kinder geschneidert hat. Auch wenn ihm mal ein Slang-Wort herausrutscht: "Kränk!" Auch wenn er unter einem albernen Pseudonym auftritt, und das knietief schleichend und mit den Händen fuchtelnd wie ein Polizist an einer ausgefallenen Ampel: Das Ding ausm Sumpf (kurz Das DAS) ist ein Zeichen gegen die Infantilisierung der Popmusik. Also, nicht falsch verstehen, sollen sie ruhig machen, die heranwachsenden Hip-Hopper, sollen sie rumleiern wie von Hustensaft berauscht, sollen sie Modern Talking-Oldies sampeln und von einer Karriere als Clan-Chef oder Kosmetik-Influencer träumen, sollen sie in ihren Texten die Wahrheit gepachtet haben und statt Journalisten nur gefällige Blogger von ihren Konzerten berichten lassen - Privileg der hormonsprudelnden Jugend. Aber wie angenehm sind da die reiferen Rapper von Fatoni bis Fanta 4, von Mine bis Materia. Oder eben Stefan Mühlbauer, 36. Selfmade-Hip-Hopper auf dem zweiten oder dritten Bildungsweg. Er hatte schon mal Operngesang studiert, weil er ein lautstärkerer Rapper werden wollte. Dann promovierte er mit Auszeichnung als Volkswirt, wurde Aufsichtsratschef im elterlichen Maschinenbauunternehmen. Das reicht dem Ding in ihm aber nicht. Vor einem Jahr setzte er alles auf die Musik, kam in den bayerischen Pop-Elite-Förderpool "By.On". Er könnte das Ding im Dickicht der Dichter und Denker werden, ein Hip-Hopper für Feingeister, die eigentlich keinen Hip-Hop hören außer den hyperaktiven Käptn Peng. Den unterstützte Das DAS schon auf der Bühne. Im März erscheint das Album "Kränk": reflektiert bis rabaukig, ein dickes Ding, das! "Sie sagen, ich sei verrückt / Gebe alles auf für ein paar Fans und Klicks", rappt der Sumpf-Sänger darauf und stemmt sich auch sonst gegen die Annahme, in seinem Alter müsse man einen Gang zurückschalten. Das jetzt schon veröffentlichte Stück "Genau du" verspricht viel, auch wenn im tendenziell verstörenden Video in einem Supermarkt bestrapste Pudel hinter der Wursttheke zu Cloud-Beats und Blasmusik-Groove tanzen und Das Ding in einem Reifrock mit Einhornmaske umhergeistert. Wie bei einer Pubertierenden-Party auf Ecstasy (nimmt das noch wer?) - Privileg derer, sich von der Jugend nicht einschüchtern lassen. Michael Zirnstein

Dana von Suffrin

Dana von Suffrin

Die Schriftstellerin und Historikerin Dana von Suffrin.

(Foto: Verlag Kiepenheuer & Witsch)

Wenn dieser Vater seinen Willen durchsetzen will, tarnt er ihn als "schöne Bitte". Was heißt: Er bittet, dann bittet er noch einmal, schließlich klagt er in wehleidigem Ton darüber, dass er doch so schön gebeten habe und seine Töchter diese Bitte, die ja eigentlich eher ein Befehl war, einfach ignoriert hätten. "Otto", titelgebende Hauptfigur in Dana von Suffrins Debütroman, ist wahrlich kein einfacher Vater. Doch für eine seiner schönen Bitten kann man dem jüdischen Patriarchen aus Siebenbürgen wirklich dankbar sein: So lange hat er seine Töchter aufgefordert, ein Buch über die Familie zu schreiben, bis eine von ihnen es tatsächlich getan hat. Es hat sich als Glücksfall erwiesen.

Das literarische Debüt der 1985 in München geborenen Wissenschaftshistorikerin erschien im Sommer bei Kiepenheuer & Witsch und überzeugte Kritiker wie Juroren: Bereits im September erhielt Dana von Suffrin den Hamburger Klaus-Michael-Kühne-Preis für den besten Debütroman des Jahres. Nun folgen zwei weitere Ehrungen: Am 17. Januar wird die Autorin den Debütpreis des Buddenbrookhauses in Lübeck entgegennehmen, am 30. Januar den Ernst-Hoferichter-Preis in München. Dessen Vorgabe, ein Werk müsse im Sinne Hoferichters "Originalität mit Weltoffenheit und Humor" verbinden, erfüllt "Otto" spielend. Abgehoben ist die mehrfache Preisträgerin dennoch nicht. Ihr Erfolg habe sie vielmehr "sehr gewundert", ihr Leben habe sich sonst nicht sehr verändert, sagt sie sogar am Telefon fröhlich zugewandt wirkend, sie sitze nur "voll viel im Zug". Sie fährt zu Lesungen - beim Münchner Wortspiele-Festival im März allerdings reicht zur Abwechslung die U-Bahn. Sie führt Gespräche über eine geplante Verfilmung ihres Buchs, schreibt an einem zweiten Roman, was ja nie ganz einfach ist, und möchte noch etwas "komplett Anderes" schreiben: "Das fällt einem nicht vor die Füße."

Und noch was komplett Anderes wagt sie derzeit: Zusammen mit zwei Freunden schreibt sie an einem Drehbuch, einer München-Serie im Stil von "Kir Royal"; Helmut Dietl ist "unser großes Vorbild". Die Hauptfigur sei ein Erbe mit viel Zeit, der vom Biss-Verkäufer bis zur Hoch-Aristokratie alle möglichen Menschen kennenlerne, "immer auf der Suche nach Bedeutung". Jetzt würde man sich gern hinter einem strengen Vater verstecken und eine schöne Bitte formulieren: diese Idee trotz aller Ablenkungen2020 doch bitte nicht aus den Augen zu verlieren. Antje Weber

Sebastian Myrus

Durchstarter des Jahres: Der Sänger.

Der Sänger.

(Foto: C.A.Hellhake)

Irritierend im reichen Musikleben dieser Stadt ist, dass es Alte Musik hier nicht leicht hat. Irritierend deshalb, weil, man erinnert sich noch gut, hier viele Jahre lang sehr viele Menschen völlig enthusiasmiert in die Staatsoper rannten, als dort gefühlt alle Opern gespielt wurden, die Händel je komponiert hat. Aber Barock- oder noch ältere Musik tut sich hier, außer Weihnachtsoratorien und Passionen, schwer. Davon können so wunderbar Verrückte wie Ralf Jaensch, der seit Jahren Residenzwochen-Konzerte kuratiert, ganze Arien singen.

Nun fand der Münchner Bariton Sebastian Myrus, dass dies keineswegs so bleiben muss. Es gab eine Zeit, da studierte er noch an der Musikhochschule und war als Charakterdarsteller aus praktisch keiner Opernproduktion der Theaterakademie wegzudenken. Später wandte er sich immer stärker der Alten Musik zu, arbeitete mit dem Collegium Vocale Gent, dem Ensemble Correspondance, dem Freiburger Barockorchester oder der Akademie für Alte Musik Berlin zusammen. Mit Johanna Soller, als Dirigentin, Cembalistin, Organistin eine ähnliche Koryphäe wie er im Gesang, ruft Myrus nun eine Reihe ins Leben, die in kontinuierlicher Auseinandersetzung mit Bachs Kantatenwerk dieses nicht nur selbst zur Aufführung bringt, sondern auch mit Werken von Bachs Zeitgenossen korrespondieren lässt. Das Ganze ist hochgradig historisch informiert und wird von Barockspezialisten aufgeführt, die mit Leichtigkeit ungeheuren Spaß an Alter Musik vermitteln können. Soller, Organistin von St. Peter, Myrus, die Solles Capella Sollertia und namhafte Solisten geben nun einmal im Monat ein solches Konzert, immer an einem Sonntag, immer um 17.15 Uhr (weil Bach seinen ersten Kirchenkantatenzyklus 1715 vollendete), immer in St. Stephan am Alten Südfriedhof. Das erste am 12. Januar. Also: Es gibt Hoffnung für die Alte Musik in München. Egbert Tholl

Marinus Hohmann

Durchstarter des Jahres: Der Schauspieler.

Der Schauspieler.

(Foto: Privat)

Als Marinus Hohmann einen Platz im Wunderauto "Tschitti Tschitti Bäng Bäng" ergatterte, war er gerade mal elf Jahre alt: Beim Casting hatte er ein Lied und eine Tanzchoreografie zu zeigen, mit denen er Gärtnerplatztheater-Intendant Josef Köpplinger auf Anhieb überzeugte. Der Schüler aus Bad Aibling erhielt die Kinderhauptrolle des Jeremy Potts. Einige Monate später stahl er im Deutschen Theater, bei der Premiere des Musicals gemeinsam mit seiner "Schwester" Amelie Spielmann "allen erwachsenen Darstellern die Show", befand Musical-Reviews. "Bewundernswert professionell" bewältigten die beiden ihre sehr schauspiel- und textintensiven Rollen, dazu sängen sie "bombensicher".

Heute, einige Tage vor seinem 16. Geburtstag, hat Marinus gerade seine jüngste Premiere erlebt: An Weihnachten kam der Film "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" von Oscar-Preisträgerin Caroline Link in die Kinos. In dem Film spielt er den Sohn eines Theaterkritikers, der mit seiner Familie aus Nazideutschland fliehen muss. Wieder hat er eine jüngere Schwester, den Part des mal genervten, mal fürsorglichen großen Bruders meistert er beeindruckend. In den Jahren dazwischen gab es Rollen wie den Julian in dem neuen "Fünf Freunde"-Film oder den Basti, Filmsohn von Florian David Fitz in der Flüchtlingskomödie "Willkommen bei den Hartmanns".

Er fand aber auch die Zeit, mit seinem Klavierspiel zweimal den ersten Platz bei "Jugend musiziert" zu gewinnen. 2020 kommt ein Fernsehfilm mit ihm heraus, in dem der inzwischen hoch aufgeschossene Schüler wieder in einem Auto sitzt. Dieses Mal allerdings in einem alten Van und neben Jürgen Prochnow. Er spielt einen jugendlichen Ausreißer, der ebenso wie der Rentner Prochnow seiner Familie zu entkommen sucht. Die weitere Reise des einstigen großen Bruders verspricht spannend zu werden. Barbara Hordych

Hannah Weiss

Durchstarter des Jahres: Die Jazzerin.

Die Jazzerin.

(Foto: Ralf Dombrowski)

Pausen sind die eigentliche Herausforderung. Sie bestimmen die Textur eines Songs und machen aus der Oberflächenspannung eine Dramaturgie, die die Aufmerksamkeit lenkt. Große Sängerinnen und Sänger wissen um die besondere Bedeutung der Momente, wenn die Musik innehält. Es ist oft mehr Gespür als tatsächlich Berechnung, eine Begabung, ähnlich der Fähigkeit, eine Phrasierung in flirrender Unschärfe zu belassen, damit aus einer Gestaltungsidee eine Geschichte wird. Hannah Weiss kann das. Ihre Lieder atmen. Sie sind die Fortsetzung einer Persönlichkeit mit den Mitteln des Klangs, die viele Optionen der Biografie zu einem künstlerischen Statement verdichten. Zum Beispiel die familiären Voraussetzungen, die die Liebe zur Musik haben wachsen lassen.

Da gab es eine Konzertpianistin als Urgroßmutter, die Mutter führte Opernregie, der Vater der Stiefmutter war Jazztrompeter. Klassische Musik, Jazz, Pop gehörten zum Alltag in Kinderzeiten, das musische Gymnasium unterstützte die Begabungen der Teenagerin, die neben Schlagzeug, Flöte, Klavier auch Chorgesang lernte und schließlich Einzelgesangsstunden bekam. Geboren in Wuppertal, aufgewachsen in Zürich führte sie das Studium nach München in die Klassen von Anne Czichowsky und Sanni Orasmaa, vor allem aber in die Gesellschaft Gleichgesinnter, die die Community rund um die Hochschule zu einem derzeit sehr agilen Talentpool haben werden lassen, in dessen Netzwerk sich Hannah Weiss eingliederte. Und so ging es zügig voran, hin zu begeisterten Dozenten, eigenen Bands, schließlich im Herbst 2019 zum BMW Welt Young Artist Award, der ihr Talent einer größeren Kulturöffentlichkeit vorstellte.

Natürlich ist noch Luft nach oben, als Komponistin, Bandleaderin sowohl im Jazz wie auch in Folk, Pop und Stilverwandtem. Die Chancen für Entwicklung aber stehen gut, denn Hannah Weiss hat dieses Charisma des künstlerisch Unbedingten. Demnächst jedenfalls moderiert sie dann auch die Veranstaltungen des BMW Welt Jazz Awards. Eigene Konzerte und ein Album werden folgen. Ralf Dombrowski

Janna Ji Wonders

Durchstarter des Jahres: Die Filmemacherin.

Die Filmemacherin.

(Foto: Anna Werner)

Nomen est omen. Eine junge Frau, die die Wunder schon im Namen trägt, hat allemal das Zeug dazu, die Welt in Erstaunen zu versetzen - mit weit aufgerissenen Augen, im Idealfall - zumal Janna Ji Wonders dies als Filmemacherin tun will. Sie studierte an der HFF, hat ihre eigene Band Ya-Ha! und mit früheren Dokus wie "Bling Bling" schon auf Festivals Preise gewonnen. Darin widmete sie sich L.A.s Gangster-Rap-Szene oder Moskauer Punks. Doch weil sich hinter Wonders weit mehr verbirgt als der bloße Zufall, einen amerikanischen Vater zu haben, widmete sie sich nun ihrer eigenen Familiengeschichte.

Bestimmt ist diese weniger von den Vätern als von den Müttern, und sie handelt auch weniger in den USA, als am Walchensee. Dort nimmt ihre Geschichte vor 100 Jahren ihren Ausgang und dorthin führt sie die Protagonistinnen von "Walchensee forever" immer wieder zurück. Wenn sie als Musikerinnen ausgeflogen sind nach Mexiko etwa, nach San Francisco zum "Summer of Love", in indische Ashrams. Oder in den Harem von Rainer Langhans, wie Jannas Mutter. Es steckt eben viel in dieser Frauengenerationsgeschichte, auch an deutscher Historie. Und es macht Janna Ji Wonders' persönliches Potenzial aus, sich nicht auf einen Aspekt zu beschränken. Sie wagt es, in der Fülle zu baden wie in einem See, dem Walchensee, den sie "Schutzraum und Gefängnis zugleich" nennt. Susanne Hermanski

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