Arzneien:Medikamentenengpässe in Dachau: Apotheker schlagen Alarm

Medikamentendepot im Gada Bergkirchen

Die Apothekergenossenschaft Noweda beliefert Apotheken von ihrem Logistikstandort im Gewerbegebiet Gada bei Bergkirchen mit Medikamenten. Das Unternehmen hat in Deutschland 20 Niederlassungen.

(Foto: Noweda)

Medikamentenengpässe machen Apothekern und ihren Kunden im Landkreis Dachau zu schaffen. Oft fehlen dringend benötigte Arzneimittel.

Von Andreas Förster, Dachau

Ralf Steinert von der Rats-Apotheke in Dachau hat - wie alle Apotheker im Landkreis - in der kalten Jahreszeit alle Hände voll zu tun. Trotzdem muss er regelmäßig einen Teil seiner Kunden vertrösten: "Tut mir leid, das Medikament ist zurzeit nicht verfügbar." Diesen Satz muss Steinert derzeit öfter sagen. Das Problem ist nicht neu, aber die Dimension nimmt zu.

"Wir haben zwei Diabetologen um die Ecke, aber das, was sie verschreiben, haben wir nicht mehr oder nicht in ausreichender Menge auf Lager", bedauert er. Wenn also ein Diabetes-Patient Metformin brauche, könne es sein, dass er es nicht sofort bekomme. Dasselbe gelte, so Steinert, für den Blutdrucksenker Candesartan oder das Antidepressivum Venlafaxin. Alle Apotheken im Landkreis sind von Medikamentenmangel betroffen, ihnen fehlen Antibiotika und Zytostatika für Krebspatienten oder Schmerzmittel wie Ibuprofen sowie diverse Impfstoffe.

274 Lieferengpässe

Das bestätigt auch Max Lernbecher, der Sprecher der Apotheken im Landkreis Dachau: "Der wichtigste Masernimpfstoff, Priorix Tetra, oder Gardasil gegen Gebärmutterhalskrebs sind seit Monaten nur unzureichend lieferbar." Diverse Antidepressiva oder Schilddrüsenarzneien seien zudem nicht austauschbar. "Die Patienten sind auf bestimmte Wirkstoffe eingestellt", betont Lernbecher. "Fällt der Wirkstoff aus, können die Hersteller nicht liefern."

Aktuell sind 274 Lieferengpässe beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn gemeldet. Mit der Folge, dass Apotheker und Ärzte verzweifelt versuchen, für Alternativen zu sorgen. Und Patienten teilweise deutlich höhere Zuzahlungen leisten müssen.

Arzneien: Schlägt Alarm: Der Dachauer Apotheker Ralf Steinert muss seine Kunden derzeit oft vertrösten.

Schlägt Alarm: Der Dachauer Apotheker Ralf Steinert muss seine Kunden derzeit oft vertrösten.

(Foto: Toni Heigl)

Wenn die Patienten Glück haben, gibt es ein ähnliches Generikum mit demselben Wirkstoff, aber von einem anderen Hersteller oder mit anderen Zusatzstoffen. "Dann muss man möglicherweise nur mit ungewohnten Nebenwirkungen rechnen", sagt Apotheker Steinert. Eine Ursache seien die Rabattverträge, welche die Kassen mit den Pharmaunternehmen schließen, um ihre Ausgaben zu senken. Die Apotheke ist demnach verpflichtet, rabattierte Medikamente vorrangig abzugeben. Nur in begründeten Einzelfällen darf der Arzt den Austausch der Medikamente in der Apotheke ausschließen. Hinzu kommt: "Die Arzneien werden zwar in Deutschland entwickelt, aber in Billiglohnländern produziert", sagt Steinert. Also in Indien, Afghanistan, Syrien, China. Da seien Kontrollen oft weniger streng. "Wenn eine Charge verunreinigt und damit unbrauchbar ist, betrifft das alle Firmen, die dort bestellen. Oft fällt es erst bei der Qualitätskontrolle in Deutschland auf." Generell wünscht sich Steinert von der Politik eine Steuerung, "dass die Pharmaunternehmen da, wo sie verkaufen wollen, auch produzieren." Das müsse nicht Deutschland sein, aber Europa wäre schon mal ganz gut. Gerade, was die Qualitätskontrolle betreffe, seien die Apotheken hierzulande oft überfordert. "Wir haben den Schwarzen Peter, falls etwas durchrutscht", sagt Steinert.

Der zweite Hauptgrund für die Engpässe seien die globalen Verflechtungen der Pharmafirmen, die weltweit ihre Produkte verkaufen und am liebsten dorthin, wo sie am meisten Geld verdienen. "Das war früher mal Deutschland, wir waren mal die Apotheke der Welt", weiß auch Gregor Schenk, Apotheken-Filialleiter in Petershausen. "Arzneien kosten mittlerweile fast überall mehr als bei uns, deshalb schicken die Hersteller einen Großteil ihrer Arzneien nach England, Frankreich, Italien oder Griechenland, wo sie auch weniger Steuern bezahlen müssen." Seine Empfehlung für die Patienten im Landkreis: "Rechtzeitig um Medikamente kümmern." Also nicht erst, wenn die Packung bereits leer ist, sondern schon weit vorher. Von der Politik fordert er, die Rahmenbedingungen für die Herstellung zu verändern und die Ausschreibung der Rabattverträge anzupassen. Darauf hofft auch Lernbecher, dem drei Apotheken im Landkreis gehören. "Es dürfen nicht nur einzelne wenige Firmen bedacht werden und nicht nur die billigsten Hersteller, das muss breiter gefächert werden." Und soll, da sind sich alle Apotheker einig, möglichst das Gesundheitssystem nicht stärker belasten.

"Die Kassen sparen mit den Rabattverträgen 4,5 Milliarden Euro"

Steinert sieht jedoch genau da längst ein Problem: "Die Kassen sparen zwar mit den Rabattverträgen 4,5 Milliarden Euro, aber sie sehen nicht, dass viele Patienten, gerade ältere Personen, die ihre Arznei nicht bekommen, an die sie gewöhnt sind, in der Folge häufig im Krankenhaus landen." Und da koste ein Tag Aufenthalt die Kassen 1000 Euro am Tag, während es bei Tabletten meistens nur um Cent-Beträge gehe.

Bernhard Seidenath, gesundheitspolitischer Sprecher der CSU-Landtagsfraktion, hat nun die Staatsregierung aufgefordert, sich schnellstmöglich auf Bundes- und insbesondere europäischer Ebene für Maßnahmen zur Sicherstellung der Arzneimittelversorgung einzusetzen, um die Produktion von Arzneimitteln und ihrer wesentlichen Wirkstoffe nach Deutschland oder in benachbarte EU-Länder zurück zu verlagern. Gründe für Lieferengpässe von Arzneimitteln sollen im Rahmen einer Expertenanhörung im Gesundheits- und Pflegeausschuss erörtert werden.

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