Schwabing:Die Vorleserin

Schwabing: Bei ihnen stimmt die Chemie: Demenzhelferin Erika Schneider (rechts) und Walter Adam Stock.

Bei ihnen stimmt die Chemie: Demenzhelferin Erika Schneider (rechts) und Walter Adam Stock.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Erika Schneider gehört zu den Ehrenamtlichen, die Menschen mit Demenz für ein paar Stunden pro Woche Freizeitaktivitäten ermöglichen - und so deren Angehörige entlasten.

Von Ellen Draxel, Schwabing

Erika Schneider und Walter Adam Stock sitzen gemütlich in Stocks Küche nebeneinander auf der Eckbank. Sie debattieren - über Andrew Sean Greers Roman "Die erstaunliche Geschichte des Max Tivoli". Das tun sie öfter - sowohl die frühere Verlags-Geschäftsführerin als auch der ehemalige Antiquitätenhändler sind Büchernarren. Die Lektüre genießen sie gemeinsam. Konkret heißt das: Schneider liest vor, Stock gibt seine Kommentare ab. "Zwischen uns passt es einfach, wir haben viel Spaß, sagen uns aber auch mal die Meinung", sagt die vierfache Mutter und lacht.

Erika Schneider ist fast 80, nur zwei Jahre jünger als der Schwabinger, den sie zwei bis drei Stunden pro Woche besucht. Was auf den ersten Blick nicht zu sehen ist: Der energische, charmant-selbstbewusste ältere Herr leidet an Demenz. Und Schneider als ausgebildete Demenzhelferin schenkt ihm und sich regelmäßig gemeinsames Erleben. "Wir gehen oft spazieren oder ins Café, letztens waren wir zusammen im Kino", erzählt die Obermenzingerin. Im Sommer durchstreiften die beiden den Englischen Garten, anfangs noch mit dem Rad, später nahmen sie den Bus, weil Stock sich nicht mehr erinnern konnte, wo er sein Fahrrad zuletzt abgestellt hatte. "Es ist so schön, im Alter noch etwas Sinnvolles tun zu können", sagt Schneider. Sie hat erst mit 72 Jahren aufgehört zu arbeiten, und weil es ihr immer gut ging im Leben, will sie nun etwas von dem Glück, das sie selbst hatte, zurückgeben.

Dass Erika Schneider viel Erfahrung in der Begleitung von Menschen mit Demenz hat, weiß auch Anke Steinkohl. Die Diplompädagogin betreut die Fachstelle für pflegende Angehörige beim Paritätischen Wohlfahrtsverband mit Sitz in Schwabing. Sie bekommt Anfragen von Angehörigen wie die von Stocks Tochter Katharina, die sich vergangenen Sommer bei der 46-Jährigen meldete - nachdem das Gedächtnis ihres Vaters nach einem Schlaganfall immer mehr Lücken bekommen hatte. Katharina Stock arbeitet Vollzeit. Trotzdem besucht sie ihren Vater mehrmals in der Woche, telefoniert täglich mittags und abends mit ihm, managt seine Termine und den Papierkram. Sie kann aber nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Deshalb suchte sie jemanden, der wieder etwas mit ihrem Vater unternimmt - Aktivitäten, die ihm Spaß machen, die ihn aus seiner gefühlten Isolation herausholen.

"Wir haben viele solcher Anfragen, manchmal erreichen uns gleich zwei an einem Tag", sagt Steinkohl. Oft von Menschen, die ihre an Demenz erkrankten Eltern oder Partner selbst versorgen - und froh wären, wenn sie mal für zwei Stunden eine Auszeit erhielten. Doch leider gibt es nicht genug Demenzhelfer. "Momentan haben wir 19 Ehrenamtliche, die für uns gegen eine steuerfreie Aufwandsentschädigung von 7,70 Euro pro Stunde, finanzierbar über die Pflegekasse, diese schöne Aufgabe übernehmen." Wenn sich noch mehr Engagierte wie Erika Schneider fänden, Steinkohl würde es freuen. Demenzbegleiter sind geschulte Kräfte: Sie haben eine Ausbildung über 40 mal 45 Minuten genossen, haben dabei den richtigen Umgang mit demenziell erkrankten Menschen gelernt und Tipps bekommen, wie sie diese Menschen fördern und ihnen Freude bereiten können. Sich um den Haushalt zu kümmern, gehört explizit nicht zu ihrem Job. Der Paritätische erstattet die Ausbildungskosten zum Demenzbegleiter - sofern die Helfer anschließend beim Verband aktiv werden. Für die Helfer ist Koordinatorin Steinkohl jederzeit erreichbar, "sie kümmert sich, ist immer da, wenn man sie braucht - wunderbar", lobt Schneider.

Anke Steinkohl unterstützt aber nicht nur bei der Demenzbegleitung, sie und ihre Kollegin Petra Winter informieren und beraten generell rund um die Themen Alter und Pflege. Sie helfen beim Aufbau eines individuellen Versorgungsnetzes und installieren passgenaue Hilfs- und Entlastungsangebote - kostenlos. In München gibt es mehrere solche Fachstellen, der Paritätische Wohlfahrtsverband ist außer für Schwabing noch für die Stadtteile Allach-Untermenzing, Moosach, Milbertshofen, Maxvorstadt und Bogenhausen zuständig.

Kraft tanken

Vertraute Menschen zu Hause zu versorgen kostet viel Kraft. Die Fachstellen für pflegende Angehörige des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, zuständig für die Stadt und den Landkreis München, haben deshalb für kommendes Jahr erstmals eine Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, die Angehörigen dabei helfen soll, leere Batterien wieder aufzuladen und zu lernen, bei aller Fürsorge um andere auch sich selbst nicht ganz zu vergessen. Die Teilnahme an den Vorträgen und Events ist kostenlos, lediglich Speisen und Getränke sind selbst zu bezahlen.

Auftakt zu der Reihe ist am Dienstag, 4. Februar, ein Workshop zur Stressbewältigung mit Tatjana Reichhart von 10 bis 14 Uhr im Seminarraum von Kitchen2Soul an der Hirschbergstraße 9. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie verrät, wie man sich als Angehöriger trotz der vielen Anforderungen und Verpflichtungen, die auf einen einströmen, Freiräume schaffen kann.

Es folgen am 28. April ein Koch- und Genussabend am Ackermannbogen inklusive Tipps für gesunde Ernährung, ein Ausflug in die Burg Grünwald am 18. Juni sowie regeneratives Waldbaden, also Kraft schöpfen in der Natur, am 26. August im Olympiapark. Den Abschluss der Reihe bilden ein Gesangstreffen am 23. Oktober und eine Bewegungstherapie mit angeleiteten Wahrnehmungsübungen am 20. November, beides veranstaltet im Pfarrheim der Gemeinde Mariahilf in der Au. Jeder Termin ist einzeln buchbar, nähere Informationen erhalten Interessierte bei der Anmeldung per E-Mail an beratungsstelle@paritaet-bayern.de oder telefonisch unter 2420778-208. eda

Ein "Riesenproblem", weiß Steinkohl, ist bei vielen älteren Menschen auch das Erledigen der Post. "Manche haben einen regelrechten Horror davor, zum Briefkasten zu gehen - vor lauter Angst, es könnten wieder Schreiben drin liegen, auf die sie reagieren müssen, die sie aber überfordern." Für diese Menschen gibt es die Postpaten: Ehrenamtliche, die den geistig noch agilen Senioren beim Durchsehen des Briefverkehrs und beim Sortieren der Unterlagen helfen. Der Paritätische hat dieses kostenlose Angebot 2013 ins Leben gerufen, seit zwei Jahren gibt es das Postpatenprojekt in allen städtischen Beratungsstellen für ältere Menschen und Angehörige.

Wer älteren Menschen Zeit schenken möchte, sei es als Demenzbegleiter oder Postpate, erreicht die Fachstelle von Anke Steinkohl an der Winzererstraße 47 telefonisch unter 2420778-208 oder per E-Mail an fachstelle@paritaet-bayern.de.

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