Wohnen in: Lissabon:Stadt in Rosa

Lissabons Wohnungsmarkt boomt, die Preise explodieren - zum Ärger vieler Einheimischer. Ganze Stadtteile werden im Eiltempo gentrifiziert. Das liegt an den vielen Touristen in Portugals Hauptstadt, aber auch an der Abschaffung des Mietendeckels.

Von Thomas Urban

A man smokes at Alfama neighborhood in Lisbon

Ruhe vor dem Touristenansturm: Ein Portugiese raucht in Alfama, einem der ältesten Viertel von Lissabon.

(Foto: Rafael Marchante/Reuters)

Etwa 20 000 Einwohner leben im Alfama-Viertel, der historischen Altstadt Lissabons. Jeden Tag, so schätzt die Stadtverwaltung, mieten sich etwa doppelt so viele Touristen ein. Der Wert bezieht sich auf den Jahresdurchschnitt - in der Hochsaison leben also noch viel mehr Touristen als Einheimische in der Altstadt. Wie in vielen anderen Städten bringt die hohe Anzahl an Besuchern nicht nur das Stadtgefüge, sondern auch den Wohnungsmarkt durcheinander. Manche Kommentatoren in der portugiesischen Wirtschaftspresse sind sich sicher: "Wir stehen vor einer neuen Immobilienblase!"

Keine andere Branche hat in den Großstädten derartige Zuwachsraten erzielt. In der Innenstadt Lissabons haben Dutzende Immobilienbüros neu eröffnet, die am Boom teilhaben wollen. In den vergangenen fünf Jahren haben sich die Wohnungspreise und Mieten im Durchschnitt mehr als verdoppelt - keine andere europäische Metropole hat eine solch hohe Teuerungsrate. Der seit vier Jahren regierende sozialistische Premier António Costa versucht zaghaft, diesem Trend entgegenzuwirken, denn der bedroht soziale Strukturen: Alteingesessene Einwohner des Zentrums werden in Randbezirke verdrängt, Traditionsgeschäfte müssen schließen, weil sie die Mieten nicht mehr bezahlen können. Lissabon und auch Porto sind von der großen Welle des Massentourismus erfasst, die auch anderen Stadtregierungen auf der Iberischen Halbinsel zunehmend Kopfzerbrechen bereitet, an erster Stelle in der katalanischen Metropole Barcelona.

Dass in den begehrten portugiesischen Großstädten ebenso wie in der Touristenregion Algarve im Süden an der Atlantikküste die Preise explodierten, ist vor allem auf eine sehr eigentümliche Ausgangslage zurückzuführen: Bis zum Jahr 2012 hatte eine umfassende Mietpreisbremse gegolten, die nicht nur den Immobilienmarkt völlig ausgetrocknet, sondern zum Verfall von Zehntausenden Häusern in bester Wohnlage geführt hatte. Es war ein düsteres Erbe aus der Zeit der 1974 mit der Nelkenrevolution überwundenen Diktatur, die der Bevölkerung billigen Wohnraum garantierte, um sie ruhigzustellen. Es galt ein umfassender Schutz für die Mieter, der sie faktisch unkündbar machte, die Mieten hatten stabil zu bleiben.

Dieses System setzte allerdings eine stabile Währung voraus, die das Regime aber letztlich nicht garantieren konnte. Es gab zunehmend Staatsanleihen aus, um den Krieg gegen die einheimischen Befreiungsbewegungen in den portugiesischen Kolonien in Südafrika zu finanzieren. In der Folge stieg die Inflation sprunghaft an, doch die Mieten durften nicht erhöht werden. Die Kosten der Kolonialkriege führten zu einer allgemeinen Wirtschaftskrise, die schließlich vor viereinhalb Jahrzehnten die Voraussetzungen für den friedlichen Regimewechsel in der Nelkenrevolution schuf.

City Workers As Portugal Goes Back To School To Draft Budget Cuts

Sonnenplatz am Tagus, dem längsten Fluss der Iberischen Halbinsel.

(Foto: Mario Proenca/Bloomberg)

Doch damals liebäugelte die neue links orientierte Führung zunächst mit Elementen der sozialistischen Planwirtschaft. In Immobilieneigentümern sah sie vor allem Kapitalisten, deren Geschäfte keinerlei Unterstützung durch den Staat bekommen sollten; die Mietendeckel galten also weiter. So kam es, dass in der Innenstadt Lissabons vor der Krise die Mieten bei rund einem Euro pro Quadratmeter lagen. Damit waren aber für die Hausbesitzer nicht einmal die laufenden Kosten für Betrieb und Instandsetzung gedeckt, sie hörten auf zu investieren. Allein im Zentrum der Hauptstadt prägten fortan Tausende verfallende Häuser, deren Türen und Fenster zugenagelt waren, das Stadtbild. Lissabon wurde zum abschreckenden Beispiel für die umfassende Regulierung des Immobilienmarktes durch den Staat. Die demokratisch gewählten Regierungen wagten es allerdings sehr lange nicht, dieses Gesetzespaket aufzuschnüren, das offenkundig seinen Zweck längst verfehlte.

Eine Kehrtwende unternahm erst die Mitte-rechts-Regierung, die 2011 das Ruder übernahm, nachdem die Schuldenpolitik der bis dahin regierenden Sozialisten das Land an den Rand des Staatsbankrotts gebracht hatte. Es musste durch Kreditgarantien über insgesamt 78 Milliarden Euro vom Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Union vor der Zahlungsfähigkeit gerettet werden. Zu dem Konjunkturprogramm, das letztlich das Land aus der Krise führte, gehörten neben harten Sparmaßnahmen auch eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes und die Aufhebung des Mietendeckels.

Ein Prozess, der in den meisten europäischen Metropolen mehrere Jahrzehnte dauerte, vollzog sich in Lissabon innerhalb weniger Jahre: Tausende Häuser wurden aufwendig renoviert, ganze Stadtteile im Eiltempo gentrifiziert. Wo noch vor einem Jahrzehnt graue Tristesse das Bild bestimmte, strahlen nun viele Fassaden in leuchtenden Pastellfarben, besonders beliebt: Rosa in allen Schattierungen. Es war früher die Farbe für die Liegenschaften der Krone, das reiche Bürgertum hat sie später übernommen, sodass Lissabon einst als "Stadt in Rosa" besungen wurde.

Airbnb bringt den Markt durcheinander, aber viele Hauseigentümer profitieren erheblichvon der Vermietung an Urlauber

Den Prozess, der den Immobilienmarkt ins andere Extrem kippen lässt, beschleunigt eine weitere Maßnahme gegen die Krise, welche die Regierung beschlossen hat: Um Investoren ins Land zu locken, bekommen Staatsbürger außerhalb der EU ein Jahresvisum, wenn sie mehr als eine halbe Million Euro investieren. Somit ist Portugal für reiche Russen und Chinesen überaus attraktiv geworden, sie kaufen ganze Häuser im Zentrum auf. Hinzu gekommen sind in den vergangenen Jahren betuchte Franzosen, die ihre Vermögen durch die Reichensteuer der früheren sozialistischen Regierung bedroht sahen, und Brasilianer, die in Portugal keine Sprachbarrieren haben und es als sicheres Land ansehen, im Gegensatz zu ihrer Heimat mit einer enorm hohen Kriminalitätsrate, zu der Entführungen Wohlhabender beitragen. Portugal nimmt auf dem globalen Friedensindex Rang 4 ein, es gilt als überaus sicheres Land für seine Einwohner.

Alfama, Lisbon, Portugal, Europe *** Alfama, Lisbon, Portugal, Europe

Bei Urlaubern beliebt: eine Fahrt mit der alten Tram durch die engen Gassen der Altstadt.

(Foto: Joana Kruse/imago)

Tummelt sich diese Käufergruppe vor allem im Luxus- und gehobenen Segment, so haben die Online-Makler den Markt für Wohnungen der mittleren Preisklasse aus dem Lot gebracht, an erster Stelle Airbnb. Die Besitzer nehmen so das Mehrfache einer normalen Monatsmiete ein. Längst werden im Rathaus Maßnahmen gegen den Massentourismus erwogen: Im vergangenen Jahr sind mehr als sechs Millionen gekommen, dabei sind in der Stadt nicht einmal 600 000 Menschen gemeldet. Doch die Lokalpolitiker haben nur begrenzten Spielraum: Im Wirtschaftsministerium weiß man, dass der Touristenboom und die Investitionen aus dem Ausland einen großen Anteil an der Überwindung der Krise hatten.

Im Sog des Tourismus haben die Preise auch auf dem normalen Mietmarkt angezogen, in Lissabon haben sie sich zwischen 12 und 20 Euro pro Quadratmeter eingependelt. Die landesweiten Durchschnittslöhne liegen knapp über 1000 Euro - so viel ist in Lissabon mittlerweile für eine Zweizimmerwohnung zu zahlen. Bei Haus- und Wohnungskäufen hat der Durchschnittspreis im vergangenen Jahr die Grenze von 3000 Euro pro Quadratmeter durchbrochen. Dass die Gesellschaft dagegen nicht rebelliert, ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass seit den Zeiten der Diktatur, wie auch im benachbarten Spanien, mehr als drei Viertel der Wohnungen von ihren Eigentümern bewohnt werden. Wer überdies in besseren Zeiten eine Zweitwohnung erspart oder sie ererbt hat, profitiert ja von den steigenden Preisen. Auch aus diesem Grunde verlassen manche alteingesessenen Familien das Zentrum, um sich am Stadtrand oder auf dem Land anzusiedeln: Die Vermietung an Touristen bessert das private Budget erheblich auf.

So hat der pragmatische Sozialist Costa bislang auch ein nationales Gesetz zur Deckelung der Mieten abgelehnt. Er setzt auf Freiwilligkeit und Anreize: Die Immobilieneigentümer bekommen erhebliche Steuernachlässe, wenn sie Wohnraum zu einem Preis anbieten, der bei vergleichbaren Objekten 20 Prozent unter den Durchschnittsmieten in dem betreffenden Viertel liegt. Die Vereinigungen der Hausbesitzer aber haben vorgerechnet, dass diese Steuerermäßigungen bei Weitem nicht die entgangenen Gewinnmöglichkeiten ausgleichen. Zwar gab es im Zentrum von Lissabon schon die ersten Protestaktionen mit Plakaten wie "Meine Miete ist höher als mein Lohn" oder "Nieder mit Airbnb!" Aber drastische Aktionen, die ausländische Touristen abschrecken sollen, wie in Palma de Mallorca und in Barcelona, sind bisher ausgeblieben.

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