Fürstenfeldbruck:Belebung eines verlassenen Ortes

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Die Bruckerinnen Sara Krippgans und Valerie Theis vom Verein Turmgeflüster zeigen Fotos vom Aumühlengelände in Fürstenfeldbruck. In den Aufnahmen soll das kreative Potenzial des ehemaligen Stadtwerke-Areals zu erkennen sein

Von Marija Barišić, Fürstenfeldbruck

Sara Krippgans und Valerie Theis (im Bild) haben sich abwechselnd vor Gebäuden auf dem Aumühlengelände fotografiert. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Gerade war die Medizinstudentin Sara Krippgans noch zu Hause und hat für ihr zweites Staatsexamen gelernt. Jetzt, nur zwanzig Minuten später, spaziert sie durch den ersten Stock des Mehrgenerationenhauses am Sulzbogen und erzählt von dem Fotoprojekt, das vor ihr an der Wand hängt und, das sei ihr an der Stelle besonders wichtig, das sie nicht alleine, sondern gemeinsam mit ihrer Kindheitsfreundin Valerie Theis auf die Beine gestellt habe. Theis habe zwar keine Zeit, persönlich dabei zu sein, ist aber am Telefon zugeschaltet, "weil es unser Projekt ist, und ich mich nicht alleine in den Vordergrund stellen will", sagt Krippgans und lacht bescheiden. Es ist nicht das erste Mal, dass die beiden jungen Frauen, 24 und 25 Jahre alt, gemeinsam aktiv werden. Im Alter von zehn Jahren gehen sie erstmals auf ihre ehemalige Erzieherin Christine Dietzinger zu und erzählen ihr, wie gerne sie mit jemandem über die Harry Potter-Bücher sprechen würden, die sie in ihrer Freizeit lesen. Warum ausgerechnet zur ehemaligen Erzieherin aus dem Kindergarten? "Weil die einfach immer zu allem Ja sagt", erzählen die beiden Freundinnen und sollen mit ihrer Vermutung auch recht behalten - aber erst rückblickend.

Sara Krippgans. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Denn zu dem Zeitpunkt, im Jahr 2005, können sie noch gar nicht wissen, dass aus ihrem simplen Wunsch über Bücher zu sprechen, bald ein Leseklub und aus dem Leseklub wiederum ein ganzer Verein entstehen wird. Dieser Verein, der heute "Turmgeflüster" heißt und den Krippgans

gerne als "Brutstätte für Ideen" bezeichnet, bietet Kindern und Jugendlichen seit mittlerweile 15 Jahren die Möglichkeit Drehbücher zu schreiben, Theaterstücke aufzuführen, Lesungen abzuhalten oder einfach nur zusammenzukommen, Ideen auszutauschen und "zu ratschen", wie Krippgans es nennt. Das alles, die Geschichte dieser beiden Frauen, die Geschichte dieses Vereins, muss man kennen, um zu verstehen, wie und warum es überhaupt zu den Fotos kommen konnte, die von Krippgans und Theis selbst geschossen wurden und nun zehn Tage lang hier im Mehrgenerationenhauses begutachtet werden können. Der Verein ist es nämlich, der schon seit längerer Zeit nach neuen Räumen für seine Literatur- und Theaterveranstaltungen sucht, um seiner wachsenden Mitgliederzahl gerecht zu werden. Und das Fotoprojekt war es, das den beiden Vereinsvorsitzenden bei genau dieser Suche behilflich sein sollte.

Die Models und Macherinnen zeigen auch andere Motive von dem Areal mitten in der Kreisstadt. (Foto: Carmen Voxbrunner)

Als sie im Juli erfahren, dass die Stadtwerke in ein neues Gebäude übersiedeln und damit ihr altes am Aumühlengelände zurücklassen, wittern sie ihre Chance. Sie beschließen die Stadt davon zu überzeugen, ihnen die frei gewordenen Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen und wollen dafür "kreative Überzeugungsarbeit" leisten, wie Krippgans das Fotoprojekt nennt. "Mit einem Sack voller Klamotten" und einem ungefähren Plan, den sie später verwerfen werden, brechen die beiden Freundinnen auf, um sich gegenseitig rund um das Aumühlengelände zu fotografieren. "Wenn die eine vor der Kamera steht, steht die andere dahinter und umgekehrt", erklärt Krippgans und zeigt auf die Fotos, die spontan in dem Moment entstanden seien. "Sie stehen symbolisch für Parallelwelten, die entdeckt werden, aber auch für ausgelebte Kreativität", sagt Theis. Mit den Fotos und der Hilfe des Brucker Stadtrats Klaus Wollenberg schaffen es die beiden, die Stadt von ihrem Vorhaben zu überzeugen. Sie bekommen die Erlaubnis, die Räumlichkeiten im verlassenen Gebäude zu beziehen. Allerdings "geht es nur um eine Zwischennutzung, bis die Stadt entschieden hat, was genau mit dem Gelände geschieht", sagt Krippgans. Das stimme sie und ihre Freundin aber nicht weniger froh, viel eher seien sie dankbar, dass es überhaupt geklappt habe. Der Verein, den die beiden im Gespräch auch gerne "unser Baby" nennen, sei ihnen vor allem wichtig, weil er ein Raum "für grenzenlose Kreativität" darstelle, den man in der Schule so selten vorfinde. Bis heute erinnern sich beide an die starren Strukturen im Deutschunterricht und sind froh einen Ort geschaffen zu haben, an dem Kinder und Jugendliche ihrer Kreativität freien Lauf lassen können.

Ein Wilder Ort. Fotografien vom Aumühlengelände. Zu sehen bis 16. Januar. Mehrgenerationenhaus, Am Sulzbogen 56.

© SZ vom 09.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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